Antwort auf: Rammstein

#12094739  | PERMALINK

bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

Beiträge: 2,238

Zur Metadebatte über die mediale Berichterstattung:

1.

Tatsächlich hat sich da was verändert, wodurch ein Gefahrenpotenzial entstanden ist: Im Papierzeitalter lebten die meisten Abonnementzeitungen sehr komfortabel, sie hatten ihre feste, jährlich bezahlende Kundschaft. Daneben gab es Produkte wie den Spiegel, mit einer Mischkalkulation aus Abo und Kiosk, was schon den einen oder anderen Scoop nötig machte, aber im Prinzip auch eine stabile Geschäftsgrundlage bildete. Hinzu kamen Boulevardzeitungen, die täglich am Kiosk mit starken Schlagzeilen über dem Knick um Leser werben mussten. Heute, in Zeiten des wegbrechenden Papiermodells, sind alle miteinander demselben Druck unterworfen, online Klickzahlen zu generieren und digitale Monetarisierungsmodelle aufzubauen. Das verändert natürlich die Berichterstattung. Zumal sich durch die digitale Revolution der Tempodruck radikal verschärft hat: Wer schneller ist, landet bei Google im Zweifel weiter oben, aus Tagesaktualität ist Minutenaktualität geworden. Ich glaube, die Folgen von all dem sieht man bei der Rammstein-Berichterstattung: Jedes Medium springt möglichst schnell auf und dreht das Thema weiter, selbst wenn es keine eigenen Recherche-Erkenntnisse dazu hat oder der neue Nachrichtenwert sich darin erschöpft, dass die Ärzte jetzt auch irgendwas dazu gesagt haben.

2.

Dennoch scheint mir der Hang, den ich auch hier im Forum wahrzunehmen glaube, pauschal „die“ Medien zu kritisieren, nicht stimmig. Aus meiner Sicht waren zum Beispiel die großen Recherche-Geschichten von Spiegel und Süddeutscher gründlich, ambitioniert und hilfreich, kurzum, guter Journalismus.

3.

Die hier immer wieder implizit oder explizit anklingende Idee, dass Medien mit der Berichterstattung warten sollten, bis die Justiz den Fall eingeordnet, geklärt und gegebenenfalls abgeurteilt hat, ist gründlich zurückzuweisen. Wieviele Skandale unaufgedeckt geblieben wären, wenn Journalisten so ein devotes und obrigkeitshöriges Selbstverständnis gehabt hätten, lässt sich gar nicht seriös abschätzen. Wenn Reporter ihren Job nur in der nachvollziehenden Chronistenaufbereitung juristischer Vorgänge sähen, wäre der investigative Journalismus und damit etwas für die Demokratie sehr Wichtiges am Arsch.

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