Antwort auf: Erik Satie

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Aus dem Hörfaden zum Satie von Olga Scheps

FAS, 24.7.2016, S. 42, von Thomas Lindemann unter der Überschrift „Es klingt intim: Die Pianistin Olga Scheps spielt mit Herz, aber kühl und rettet sogar Erik Satie“ – ich lasse die einbettenden Passagen, in denen über den Umgang und die Presse zur „attraktiven, schlanken Künstlerin“ (Lindemann zitiert eine andere Zeitung) oder wie in einer WDR-Sendung der Moderator plötzlich nach ihren Händen gegriffen habe (Lindemann meint, eine solche Grenzüberschreitung sei etwa bei einem Alfred Brendel kaum denkbar gewesen) weg:

Ihre CD ist die einzige echte Neueinspielung des Staie-Jahrs (bis auf ein mit Effekten verzerrtes Album der Cembalistin Tamar Halperin). Während der Klassikbetrieb sich sonst in auffallender Einfallslosigkeit von Jubiläum zu Jubiläum hangelt, hört man vom ewig unverstandenen Erik Satie recht wenig dieses Jahr. Klar, denn Saties Musik war kaum zu retten. Wenige Pianisten trauten sich an das Werk, das teils als einfache Fahrstuhlmusik, teils als verwirrend progressiv wahrgenommen wird.

Die Kölner Deutschrussin Scheps spielt es wuchtig und trocken. Schön, aber nicht gefällig. Das Pedal benutzt sie nur sehr sparsam, und wenn, dann sehr gezielt, die Töne schmieren also nie ineinander. Die Musik wird gläsern dadurch, man kann tief in das Werk hineinschauen, es endlich wieder wahrnehmen. Der Abend mit ihr wird eine Lehrstunde. Chopins „Berceuse“, ein Wiegenlied, sielt sie langsamer, als man müsste, wieder sehr trocken – sie setzt sich selbst Bedingungen, die alles viel schwerer machen. Alles muss bei ihr klar und kühl klingen, wie jemand, der einen komplizierten Sachverhalt ganz präzise erklärt. Sie liebt Dynamik, schroffe Unterschiede, das extreme Tempo, sie müsste ein Friedrich-Gulda-Fan sein. (Auch wenn sie später im Gespräch sagt, Grigory Sokolov und Murray Perahia seien ihre grossen Vorbilder – Meister eines brillanten, sauberen Klangs.)

[…]

Erik Satie, dem sie sich nun gewidmet hat, steht bis heute eigentlich außerhalb der Musikgeschichte. Er nannte, was er schrieb, „musique d’ameublement“, Musik als Möbelstück. Schlägt man die Noten auf, sieht man viele halbe und Viertelnoten, wie bei einer Etüde für Kinder. Doch das Werk zusammenzuhalten, also so zu spielen, dass es wie ein sinnvolles Ganzes klingt, ist eine Herkulesaufgaben. Vo 150 Jahren wurde Satie in der Normandie geboren. Seine große Zeit erlebte er erst mit fünfzig, aber 1917, in den Salons von Paris. Vorher lebte der Eigenbrötler enttäuscht vom Musikbetrieb im Stillen, starb schon 1925 an den Folgen seines Alkoholismus. Ein Treppenwitz der Geschichte also, dass seine „Gymnopédies“ und „Gnossiennes“ genannten Werke eine große Karriere als Filmmusik erlebt haben. „Chocolat“ mit Johnny Depp, „The Royal Tenenbaums“, „Mein Essen mit André“ von Louis Malle und viele anderen Filme haben ihn der romantischen Liebeserzählung oder anderem Kitsch untergeordnet.

Insofern ist es verständlich, dass die bereits erwähnte Tamar Halperin ihren Satie dekonstruiert, mit Glockenspiel, Hammondorgel, Computer und Effektgeräten, die sonst eine Metal-Band gebrauchen könnte. Olga Scheps geht einen anderen Weg, sie spielt den Notentext, wie er eben it. Aber sie lässt sich voll auf die versteckte Schwierigkeit dieser Miniaturen ein. Sie zieht die langen Bögen, die Satie vorgibt, die kaum darstellbar sind, hoch konzentriert. Keine der befremdlichen Bezeichnungen, die der Komponist über seinen Text schrieb – „mit großer Güte“, „intim“, „in Leichenblässe“ seien die Abschnitte dann zu speilen – , scheint sie zu ignorieren. Einmal, vo man „verwundert“ spielen soll, pulsiert ihre Version stark, das Tempo atmet, die linke Hand schleicht sich wie eine Störung in die perlende Melodie der rechten. Was Scheps tut, ist nicht hübsch und niedlich, sondern atemberaubend.

[…]

Mit komplizierten Stücken läuft sie bei ihren Konzerten zu immer größerer Form auf. In der „Sarabande Nr. 3“ von Erik Satie zeigt sie die ganz unbekannte, hochkomplexe Seite des genialen Franzosen. Scheps macht einen immer wieder anschwellenden, reißenden Fluss aus dem Stück, die Musik explodiert in einer Sekunde und schnurrt im nächsten Moment wieder in sich zusammen. Olga Scheps spielt auch sehr auffällig mit der Stille, sie lässt deutliche Pausen, wo man darüber hinwegmalen könnte, sie zerreißt die Zeit gern für einen Moment. Das unterstützt das Klare, das Naturwissenschaftliche an ihrem Spiel.

Wer Olga Scheps als die schöne neue Pianistin wahrnimmt und über ihre Fingernägel redet [dazu gibt es in den weggelassenen Passagen einiges], wie zurzeit leider viele, hat nichts verstanden. Sie zerlegt, was sie spielt, oft besonders eiskalt und eingefroren, wie unter der Lupe. Mozarts „Rondo alla turca“ in der Bearbeitung von Arcadi Volodos tut bei ihr schon weh, und das Finale aus Prokofjews 7. Sonate, ein gewaltiger Rag, ein schroffer Felsen der Musikgeschichte, meistert sie voller Liebe und Wut. Ohren wollen hin und wieder mal überfordert werden. Die Pianistin dafür wäre jetzt da.

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