Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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#12030953  | PERMALINK

herr-rossi
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tezukaOkay, meine Ansprache an die Adresse von Herrn Rossi wahr vielleicht etwas derbe – würde mich normalerweise entschuldigen, aber habe mich auch über sein Zitat geärgert, dass war jetzt die Retourkutsche…

Ich habe eine inhaltliche Aussage gemacht, Du hast mich persönlich angegriffen, was genau da die „Retourkutsche“ sein soll, die Logik erschließt sich mir nicht.

Ursprünglich war das mal umgekehrt – in „England’s Dreaming“ von Jon Savage wird geschildert wie Punk-Bands wie die Ramones ursprünglich als rechts galten, gerade weil sie die Blues-Wurzeln des Rock’n’Roll ignoriert haben, während die linken The Clash dem aufkommenden Rassismus der Thatcher-Ära etwas entgegensetzten wollten indem sie Elemente jamaikanischer Musik in ihren Sound einfügten.

Was zeigt, dass solche Diskussionen nichts Neues sind. Der Vorwurf etwa, Elvis (und andere weiße Rock’n’Roller) hätten „den Schwarzen die Musik gestohlen“, wurde auch schon in den 60s erhoben.

Und ähnlich würde ich mich auch verorten: Ich habe gerade keinen eurozentrischen Weltblick, finde eine uralte chinesische Tuschmalerei oder eine rituelle Skulptur aus Melanesien auf ihre Art genauso grandios wie einen Rembrandt. Und dies versuche ich mit meiner Kunst zu reflektieren.

Bei der Diskussion um cultural appropriation gerät der Gegenpol der cultural appreciation immer schnell aus dem Blick, insbesondere auch bei Kritikern des Konzepts, die es in Bausch und Bogen für gefährlich und unsinnig erklären, um sich gar nicht erst mit den Nuancen und der angesprochenen Problematik auseinandersetzen zu müssen. Es ist sicher umgekehrt so, dass es auch woke Quadratschädel gibt, die den Unterschied nicht machen und grundsätzlich jede Form des kulturellen Austauschs verurteilen. Die haben aber auch nicht verstanden, worum es eigentlich geht.

Glaubt ihr es hätte die Malerei vorangebracht, wenn Picasso sich überlegt hätte „Hmmm, Spanien hat gerade keine Kolonien in Afrika, da darf ich mich von afrikanischen Masken inspirieren lassen, als Belgier wäre das problematisch.“?

Ein Künstler kann sehr wohl reflektieren, aus welcher Position heraus er sich einer anderen Kultur nähert. Wenn ich etwa als nichtjüdischer Deutscher jüdische Kultur rezipiere, sollte das beispielsweise klar sein. Daraus erfolgt kein „Verbot“ (das es ohnehin nicht gibt, die angeblichen „Verbote“ sind immer nur behauptet [1]), aber eine Sensibilität für die Problematik sollte man gerade von Künstlern erwarten können. Und der Künstler muss sich ggf. Kritik gefallen lassen, wenn man diese Sensibilität bei ihm vermisst. Künstler stehen nicht außerhalb der Kritik, niemand tut das, der sich im öffentlichen Raum bewegt. Der Künstler will mit seinem Werk zur Auseinandersetzung anregen, er will Denkanstöße geben, er will „unbequem“ sein. Aber um Himmels willen sollte niemand die künstlerischen Aussagen und Werke kritisieren, durch Kritik wird ihm etwas „verboten“. Dass Künstler mit Kritik schlecht umgehen können, ist aber auch nichts Neues …

[1] Diese nicht zuletzt von Medien wie der „Bild“ befeuerte Verbotsrhetorik halte ich inzwischen für mindestens so gefährlich für die Debattenkultur wie linken Dogmatismus.

In der Kunstszene spielt so etwas eh keine Rolle, da denken eigentlich alle links orientierten Menschen so wie ich.

Das ist doch schön für Euch. Dann lasst Euch mal nicht in Eurer Einigkeits-Bubble stören. Wir diskutieren hier weiter. Im Kreis oder in Ecken.

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