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herr-rossi Dass ich – wie jeder – den einen oder anderen Bias habe, ist doch ganz klar. Es gäbe sicher Eingriffe aus anderer Richtung, die mich mehr stören würden. Ich habe aber überhaupt nicht für die Änderungen plädiert, ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich sie schwer nachvollziehbar finde. Ich brauche auch zum Vorlesen keine Texte mit solchen Änderungen, ich habe höchstpersönlich „zensiert“, wenn mir danach war.:) Im Ernst, beim Vorlesen von rund 90 Bänden „Lucky Luke“ beispielsweise gab es nur zwei, drei Stellen, die mich störten und wo ich dann auch gesagt habe, dass es nicht in Ordnung ist, Schwarze als Tagediebe mit Wulstlippen darzustellen oder eine Hinrichtung durch einen bestimmten Henker als „Ehre“ zu bezeichnen (ich fand es tatsächlich irritierend angesichts des Tonfalls der Reihe, als plötzlich eine Hinrichtung gezeigt wurde).
Dann sind wir uns ja soweit einig. Btw., in welchem Lucky Luke-Band wird denn eine Hinrichtung gezeigt??
Der Punkt, der mir wichtig ist, ist die Frage danach, ob sich ein Verlag hier etwas herausgenommen hat, was ihm nicht nach Recht und Gewohnheit zusteht. Und da ist die Antwort eindeutig, auch wenn sie Dir und anderen nicht gefällt. Der Zensurvorwurf geht einfach am schlichten Sachverhalt vorbei, dass es Rechteinhabern erlaubt ist, reproduzierbare Kunstwerke wie Bücher, Musik usw. bei Neuauflagen in unterschiedlichster Form im Vergleich zum Original zu verändern, und sie tun das ja auch…
Ich denke, niemand hat hier oder sonstwo den juristsichen Punkt infrage gestellt. Ich kann mir auch die Mona Lisa kaufen und den Rüssel von Benjamin Blümchen reinmalen. Ist auch legal. Aber trotzdem ein Frevel und Repliken davon will garantiert auch niemand haben.
Es geht doch nicht darum, was theoretisch erlaubt ist, sondern darum, was sinnvoll und angemessen ist. Selbstverständlich ist das auch alles kein neues Phänomen, aber eins, was ich in der grauen Vorzeit der Prä-Internetära verorte, in der man den Leuten noch jeden Mist unterjubeln konnte, ohne dass sie es geschnallt haben.
Noch 1981 konnte das ZDF seinen Zuschauern Magnum andrehen und den kompletten Vietnam-Bezug rausschneiden und kaum einer hat es gemerkt. Ich bin in den 90ern mit der kompletten Neusynchronisation und dann dem Original sozialisiert worden und konnte da schon über solche Eingriffe nur den Kopf schütteln.
Mir schien – bis jetzt – eine Rückkehr zu solch absurden Bevormundungen der Rezipienten und eine Missachtung von Kunst undenkbar. Wir leben in einer Welt, in der so etwas auch keine Sekunde mehr unterm Deckel zu halten ist und niemand mehr irgendwelche Gatekeeper akzeptiert, die einem etwas vorenthalten oder filtern wollen. Zum Glück.
Und so will doch wohl kein Mensch mehr ernsthaft im Jahr 2023 das Buch eines großen Autors des 20. Jahrhunderts kaufen, in das eine dahergelaufene Verlagsredakteur*in ihre Twitter-Weltanschaungen mit einflechtet, um dann nach dem Originaltext in einer Bibliothek zu fahnden. Und das nur, um die fehlende Medienkompetenz von ein paar Bildungsbenachteiligung auszubügeln, deren Defizite man damit nur verstärkt.
Den Begriff Zensur verwende ich, weil dazu auch Selbstzensur gehört und die wohl in den meisten Fällen die Triebfeder vieler Verlage ist, um nicht als Hashtag in der nächsten Empörungswelle auf social media zu enden.
Ehrenkodex oder Denkmalschutz für Kunst? Hätte gedacht, der Respekt von Künstlern und deren Werken sei inzwischen common sense. Vielleicht bin ich aber auch nur zu lange in diesem Forum unterwegs, in dem lange schon eine originalgetreue Wiederauflage eines Albums Fake war. Insofern gar keine schlechte Idee.
Ja, Die Sünderin ist ein krasser Fall. Ich habe mal bei der FSK gearbeitet, deshalb ist mir der Fall so geläufig und deshalb stellen sich mir bei dem Thema auch regelmäßig die Nackenhaare auf.
zuletzt geändert von bullitt--