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bullittDas ist in dieser Qualität sicher nicht usus und selbst wenn, was soll eigentlich dieser „hat man immer schon so gemacht“-Quatsch die ganze Zeit? Nach der Logik wäre Knefs „Sünderin“ von 1951 bis heute aus moralischen Gründen zensiert, anstatt ab zwölf Jahren freigegeben – sowie sämtliche folgende Filme dieses Kalibers eben auch.
Das sind wirklich zwei verschiedene Paar Schuhe: Im Fall von Roald Dahl geht es darum, was Rechteinhaber mit bereits veröffentlichten Texten tun dürfen und was nicht. Wenn es um eine staatliche oder in diesem Fall selbstorganisierte externe Kontrollinstanz geht, die darüber entscheidet, was Buchverlage oder Filmverleihe dürfen und was nicht, ist das eine völlig andere Diskussion. Die Freiwillige Selbstkontrolle war ein wichtiger Schritt aus der staatlichen Zensurtradition heraus, zu Beginn war sie in ihrer Tätigkeit sehr umstritten.
Der Fall „Die Sünderin“ ist übrigens interessant, denn es ging dabei gar nicht um die Nacktszene, sondern um die Aussagen des Films zu Suizid, Sterbehilfe und Prostitution:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Sünderin
Und wenn man das liest, erscheint einem der aktuelle culture war zumindest hierzulande geradezu rührend harmlos:
„In Regensburg kam es zu einer dreitägigen heftigen Auseinandersetzung zwischen Filmgegnern, Filmbefürwortern und der Polizei, wobei Stinkbomben auf der einen und Wasserwerfer auf der anderen Seite eingesetzt wurden.[6] Die Rheinische Post fragte am 5. März 1951 hinsichtlich der Situation in Köln: „Muß Polizei einen Schundfilm schützen?“ Da alle Versuche, ein Aufführungsverbot zu bewirken, vergeblich gewesen seien, könne nur eine „machtvolle Demonstration des Willens der gesund empfindenden Bevölkerung“ helfen.[7] In einem Duisburger Kino setzten, wie die Rheinische Post am 21. März 1951 berichtete, Filmgegner weiße Mäuse gegen die Sünderin ein, um eine Panik hervorzurufen. “
Genauso großer Käse ist diese Helikopter-Eltern-Mentalität bei Kinderbüchern. Was soll das überhaupt sein, wer definiert da die Grenzen, wenn das der Rahmen für maßlose Anpassung sein soll? Und was soll daran gerechtfertigt sein? Kinder sind weder doof noch aus Zucker. Man sollte ihnen durchaus zutrauen und zumuten zu kontextualisieren, anstatt sie mit weichgespültem Mist ruhig zu stellen. Ich habe mit meinen Kindern gerade „Cinema Paradiso“ geschaut und es war überhaupt kein Problem, ihnen zu erklären, dass es Zeiten gab, in denen Kinder in der Schule von Lehrern verprügelt wurden. Kamen die genauso mit klar wie ich früher. Uns wurde nicht alles Abgründige vorenthalten, warum sollten wir also unseren Kinder nur eine rosarote Bullerbü-Welt präsentieren und Eltern beim Umgang mit nicht zeitgenössischer Literatur bevormunden?
Insgesamt stimme ich Dir zu, aber eine solche Auffassung ist eben nicht die einzig mögliche/denkbare Haltung in dieser Frage. In einer pluralistischen Gesellschaft müssen unterschiedliche Auffassungen koexistieren können. In der Schulfrage sind wir ja irgendwann auch dazu gekommen, Gesamtschulen und dreigliedriges Schulsystem nebeneinander bestehen und den Eltern und Kindern die Wahl zu lassen.
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