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herr-rossi Die Entwicklung in Großbritannien ist da wirklich abschreckend, weil Extrembeispiele wie der Fall Isla Bryson zu hochemotionalisierte Debatten geführt haben.
Der Fall ist tatsächlich extrem, man sieht aber auch hier, dass die Justiz eingelenkt hat. Ansonsten fände ich es fatal, auf der Basis bspw. das Selbstbestimmungsgesetz wieder fallen zu lassen. Von rechtaussen wird das ja gerne getan: „Wenn wir sowas dulden, dann haben wir bald nur noch mordende Männer im Frauengefängnis“.
Wir müssen das Recht von Verlagen verteidigen, alleine darüber zu entscheiden, welche Bücher sie in welcher Form herausbringen.
Ganz grundsätzlich: Gibt es aber nicht auch einen Grundsatz, der vorsieht, dass Werke so erscheinen, wie sie auch vom Künstler intendiert waren? Ich finde diese Frage bei sehr starken Eingriffen (und das wären Bespiele wie komplette textliche Änderungen, Berufsänderungen von Figuren usw.) doch sehr relevant.
latho Da sind wir mal wieder bei den grundlegenden Überlegungen zu einem Künstler: macht der Künstler das Werk schlecht? Bei Dahl und Dilbert habe ich bis jetzt nicht unbedingt mitbekommen, dass sich die Haltungen in ihren Werken widerspiegeln (diss: bei Puffin hätten sensitivity readers wohl auch keine antisemitischen Spuren in Dahls Texten entdecken können). Also nicht mehr konsumieren oder sogar für Verbot oder zumindest Entfernung aus dem öffentlichen Raum plädieren?
Ich bin ganz grundsätzlich für Entscheidungen von Fall zu Fall. Ich möchte nicht, dass große Schriftsteller, die sich stets gegen Rassismus ausgesprochen haben (wie Marái oder auch Joseph Roth) aus den Regalen verschwinden, nur, weil sie zeittypisch das N-Wort benutzt haben, ich möchte auch nicht, dass Hamsun oder Céline verschwinden, die sich zu Hitler bekannt haben. Ich kann aber vollkommen verstehen, dass man ein Kinderbuch wie „Pippi Langstrumpf“ entschärft hat.
Ich bin ansonsten grundsätzlich erstmal auch für die Trennung von Werk und Schöpfer:in. Allein schon, weil ich es extrem problematisch finde, dass Leute von außen Ambitionen einordnen, was oft zeitgenößisch und auch subjektiv ist. Bei bestimmten Einzelfällen mag das einfach sein, aber gerade auch im Bereich Theater, Kabarett etc. wird es schnell wahnsinnig komplex.
Was Dilbert betrifft sehe ich den Fall hier doch anders: In Bezug auf Deutschland würde sich niemand wundern, wenn Verlage ein Werk aus dem Sortiment nehmen, wenn sich der Autor kurz davor dahingehend geäußert hätte, zwei Armlängen Abstand von Juden zu halten. Bei Dahl ist das ja zumindest zweifelhaft, was seine enge Zusammenarbeit mit Juden beweisen (dazu beziehen sich die Änderungen ja auch auf ganz andere Aspekte).
bullschuetz Wobei ich den Eindruck habe, dass es hier um weit mehr als die Vermeidung von Diskriminierung geht: um ein ideologisches Projekt, das vorgeben will, welche Rollenbilder erwünscht sind (Wissenschaftlerinnen) und welche nicht (Kassiererinnen), welche Bücher in den Kanon gehören (Jane Austen) und welche ausgemeindet werden sollen (Kipling). Hier geht es, kurzum, nicht darum, auf andere Rücksicht zu nehmen, sondern darum, eine Weltsicht durchzusetzen. Und das auf dem Rücken von Kunstwerken bzw kulturellen Leistungen.
Die Wahrnehmung habe ich allerdings durchaus auch.
plattensammler Und jeder kann sich aussuchen, ob er lieber auf der Seite der Diskriminierten oder der Diskriminierenden stehen möchte und entsprechend in das jeweilige Horn blasen.
Der Rest war sehr gut dargestellt, es ist ein Abwägen und Aushandeln, aber der Punkt ist doch sehr verkürzt. Ich halte generell wenig von „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Ansätzen. Mit anderen Worten: Ja, ich finde es z.B. wichtig, dass auch schwarze Künstler:innen zu Wertschätzung kommen und sich nicht nur Reichtum und Netzwerk durchsetzt – das heißt aber eben nicht gleichzeitig: „Weiße dürfen keinen Rap machen, weil Hass“. Es gibt einfach noch sehr viele Graustufen zwischen notwendiger Sensibilisierung und stumpfem Abnicken von allem, was irgendwo irgendwen irgendwie stört.
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Hold on Magnolia to that great highway moon