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Guten Morgen! Das sind Solo-Sonaten von Platti? Ich kenne ein paar CDs mit Triosonaten und Konzerten und finde das alles ziemlich toll, da wäre das möglicherweise eine schöne Ergänzung? Die einzige Solo-Sonate hier ist auch von Guglielmi, von der CD „Concerti per il cembalo obligato“ auf Arcana. Und: vielleicht hat der Leihgeber die von mir neulich erwähnte neue CD auf Accent mit „Má Vlast“, damit Du da mal reinhören kannst?
Hier ging es gestern ja zu Fazil Say – und das war ein recht anderes Konzert als die bisher gehörten: er war eingebettet in das Orchester (das den Mozart natürlich ohne Say – und ohne Dirigent*in – aufführte), sein eigenes Werk fand ich ganz charmant, die eine Zugabe ebenfalls – und die Aufführung vom zweiten Klavierkonzert von Schostakowitsch war für meine Ohren der Höhepunkt des Konzertes. Das ist wirklich ein irres Stück in vielerlei Hinsicht (der Weisen, mittels denen der Gute den Zensoren eine Nase drehte, sind jedenfalls viele).
Zur Nacht hörte ich dann noch einiges hiervon:
Und bei den Machaut-CDs des Orlando Consorts (die neunte von elf geplanten gemäss dem ersten Satz im Booklet) erwarte ich längst nichts anderes als hervorragende Qualität. Und das ist einmal mehr enorm faszinierend!
Jetzt ein Ausflug in die Turicensia:
Die sechs (von 12 geplanten) Toccaten von Hans Georg Nägeli sind hier in ihrer Reihenfolge in Paaren zu hören, danach jeweils Werke von Clementi (die Sonate Es-Dur Op.12/4 bzw. das Capriccio A-Dur aus Op. 34) und zum Abschluss dann die „Waldstein“ von Beethoven. Nägeli (1773-1836)war „europaweit vernetzter Verleger und Musikalienhändler“, der eine musikalische Leibibliothek leitete, das „Zürcher Singinstitut“, den „Sängerverein der Stadt Zürich“ und den „Musikalischen Frauenverein“ gründete. Er hatte politische Ämter inne, war auch mehrmals Präsident der Schweizerischen Musikgesellschaft. Und daneben – das scheint recht vergessen zu sein heute, mir ist er jedenfalls vor Freitagmorgen nie begegnet – war er ein sehr produktiver Komponist. Zu seinem Werk gehören u.a. um die Tausend Klavierlieder und ähnlich viele Chorwerke (und das mag dran liegen, dass ich ihn nicht kenne: Chorkonzerte besuche ich eigentlich ja nur dann, wenn ein Chor zum Tonhalle-Orchester, zum Basler Kammerorchester usw. stösst, kenne mich da überhaupt nicht aus). Instrumentale Musik schrieb er vergleichsweise in geringem Umfang, es gibt darunter Werke für ausgefallene Besetzungen (Harfenensemble mit Bläser etwa).
Teil 1 der „Douze Toccates“ erschien 1808 und blieb ohne Fortsetzung. Nägeli als Komponist ist auf dem Deckblatt halb vesteckt: „par l’éditeur Hans Georg Nägeli“ steht klein drauf. 15 Bände mit „Répertoire des Clavecinistes“ hat Nägeli zwischen 1803 und 1805 herausgebracht, mit Werken von Beethoven, Clemeti, Dussek usw. – und darauf wiederum wird gross verwiesen auf dem Deckblatt. Die „auteurs“ offenbaren Nägelis Blick auf die damalige Musikwelt und ihre Entwicklungen – und es bot sich daher an, Nägelis Toccaten, die er als seinen Beitrag dazu verstand, mit Stücken Clementis und Beethovens zu verbinden. Ich bediene mich hier schamlos bei den Liner Notes von Thomas Kabisch, der dann auch alle Stücke einzeln bespricht. Zur dritten Toccata, die mich gerade ziemlich umhaut, schreibt er:
In der Toccata III ist die Formbehandlung experimentell, geradezu modern. Variative Prozesse begründen die Form und überwuchern sie zugleich. Die Verfahren, die die Form konstituieren, sind dieselben, durch die die Form gefährdet wird. Ein „Zu-Viel“ an Zusammenhang bewirkt eine Desorientierung des Hörens.
Sowohl die beiden teile, die zusammen die erste Hälfte bilden, als auch die beiden Hälften, aus denen das Stück als Ganzes besteht, sind variativ aufs Engste verzahnt. Die vielfältigen Analogie- und Spiegelverhältnisse führen dazu, dass „dieselben“ Figuren und Passagen immer wieder, ein zweites, drittes oder gar viertes Mal zu hören sind. Mal sind sie gleich, mal ähnlich. Der Plural der Funktionen und Kontexte, in die die Figuren hineingezogen werden, hinterlässt Erinnerungsspuren an den Figuren selbst. Sie werden vieldeutig und das formale Ortsgefühlt der Höher wird gestört.
Zudem gerät die Form in der Toccata III unter Druck von aussen. Diskontinuitäten brechen ein in eine Formerfahrung, die durch ein Übermass von Bezügen bereits irritiert ist. Offen disruptiv hinsichtlich der Form verhält sich eine Kombination aus chromatischen Terzengängen im Diskant und einem lang ausgehaltenen Akkordtriller, die erstmals am Schluss des ersten Teil erscheint. Im zweiten Teil der Toccata III wird dieser Störfall zum Normalfall. Ständig unterbrechen Terzengänge und Akkordtriller den musikalischen Ablauf. Der „Klang-Guerillero“ hat sogar das letzte Wort und beschliesst das Stück.
Els Biesemans, die in Zürich als Organistin wirkt, kann ich vermutlich an Ostern endlich mal live hören: beim Konzert mit Giuliano Carmignola in Ascona am Ostermontag (bin die Tage dann wieder mal im Tessin, habe gerade Karten für das Philharmonia Orchestra unter Santtu-Matias Rouvali mit Julian Rachlin – Leonore III, Mendelssohn VC, Sibelius 5 – , für ein Kammermusik-Konzert mit Werken von Beat Furrer und anderen Zeitgenossen, sowie für das Orchestra Mozart unter Daniele Gatti – Brahms‘ Haydn-Variationen, Wagners Siegfried-Idyll und Brahms‘ Vierte – gekauft).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba