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Mit dem Kopf voll Rotz im Bett habe ich Zeit für dies. Wurde hier schon mal erwähnt. Auch ein schönes Cover. Selbstporträt mit Rotwein und Zigarette.
Joni Mitchell – Both Sides Now (2000)
Ich mag Joni Mitchell sehr gerne, kenne aber eigentlich nur ihre Alben der 60er + 70er. Ulkigerweise dachte ich, Both Sides Now ist also was neueres – dabei ist das jetzt auch schon mehr als 20 Jahre alt.
12 Stücke, 10 alte Standards und zwei alte Originale von Joni Mitchell, A Case Of You und Both Sides Now, die den Zyklus einer Liebesgeschichte, vom kopflosen Verliebtsein (You’re My Thrill) über die erfüllte Liebe (A Case Of You) und die Aufs-und-Abs (Stormy Wheather) bis zur Ernüchterung (Both Sides Now) nachzeichnen.
Arrangiert für Big Band und ein gigantisches Orchester mit Streichern. Man kann darüber streiten, ob man dieses Album unter Vocal-Jazz verbuchen möchte. Viele der Stücke sind Jazz-Standards, die Big Band swingt gepflegt, Wayne Shorter und Herbie Hancock solieren, aber ohne in den Vordergrund zu treten. Das Orchester klingt eher nach Broadway oder großem Kino. Vielleicht eher „Traditional Pop“?
Joni Mitchells Stimme klingt gereift, was mir im Vergleich zu ihren Aufnahmen der 60er/70er-Jahren besonders auffällt. Am Anfang ihrer Karriere klang sie mädchenhaft, optimistisch und glasklar, in 70ern schon erwachsener, da konnte man Erfahrungen, Zweifel und Enttäuschungen heraushören. Auf diesem Album ist ihre Stimme tiefer, getrübt und brüchig und auch nicht mehr so beweglich. Ist das Jazzgesang?
Mit den zwei Aufnahmen des Songs Both Sides Now (Original 1969, neue Aufnahme 2000) schließt sich fast ein Kreis. Auch wenn das von einer 25-Jährigen zur akustischen Gitarre gesungen schon erstaunlich weise klang, so gewinnt es aus dem Munde einer End-50erin mit Orchesterbegleitung sehr an Gewicht. Als sei es das Fazit aus Jahrzehnten Lebenserfahrung. Ursprünglich sollten Both Sides Now und die darauffolgende Retrospektive Travelogue Joni Mitchells letzte Aufnahmen sein. Hätte Sinn ergeben.
Ich finde Both Sides Now vor allem konzeptionell stark. Ein Statement. Das Thema des gesamten Bogens einer Liebesbeziehung , das ist auch immer wieder Thema ihrer Songs gewesen. Einsamkeit, Sehnsucht, Erfüllung, Enttäuschung, die Suche nach Nähe einerseits und der Freiheitsdrang andererseits. Durch Joni Mitchells gealterte Stimme und die Orchester-Arrangements bekommen diese Songs etwas Klassisches und Gewichtiges. Auf der anderen Seite: Big Band und Orchester klingen meist wie eine Kulisse, eine opulente Kulisse zwar, mit Glanz und Glitzer, aber auch etwas gleichförmig und ohne viele Höhepunkte. Und Jonis Stimme klingt zwar reif und lebenserfahren, aber hat auch an Lebhaftigkeit eingebüßt. Große Gefühlsausbrüche bleiben da aus.
Herausragend und berührend ist für mich aber die sehr getragene und schwebende Neuaufnahme von Both Sides Now. Die bringt alles auf den Punkt und lässt gleichzeitig alles offen.
1969:
2000:
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)