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Wundersame Wundheilung
Bob Dylan triumphiert bei seinem Tourauftakt in Hamburg
Von Michael Werner
Da steht er nun und schaut so ratlos, wie einer, der das meiste vom Leben weiß, nur ratlos schauen kann. Sie bejubeln ihn. Er fährt die Daumen aus. Sie dürfen sich wie Erwählte fühlen. Er zurrt die Daumen himmelwärts. Dann wippt er dem Mikrofon entgegen, als ob er etwas sagen wollte. Doch Bob Dylan, zweiundsechzig, spricht nicht mit seinen Zuhörern. Er wippt zurück und lässt die erigierten Daumen tanzen. Der Meister der Worte zollt ihnen nonverbal Anerkennung, den 1500 Menschen im ausverkauften Musikclub Docks auf der Reeperbahn.
Doch aller Respekt gebührt ihm. Bob Dylan hat in einem Hamburger Club, den er fünfmal hätte füllen können, mit einem fulminanten, einem wahrhaft sensationellen Konzert seine Deutschlandtournee eröffnet. Als die Daumen sinken, als das Licht aus- und Dylan fortgeht, hat er nichts weniger als ein 17 Lieder währendes Wunder vollbracht. Er trägt keinen Hut mehr. Er schlägt keine Westerngitarre mehr. Er steht nur selten in der Mitte der kleinen Bühne. Er hätte das Mikrofon über seinem Klavier drei Hand breit höher ziehen können, doch er hat es nicht getan. Bob Dylan hat sich einen Abend lang am linken Bühnenrand in eine gebückte Büßerhaltung gezwungen. Er singt so hoch konzentriert, so ganz und gar präsent ins Mikro hinab, als empfange er die Worte von höherer Stelle, als schössen sie ihm durch die wirren Locken mitten ins Gehirn, just in dem Moment, als sie seinen Mund verlassen, als feile er nur ein bisschen hie und da.
Wie ein Priester, ein Schamane, wie der Prophet, der er nie hatte werden wollen, wirkt Dylan schon beim ungewöhnlich hochkarätigen Opener „Maggie“s Farm“. Noch transzendenter gerät dem gebückten Mann in der Science-Fiction-Westernkluft „It“s alright, Ma (I“m only bleeding)“. Klar wie seit Jahren nicht mehr artikuliert Dylan, klar und kräftig wie nach einer wundersamen Wundheilung klingt seine Stimme. Das brüchige Röcheln der letzten Alben und Tourneen benutzt er nur mehr als gespenstisches Stilmittel, etwa wenn er „Cry a While“ raunt oder, eben in „It“s alright, Ma“, akzeptiert: „You feel to moan but unlike before you discover that you“d just be one more person crying.“ Früher, da hat er das letzte Wort mitunter zornig-verzweifelt hinausgebellt.
Dem unglaublich starken Dylan von der Reeperbahn aber ist nicht nach weinen zu Mute. So herrlich beseelt gibt er „Moonlight“ (eines von nur drei Stücken, in denen er der E-Gitarre zu Liebe das Klavier verlässt), als werbe er tatsächlich um ein Stelldichein. Und „Love minus zero/No Limit“ gerät ihm vollends zur zart gefühlten Offenbarung.
Dies aber ist ein hartes Konzert, am Ende fast ein Hardrockkonzert, was nicht zuletzt an Freddie Koella liegt, dem neuen Gitarristen, der Charlie Sexton ersetzt und die Band anstachelt zu quietschgeiler Virtuosität. Dylan hat schwitzend Spaß an der Härte. Immer wieder rammt er am Klavier Sturmböenakkorde in Lieder wie „Honest with me“ oder „All along the Watchtower“ und hilft so, sie zum Inferno zu steigern. In ruhigeren Songs wie dem betörenden „Senor“ lässt er mit der rechten Hand Pianotöne tröpfeln, während die linke die Mundharmonika hält, die schon immer infernalisch war, aber jetzt auch noch magisch ist – wie vieles an diesem Abend -, wenn sie zum schmerzfreien Schnitt durch das Hirn ansetzt. Welch würdiger Wahnsinn!
Die Welt aber, von der Bob Dylan in einer besonders sarkastisch gesungenen Version von „Dignity“ erzählt, hat ihre Würde an den Wahnsinn verloren. Und das selten gespielte Juwel „Man in the long black Coat“ phrasiert das Songwriter-Genie so gespenstisch, dass es zum Horrorthriller wird. Manchmal hat es den Anschein, als habe sich dieser umwerfend lebendige Musikant Klänge aus dem Jenseits geborgt, um das Diesseits trefflich zu beschreiben. Das ist sein Triumph. Schwer vorstellbar, dass Bob Dylan im Diesseits noch besser wird, als er derzeit ist.
Tourdaten im Oktober: 20. Berlin, 22. Leipzig, 29. München; Daten im November: 5. Freiburg, 6. Frankfurt, 8. Düsseldorf
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