Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Soul, R’n’B & Funk › Ich höre gerade: Disco › Antwort auf: Ich höre gerade: Disco
The Disco Box (Aufnahmen 1973 – 85, Compilation 1999)
80 Stücke auf 4 CDs, Box mit 3D-Glitzereffekt, 60-seitiges Booklet mit mehreren Essays, Fotos, eine Liste von „50 Essential Disco Albums“ und eine weitere mit „45 Predisco Floor-Shaking 45s“, diskografische Angaben zu jedem Track. Jede Menge Material also. Auch das hat wieder Vor- und Nachteile – je nach Perspektive.
Zum Einen überfordert die Menge der Stücke den Hörer ganz schön. Wann kann und will man sich das alles anhören und durchlesen? Andererseits: Irgendwie hat man das Gefühl vieles davon schon mal gehört zu haben. Tatsächlich reiht sich hier Hit an Hit: Barry White, The Jackson 5, KC & The Sunshine Band, Hot Chocolate, Donna Summer, Chic, Sister Sledge, Kool & The Gang – fast alle üblichen Verdächtigen sind vertreten. Das ist einerseits toll, andererseits stellt sich da auch irgendwann ein Übersättigungseffekt ein. Spätestens beim 3 x KC & The Sunshine Band winke ich ab. Die etwas unbekannteren Stücke gehen dabei fast unter – sind aber auch meist nicht die stärksten.
Aber natürlich gibt es hier auch viel tolle Musik: Barry White’s Love Unlimited Orchestra mit seinem luxuriösem symphonischen Soul (von 1973, also eigentlich Pre-Disco) Chic mit ihrer eleganten funkyness, die von Chic produzierten Sister Sledge, außerdem Gloria Gaynor, Thelma Houston mit Don’t Leave Me This Way, Donna Summer, die dank Giorgio Moroder mit I Feel Love stilistisch völlig aus der Art schlägt und als Querschläger der Non-Disco Act Blondie mit Heart Of Glass. Das tolle Young Hearts Run Free von Candi Staton kannte ich tatsächlich noch gar nicht und wie und warum ich Got To Be Real von Cheryl Lynn je vergessen konnte, verstehe ich nicht.
Man hört hier, warum Disco ab Mitte der 70er auf dem dancefloor, im Radio und in den Charts so populär und dominant war. Das ist perfekt produzierter, strahlend glitzernder Pop, geht unmittelbar ins Ohr und in die Beine und bleibt da hängen. In dieser Dichte auf dieser Box kann man aber auch nachvollziehen, warum es irgendwann zum backlash kam. Manchmal wirken die Instrumental-Tracks wie vom Fließband. Mehr oder weniger funky grooves, Bläser, Streicher, darüber vocals, die „Shake Your Booty“ oder „Shake Your Groove Thing“ skandieren. Penetrant gute Laune von der Stange. Der No. 1 Hit The Hustle klingt wie zuckriges easy listening, über Silver Convention’s Fly Robin Fly hatte ich mich schon vernichtend geäußert und YMCA von The Village People ist sowieso in Sportstadien und Ü 50-Partys kaputt-gegröhlt – wobei mindestens in Deutschland wohl kaum jemand verstanden hat, dass die Village People stereotype schwule Männerfantasien verkörperten.
DISCO 75 bietet eine zeitlich eng eingegrenzte, aber musikalisch vielfältige Auswahl mit vielen weniger bekannten Stücken. Bei THE DISCO BOX ist es umgekehrt: Die deckt mehr als ein Jahrzehnt ab, ist stilistisch weniger weit gespreizt und versammelt vor allem große Hits. Die einzige Überschneidung der DISCO BOX mit DISCO 75 ist Shame, Shame, Shame von Shirley & Company.
Muss man THE DISCO BOX haben? Wenn man DISCO 75 hat, ist die DISCO BOX fast wie der Komplementärkontrast dazu und umgekehrt. Beide Boxen bieten Disco, aber beide Boxen nehmen auch eine ganz andere Perspektive auf Disco ein.
--
“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)