Antwort auf: Abbey Lincoln – That's Her! (1930–2010)

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vorgarten

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maya angelou (1928-2014)

ein kleiner exkurs, von @gypsy-tail-wind eingefordert ;-), weil angelous und lincolns karrieren – neben einer engen freundschaft zwischen 1957 und 1961 – auf interessante weise parallel verliefen, es von angelou allerdings einen umfangreichen autobiografischen bericht gibt. die idee einer wechselseitigen erhellung führt allerdings nicht allzu weit, weil sich angelous 7-bändiges autobiografisches werk einige literarische freiheiten nimmt, außerdem dezidiert nur für sich selbst sprechen möchte und nicht als allgemeingültige schilderung weiblicher afroamerikanischer lebenswege dieser zeit verstanden werden will (es gibt auch kein personenregister und die zeitangaben im text sind spärlich).

angelou und lincoln lernten sich 1957 in westlake (stadtviertel von l.a.) kennen, angelou war dort als alleinerziehende mutter nach einer europa (plus ägypten und israel)-tour mit dem „porgy&bess“-ensemble in der näher ihrer mutter gestrandet und kam mehr schlecht als recht als nachtclubsängerin mit einem calypso-novelty-act über die runden, den sie anfang der 50er in einem strip-lokal entwickelt und nachher im berühmten „purple onion“ weiter ausgebaut hatte. in diesem kontext die erste parallele: lincoln, deren supper-club-programm 1956 zu einer filmnummer in THE GIRL CAN’T HELP IT und anschließend zum liberty-debüt ABBEY LINCOLN’S AFFAIR führte (bevor sie nach london ging und kurz mit dem musical JAMAICA auf tour war) – angelou, deren calypso-nummer im zuge des welthits von harry belafonte (CALYPSO, 1956, rca) plötzlich in mode kam, nimmt ebenfalls für liberty ihr debütalbum MISS CALYPSO auf und präsentierte zwei nummern in dem film CALYPSO HEAT WAVE (1957).

man kann in diesen szenen ihren vom tanz kommenden performativen ansatz gut nachvollziehen, aber den film erwähnt angelou in ihren büchern mit keinem wort, und von dem album nur, dass sie darauf ein paar selbst geschriebene songs eingespielt hätte.

mit den songs fängt das eigene schreiben an. der autor john killens überredet sie, nach new york zu kommen und sich dort für die harlem writer’s guild zu bewerben. lincoln ist bereits dort, mit max roach zusammen und unterstützt den umzug, den angelou mit ihrem sohn 1959 wagt.

ihr vorerst letzten gesangsauftritt absolviert angelou im harlemer apollo, sie skandiert mit olatunji auf swahili „freiheit“ („uhuru“) und wider erwarten macht das publikum mit. ihr zweiter versuch, ihre miete in new york zu bezahlen, ist der entwurf einer revue, die sie, nachdem sie martin luther king hat predigen hören, dem sclc (southern christian leadership conference)-büro als fundraising-gelegenheit verkauft. sie und der komiker godfrey cambridge nennen die revue „cabaret of freedom“ (parallel nehmen roach und lincoln die „freedom now suite“ auf), sie läuft den sommer 1960 über im village gate, mit verschiedenen gästen, z.b. mit ernestine anderson und mal waldron:

die meisten beteiligten künstler:innen waren danach wieder arbeitslos, angelou bekommt vom sclc das angebot, als koordinatorin für den norden zu arbeiten, was sie 6 monate lang macht und dabei natürlich auch ihren chef martin luther king kennenlernt.

mit abbey lincoln und rosa guy gründet angelou ende 1960, anfang 1961 die CAWAH (cultural association for women of african heritage), um als weiblicher talentpool fundraising-veranstaltungen für die sclc zu ermöglichen. in ihren feminismus-vorstellungen gehen angelou und lincoln ziemlich auseinander. lincoln sieht die entmännlichung der schwarzen männer durch den rassismus als grundproblem an, angelou fordert auch gegenüber den eigenen männern eigene freiheiten und bewegungsspielräume (das kapitel ist relativ traurig, angelou nimmt immer wieder jobs an, um selbstständig zu sein, die sie aber sofort wieder aufgibt, sobald sich ein mann an sie bindet, so auch den sclc-koordinationsjob). gemeinsam protestieren sie gegen das verschweigen der ermordung lumumbas im januar 1961 vor den vereinten nationen. in dieser zeit lernt angelou den südafrikanischen pac-lobbyisten vusumzi make kennen, mit dem sie 1961 nach ägypten geht, sich aber dort ein jahr später wieder trennt und sich in ghana schließlich als journalistin etabliert.

das traurige schlusskapitel der gemeinsamen new yorker zeit von lincoln und angelou ist die vorbereitung der off-broadway-inszenierung von jean genets THE BLACKS, für die max roach die musik schreibt und angelou und lincoln neben u.a. cicely tyson, lou gossett, james earl jones, roscoe lee brown und godfrey cambridge als darstellende engagiert werden (die produktion läuft im st. marks playhouse überaus erfolgreich mit 1400 vorstellungen). am tag der premiere zieht roach seine musik zurück und verbietet lincoln den auftritt (die weißen produzenten hatten ihre absprachen nicht erfüllt). angelou schreibt in ein paar stunden mit lincolns zweitbesetzung die songs der aufführung (und wird dafür nie bezahlt).

(maya angelou als „white queen“ in THE BLACKS, 1961)

angelou stellt abbey lincoln als ziemlich in ihrer ehe absorbiert dar, sie und roach gehören zu ihren engsten freunden, man trifft sich in deren luxuriöser penthouse-wohnung, sie nehmen in der zeit „komplizierte musik“ auf. der literarische trick von angelou in ihren autobiografischen büchern ist, jeweils ihre perspektive der erzählten zeit zu übernehmen und meist stellt sie sich als ziemlich naive, oft nur bluffende frau dar, die oft unverschämtes glück hat und trotzdem viele schlechte lebensentscheidungen trifft. wenn man genauer liest, merkt man, wie konsequent einzelne themen und motive entwickelt werden, ohne dass sie jemals in ein philosophisches räsonieren verfällt – es ist einfach die frage, was sie erzählt und was sie – aus motivischen gründen – nicht erzählt (wozu einige freundschaften zählen, auch z.b. plastische erzählungen der künstler:innenszene der zeit, in der sie ja selbst nicht als künstlerin arbeitet). das grundthema ist natürlich ihre völlig unwahrscheinliche entwicklung aus der situation eines von den eltern zur großmutter in den süden abgeschobenen, nicht sonderlichen hübschen mädchens, das verschiedene traumatische erfahrungen macht, durch die literatur aber immer ein grundvertrauen in alternativen und mögliche utopien behält. krass ist ihre darstellung von weißen menschen (aus der erfahrung der segregation heraus), in deren gegenwart sie sich fast immer unwohl fühlt – man liest sogar clintons überschwengliche umarmungen nach ihrem vortrag zu seiner inauguration („a rock, a river, a tree“) als cringe-moment, wenn man ihre perspektive kennt:

das ist natürlich der moment, in dem sie in ganz usa berühmt wird. in deutschland war bis vor kurzem nur der erste teil der bücher, „i know why the caged bird sings“ (den titel wird sich abbey lincoln später für eine komposition ausleihen), übersetzt – nun erscheinen bei suhrkamp nach und nach auch die anderen (zwei fehlen immer noch), was wahrscheinlich mit dem black-lives-matter-momentum zu tun hat.

die bücher lesen sich ein bisschen wie im rausch. am bescheidenen ton, der vor allem die minderwertigkeitskomplexe herausarbeitet, kann man allerdings überhaupt nicht die wirkung eines anderswo archivierten angelou-vortrags abschätzen, wie dem hier z.b.:

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