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Gestern spät hörte ich die erste CD, jetzt die zweite vom Avid-Set von Lena Horne. Los geht’s mit „Stormy Weather“ (RCA, 1957). Jazzgesang ist das wohl nicht – aber darüber, dass Horne eine klasse Sängerin war, brauchen wir hoffentlich nicht zu diskutieren! Die Stimme ist toll, Horne weiss sie einzusetzen, hat grosses Charisma, hervorragende Diktion, super Timing usw. Da sitzt wirklich alles.
Das ist auch nochmal sehr anders, als wie ich Eartha Kitt höre – obwohl ich da wirklich zu wenig weiss, aber das hört sich halt nach grosser Bühne im poshen Nachtclub an, wie wir ihn aus Filmen kenne, sowas mit dutzenden wenn nicht hunderten Tischen, Tanzfläche in der Mitte, grosser Bühne dahinter usw. Horne war das aber auch schon lange im Geschäft – mehr als zwei Jahrzehnte. Mit Jahrgang 1917 stiess sie 1933 zur „chorus line“ im Cotton Club und wirkte in den Dreissigern auch schon in ersten Filmen mit. Horne war also, als sie in den Fünfzigern ihre ersten grossen Platten machte, bereits um die Vierzig und eine gestandene Künstlerin und Performerin – und eine, die das auch nutzte und sich nicht versteckte.
Da ich gerade bei Eartha Kitt war (hier und ein paar Posts drunter nochmal), drängt sich irgendwie der Vergleich auf, und das soll nun echt kein Vorwurf an Kitt sein, aber in dem Kontext kommt es mir bei Kitt und ihrem „kitten“-Spiel halt ein wenig vor, als hätte sie, die immerhin auch schon 1927 zur Welt kam, in den Fünfzigern noch immer das Mädchen junge gespielt – von solchem Rollenspiel ist Horne sehr weit weg und wirkt auf mich ungleich souveräner.
Line-Ups zu den Bands, die Lennie Hayton auf den ersten beiden Alben leitet, finde ich nur auszugsweise (bei Bruyninckx, das ist neben Online-Diskographie die einzige, die ich in einer veralteten Version hier habe) – „Stormy Weather“ taucht dort nicht auf, aber für das zweite Album, „Give the Lady What She Wants“ (RCA, 1958), sind Sessions aufgeführt (Juni bzw. „ca mid 1958“), und da tauchen Namen wie Al DeRisi, Jimmy Maxwell, Doc Severinson, Frank Rehak, Billy Byers, Eddie Bert, Romeo Penque, Al Cohn, Eddie Caine, Danny Bank, Gene DiNovi, George Duvivier und Osie Johnson auf.
Zwischen die zwei Alben passt auch noch die EP „Lena Horne at the Cocoanut Grove“ (RCA, 1958) mit vier Stücken, darunter „The Surry with the Fringe on Top“. Die Bands klingen auch wirklich so gut, wie die Namenliste oben das ahnen macht. Die Arrangements sind aber nicht über jeden Zweifel erhaben, auch wenn für Album Nr. 2 (nicht von Horne, nur vom Avid-Set) Ralph Burns (neben Hayton) ziemlich viel arrangiert hat.
Das Live-Album (?) „Lena Horne at the Waldorf Astoria“ (gleicher Waldorf-Clan wie der von den Anthroposophen?) entstand schon im Februar 1957, ist hier aber aus Zeitgründen an den Anfang von CD 2 gestellt – und hier ist für einmal Avids LP-Transfer ziemlich ruppig, klingt etwas dumpf und die LP ist alles andere als geräuschfrei. Musikalisch ist das aber klasse, Hornes Stimme klingt halt leider auch nicht so glänzend, wie sie es verdient hätte, aber ihr Gesang ist hervorragend!
Hier ist das Orchester von Nat Brandynne zu hören, unter der Leitung von Hayton. Und von Brandwynne gibt es einen kurzen Abstecher zu Abbey Lincoln:
The band leader, his first name was Nat, at the Waldorf-Astoria, he came to visit me at the Village Vanguard and he took me to see Lena Horne at the Waldorf-Astoria, and it was a changing point in my life. I’d never seen her in person, and I’d been compared to her. They compared everybody to Lena then. Barbara McNair, Diahann Carroll.
I saw this absolutely original woman on stage who sang „Evil Spelled Backwards means Live.“ She was brilliant. Changed my life. I knew that I was never going to be anything like Lena. I was just going to be myself, like she was herself.
(S. 46 hier: https://americanhistory.si.edu/sites/default/files/file-uploader/Abbey-Lincoln-Transcription-2020.pdf)
Das Album vermittelt jedenfalls einen hervorragenden Eindruck davon, wie toll das live gewesen sein muss. Das ist Show, und auch Horne singt zwischendurch mal etwas Spanisch, die Band stompt zwischendurch kurze Segues (immer „How About You“, das machte James Brown ein paar Jahre später ja mit einem Stück von Tadd Dameron oder Morgans „The Sidewinder“ auch gerne so), das ist total mitreissend, getragen von einem hervorragenden Drummer, den man zum Glück auch bei dem zu wünschen übrig lassenden Transfer sehr gut hören kann. Und Raum für ein paar Balladen ist da auch noch – Höhepunkt für meine Ohren vielleicht das Ellington-Medley mit einem wunderschönen „Mood Indigo“, auf das „I’m Beginning to See the Light“ folgt.
Album Nr. 4 im Avid-Set ist dann „A Friend of Yours (Songs by Burke and Van Heusen)“ (RCA, 1959), für das Johnny Burke auch die Liner Notes schrieb (da ist das Avid-Set wie üblich: keine Line-Ups, keine Aufnahmedaten, dafür die Liner Notes der vier Alben, die ausser denen von Burke alle generisch und knapp gehalten sind – und ordentlich misogyne Formulierungen, die natürlich nie so gemeint waren [augenroll], enthalten: „Forget the beautiful face, the graceful hands, the fabulous clothes sense, the warmth of her eyes, the intimacy of the smile. Forget Lena Horne and just listen … and she will come right to you and lead you down the enchanting pathway of song“ schreibt John Chapman am Ende der Liners zu „Give the Lady…“ – alles sehr ambivalent, klar, denn manches, was er da in zum Glück unmöglich gewordenen Worten formuliert, spielt ja bei Gesang wirklich eine ganz entscheidende Rolle).
Die Arrangements sind hier wieder von Burns und Layton – die Line-Ups unbekannt, aber auch da sind bestimmt wieder viele erstklassige Jazzer dabei (das Altsax in „A Friend of Yours“ könnte z.B. durchaus von Phil Woods stammen?). Der Klang ist wieder besser, wie bei den Aufnahmen auf CD 1 – aber das Angebot, das solche Billig-Releases machen ist ja eh nur noch für die letzten „CD-Spinner“ (so heisst das im Forumsjargon wohl?), das kann man wohl alles auch Streamen. Im direkten Vergleich mit dem Live-Album ist das recht anders, entspannter, irgendwo zwischen Basie-Swing und Balladen. Und mir ist in Hornes Gesang hier öfter mal eine Spur zu viel und zu hartes Vibrato – aber klar, sie macht auch das wieder hervorragend; Intonation, Phrasierung usw. sind einfach perfekt, da gibt es nichts zu mäkeln. Und es gibt auch hier ein paar Songs, die mächtig Dampf entwickeln, z.B. „My Heart Is a Hobo“. Sonst sind einige der bestbekannten Songs des Komponisten-Duos dabei: „Like Someone in Love“, „But Beautiful“, „It Could Happen to You“, „Polka Dots and Moonbeams“, aber auch einige, die mir nicht weiter bekannt sind – auch repertoiremässig ein durchaus attraktives Album.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba