Antwort auf: Die besten Vocal-Jazz-Alben und Vocal-Jazz-Tracks

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gypsy-tail-wind
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Ein kleiner Abstecher in den Blues bzw. den Rhythm and Blues – Teil 1/2 mit Eddie „Lockjaw“ Davis.

Ich kenne nur zwei Alben, die mit dem Untertitel „Eddie ‚Lockjaw‘ Davis Showcases“ versehen sind: „Hear My Blues“ von Al Smith und „Person to Person“ von Mildred Anderson. Smith war ein Gospelsänger, der Lockjaw bei einer Jamsession im Key Club in Newark so sehr beeindruckte, dass er im September 1959 dieses Album mit einer leicht abewandelten Cookbook-Band (Lockjaw-ts, Shirley Scott-org, Wendell Marshall-b, Arthur Edgehill-d) organisierte (die „supervision“ lag bei Esmond Edwards). Das ist echt schön, Smith hat einen fliessenden Tenor und macht seine Sachen für einen 23jährigen, der damals noch gar kein richtiger Profi war (und das auch nicht zu werden plante), wirklich gut. Da sind Gospel-Elemente drin, auch die Musik geht oft in die Richtung von „sanctified“ Grooves, das rollt alles richtig gut. Das zweite Bluesville-Album, das er dann noch machte, muss ich mal noch in die Finger kriegen (gab’s auch als OJCCD wieder bze. wie heissen dann ja Original Blues Classics, OBCCD). Fünf der acht Songs stammen von Smith, den Auftakt machen zwei der anderen, „Night Time Is the Right Time“ und „Pledging My Love“, an zweitletzter Stelle steht die dritte Fremdkomposition, „Never Let Me Go“ (später auch Titelstück eines Blue Note-Albums von Stanley Turrentine mit Shirley Scott).

Im Januar 1960 fand die Davis/Scott-Band, jetzt mit George Duvivier am Bass (die Cookbook-Band, halt ohne Jerome Richardson, der ja bei Smith auch nicht dabei war), wieder bei Van Gelder ein, Edwards war erneut mit dabei. Im Vergleich zum goldenen Fluss von Smiths Tenor ist die Altstimme von Mildred Anderson richtiggehend ruppig, exaltiert, zupackend, und das gleich im Opener, „I’m Gettin‘ Long Alright“. Auch sie hat ein eigenes Stück dabei, „Hello Little Boy“ (sie hat ihn gemäss den Liner Notes von Dale Wright schon 1955 geschrieben), singt aber auch ein paar Klassiker wie den Titelsong oder den „Kidney Stew Blues“. Anderson war kein Neuling mehr, sie hatte 1946 die High School in Brooklyn abgeschlossen und einige Runden durch die Nachtclubs gedreht, bevor sie in den frühen Fünfzigern zur Band von Bill Doggett stiess: „It was a ball. Bill was – and is – a wonderful musician and showman and I learned a lot with him and his group.“ – Musik und Showwomanship finden auch bei Anderson sehr gut zusammen. Dafür dünkt mich, hält Davis sich etwas mehr zurück, spielt ein paar Mal mit verschatteterem Ton als üblich, hält sein meterbreites Vibrato etwas im Zaum – denn den Part übernimmt hier schon die Frau am Mirko. Und sie hat das vollkommen im Griff. Al Einflüsse nennt sie „Ella and Dinah and Hibbler“.

Das zweite Prestige/Bluesville-Album von Mildred Anderson ist dann da (sie und Smith machten je zwei – und von den Line-Ups her gehören sie jeweils zusammen), anders als bei Smith. Es entstand schon im September 1960 mit Al Sears (ts), Robert Banks (org), Lord Westbrook (g), Leonard Gaskin (b) und Bobby Donaldson (d) wieder bei Van Gelder, Ozzie Cadena hat es produziert (Smiths zweites kam schon im August, ähnliche Band, aber mit King Curtis und Jimmy Lee statt Sears und Westbrook). Das ist ein second helping, dieses Mal mit zwei eigenen Songs: „Everybody’s Got Somebody but Me“ und „Mistreater“ (wer „Hard Times“ geschrieben hat, das Esmond Edwards zugeschrieben ist, ist eine andere Frage). Auch Klassiker gibt es wieder ein paar, darunter „Roll ‚em Pete“, „That Ole Devil Called Love“, Basie/Greens „I Ain’t Mad at You“ und Lee/Barbours „What More Can a Woman Do“. Es gibt auch einen Song mehr und im Gegensatz zu der gut halbstündigen Spieldauer der beiden Lockjaw Showcases dauert dieses Album etwas mehr als 36 Minuten. Die Musik ist allerdings wesentlich weniger jazzy. Sears‘ Spiel ist robust und einfach – die Nuancen liegen bei ihm in der Tongestaltung, nicht in den Linien oder den harmonischen Tricks oder so (Davis hat das alles drauf, auch wenn er manchmal relativ einfach scheinen mag) – und die Band spielt basic Blues, Donaldson schlägt die 12/8-Beats im Opener leicht und doch scher, Westbrook spielt mit Twang, Gaskin ist rock solid, doch fehlt ihm die Eleganz von Duvivier, die auf dem ersten Album manchmal echt bestechend ist (wenn man denn drauf achtet). Aber da ist auch Platz für eine wahnsinnig schöne Ballade, „No More in Life“ (Doggett/Adams/Adams) in der Anderson richtig überzeugend ist (und Westbrook eine ganz andere Gitarre spielt als sonst). Das ist nicht schlechter – es ist vor allem anders und auf seine Art auch ziemlich super.

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