Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Herb Jeffries – Say It Isn’t So | Gestern Spät noch dieses Crooner-Album von Herb Jeffries, dem ersten singenden Cowboy of Colour in Hollywood, der auch ein hervorragender Balladensänger mit einer schönen Baritonstimme (klasse Tiefe!) war. Bei mir taucht er in den Dreissigern mit Earl Hines und dann v.a. Anfang der Vierziger mit Duke Ellington auf. Das ist das einzige Album, das ich habe – und nachdem die zwei Capitol-Alben (plus ein paar Singles, und ein paar Segmente von Proben gibt es auf der Doppel-CD auch noch) neulich so gefielen, dachte ich, ich nehme hier auch wieder mal einen Anlauf. Die besten Songs hier können mit Haymes schon mithalten, dünkt mit („Angel Eyes“, „If You Could See Me Now“, Titelstück/Opener von Irving Berlin …) – aber wie bei Haymes und nochmal stärker als bei diesem fällt auf, dass Jeffries es nicht so mit rhythmischer Akzentuierung hatte (etwas, worin Sinatra z.B. ein Grossmeister war). Schön ist das trotzdem, die Arrangements von Russ Garcia sind zurückhaltend und dankenswerterweise nie überladen.

Jetzt bin ich wieder bei Mary Ann McCall … das 2-CD-Set oben enthält ein paar frühe Sachen, die ich neulich schon von ihrer Hep-CD bzw. aus dem Mosaic-Set mit den Granz-Aufnahmen von Charlie Ventura (und Flip Phillips) angehört habe (vom Hep-Set fehlt die frühe Discovery 10″, die 1947/49 aufgenommen wurde). Hauptsächlich sind hier aber drei LPs enthalten:

Auf CD 1 nach den genannten Sessions noch Easy Living (Regent), das im Sommer 1956 mit einer Combo unter der Leitung von Ernie Wilkins aufgenommen: Joe Wilder-t, Zoot Sims, George Barrow und Seldon Powell-ts, Sol Moore-bari, Nat Pierce-p, Wendell Marshall-b und Kenny Clarke-d (auch dabei sind die zwei Stücke, die auf der LP „Almost Like Being in Love“ landeten, auf der sonst Kay Starr mit vier Songs, Mildred Bailey und Marion Morgan wie McCall mit je zwei Songs zu hören sind). Wilder glänzt da und dort in bester Edison-Tradition (er hatte etwas weniger Biss als dieser, aber vielleicht den noch schöneren Ton), da und dort sind auch die Tenorsaxophone zu hören (auch mal in einer kurzen Chase). Das Programm ist mehr oder weniger Standard, aber es gibt ein paar eher selten zu hörende Songs: „Shake Down the Stars“, „Deep Purple“, „It’s been So Long“, „It Must Be True“ (die letzten zwei sind die von „Almost Like Being in Love“).

Auf CD 2 geht es los mit Detour to the Moon (Jubilee), im März 1958 bei zwei Sessions mit Teddy Charles aufgenommen, die erste mit Charles McCracken-vc, Walt Tramler-vla, Jimmy Raney-g und George Duvivier-b eher ungewöhnlich besetzt, die zweite mit Mal Waldron-p, Raney, Duvivier und Jerry Segal-d wiederum konventioneller, arrangiert haben neben Charles auch Bill Russo, Bob Brookmeyer, Raney und Waldron. Das ist ein Mond-Themenalbum, wie Mel Tormé es dann auch machte („Swinging on the Moon“) – geht aber mit „Detour Ahead“ los, danach u.a. „Moonglow“, „Blue Moon“, „It’s Only a Paper Moon“, „No Moon at All“ und auch „The Moon Was Yellow“ (auch hier ein Highlight), diverse Überschneidungen mit Tormé (der ein paar Jahre später dran war). Das letzte Album ist dann Melancholy Baby (Coral), das im März 1959 mit Johnny Richards entstanden ist. Es gibt dreimal vier Stücke, einmal mit richtig grosser Besetzung, einmal mit Burt Collins-t, Frank Socolow-ts, John Knapp-p, Joe Venuto-vib, Barry Galbraith-g, Chet Amsterdam-b und Ed Shaughnessy, und zuletzt mit Bill Slapin-fl, Billy Byers-tb, Knapp, Amsterdam, Shaugnessy und acht Celli. Hier gibt es auch einige Klassiker zu hören: „Am I Blue“, „The Thrill Is Gone“, „Melancholy Mood“, „Trouble Is a Man“ … das typische Repertoire, das Abbey Lincoln irgendwann nicht mehr singen mochte. Interessante Frage vielleicht, ob das alles, diese Schmemenkorsett, die Rolle des Leidens, für eine weisse Sängerin (die zudem harte Jahre mit Big Bands hinter sich hatte) weniger übel waren als für eine Lincoln mit ihrem Hintergrund? Also vielleicht die Frage nach dem Handlungsspielraum als Akteurin, von dem eine Weisse halt bestimmt viel mehr hatte … keine Ahnung.

Ich höre die drei Alben gerade zum ersten Mal … aber klar, das ist gut, die Stimme sagt mir eh zu, die Arrangements sind echt gut … es ist ja ein Trugschluss, „Jazzgesang“ an der Begleitmusik festzumachen, aber sowas sagt mir am Ende halt schon deutlich mehr zu als als z.B. Jeri Southerns oder Carmen McRaes Aufnahmen mit irgendeinem der „professionellen“ NY-Studio-Arrangeure – auch wenn die zwei mir als Sängerinnen lieber sind.

Von Carmen McRae guckte ich gestern auch noch den Jazz Casual-Auftritt (hab ich auf DVD da) und da stellt Ralph Gleason ihr die Gretchen-Frage, was denn eine Jazzsängerin ausmache bzw. sei? Sie meinte zunächst, das seien halt die, die sich selbst einbringen würden, die Melodie mal etwas ändern – das vertieft sie aber nicht gross, fügt an, dass es schwer sei, eine Melodie genau wie geschrieben zu singen – und noch schwerer sei es, das zu tun, und sich dabei dennoch einzubringen – dem Song den eigenen Stempel aufzudrücken quasi, ohne sich dazu Freiheiten zu nehmen, die quasi nicht in den Noten stehen. Bei Gleason wird ja von der Form her eher geplaudert als dass Dinge vertieft würden, er fragt denn auch nicht weiter (aber er hat es ja schon drauf, diejenigen Fragen zu stellen, die zu interessanten Aussagen führen, das ist keinesfalls zu unterschätzen).

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