Antwort auf: Wörter und Unwörter – Der gepflegte Stilistik-Thread

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jan-lustiger

Registriert seit: 24.08.2008

Beiträge: 11,150

waArbeiter und Arbeitende sind aber synonym, es sind Leut*innen, die eine körperliche Arbeit verrichten. Arbeiter ist kein Beruf. Und eine Klasse ist es hoffentlich auch nicht mehr. Und eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten gibt es ja hoffentlich auch nicht mehr.

„Arbeiter“ sind allgemein Personen, die körperliche Arbeit verrichten, nicht notwendigerweise in einem Lohnverhältnis, das stimmt. Aber im Kontext des politischen Diskurses, auf den mein Beispiel verweist (dass es bei der von mir beschriebenen Praxis Sinn macht, zur Veranschaulichung einen Begriff zu nehmen, der in linken Kreisen geläufig ist, liegt daran, dass sie ihren Ursprung in neulinker Academia hat), eben schon. Was für den Begriff „Arbeiter“ irrelevant ist, ist, ob der „Arbeiter“ im beschriebenen Moment arbeitet. „Arbeitende“ hingegen ist eine Substantivierung des Partizip Präsens. Das Partizip Präsens beschreibt eine Tätigkeit, die im beschriebenen Moment ausgeübt wird.

Natürlich gibt es Beispiele, in denen sich ein substantiviertes Partizip bereits vor der Genderdebatte als allgemeine Bezeichnung eingebürgert hat, den Vorsitzenden zum Beispiel. So einfach, dass alle Regeln zu jeder Zeit 100%ig greifen, macht es uns Sprache nicht. Aber das sind bereits etablierte Ausnahmen, während das Partizip als Beitrag zur Genderneutralität den Anspruch auf eine generelle Gültigkeit dieser Aufhebung des zeitlichen Aspekts, wie sie beim „Vorsitzenden“ passiert, erhebt. Und das würde eine m.E. praktische Unterscheidungsform wenn nicht neutralisieren, dann zumindest extrem verkomplizieren. Und das finde ich halt nicht gut.

Die wirtschaftspolitischen Implikationen der Teile deiner Argumentation, die du mit dem Wort „hoffentlich“ versehen hast, sehe ich kritisch, sie haben aber keine Relevanz für mein Argument. Es ging mir um ein gängiges Beispiel und es machte Sinn eines aus dem linken politischen Diskurs zu nehmen. Und innerhalb linker Kreise werden „Arbeiter“ oder „Arbeiter*innen“ durchaus noch als Klassenkategorie verwendet. Zurecht, wenn du mich fragst. Aber das ist der falsche Thread dafür.

(Und das mit den Leut*innen ist hoffentlich der schlechte Witz, nach dem es aussieht.)

clauDann sind „Auszubildende“ keine „Auszubildenden“ mehr, wenn sie zu Hause sind?

Nein. „Auszubildende“ sind Personen, die es auszubilden gilt. Gehen Azubis nach einem Ausbildungstag nach Hause, gilt es immer noch, die Ausbildung fortzuführen. Haben sie ihre Ausbildung hingegen abgeschlossen, gilt es nicht mehr, sie auszubilden. Also hören sie erst dann auf, Auszubildende zu sein.

„Auszubildende“ taugt deswegen nicht als Gegenbeispiel, weil es sich um eine Sonderform des Partizips handelt, die eine Notwendigkeit beschreibt. Es ist so lange gültig, bis die Notwendigkeit nicht mehr besteht. Hier ist es die Notwendigkeit, dass der Bursche oder das Mädel ausgebildet wird, damit er oder sie einen anständigen Beruf ausüben kann. ;)

Aber wie gesagt: Es gibt Gegenbeispiele. Der Kern meiner Kritik liegt darin, dass im genderneutralen Partizip eine Verallgemeinerung vorgenommen wird, für die es Alternativen gibt (das neutrale Maskulinum oder das Gendersternchen – je nachdem, wen man fragt), während das Partizip Präsens gerade durch seinen zeitlichen Bezug eine sprachliche Vereinfachung darstellt. Daher führt die Einführung des allgemeinen genderneutralen Partizips m.E. zu einer unnötigen Verkomplizierung.

Ich fühle mich by the way nicht getriggert oder zu irgendwas gezwungen, wenn jemand das trotzdem nutzt. Dies ist kein Beitrag zum Kulturkrieg.

zuletzt geändert von jan-lustiger

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