Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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so wie ich es verstanden habe, ist der Punkt, dass z.B. keine Silbe im Gesang länger oder anders betont/gewichtet werden soll/darf (je nach Grad des Dogmatismus) als in der gesprochenen Sprache. „Fluss“ ist da vielleicht ein blödes Wort, denn Fluss gibt es dann eben auch so, wie es ihm beim Sprechen gibt oder nicht gibt. Und beim Bühnenfranzösisch gibt es den Fluss eben seltener als wenn jemand wie der junge Gainsbourg ein Chanson fabriziert hat.

Vielen Dank, @gypsy-tail-wind. Und auch @cloudy Das sind dann also wirklich dogmatische Fragen, die in der Verslehre bzw. in der „Rhetorik“ – also nicht der Mülleimereinschleimungswirtschaft – doch sehr ewig lang verhandelt wurden. Wie soll man sprechen? Wie singen? Das Problem ist, dass sich der Fluss auch in einer – aus dem Alltag unseres Sprechens betrachtet – sehr „gekünstelten“ Weise herstellen kann. Nimm Paul Celan. Hast Du ihn einmal gehört, wie er die „Todesfuge“ vorträgt? Ja, das ist ein Vortrag, kein Rezitieren. Eine Deklamation, für die ihn die Herrschaften der Gruppe 47 ziemlich gerügt haben, nun ja, das war ein seltsamer Klub. Und nehme ich Racine-Aufnahmen der Compagnie Marie Bell aus den 60ern – erkenne ich sofort die deklamatorische Abhebung vom natürlichen Sprechen. Man kann da weit zurückgehen bis mindestens zur Diskussion um Attizismus und Asianismus, um Klassizität vs. Manierismus. Ein Fluss aber stellt sich auch in der Deklamation her; könnte man also sagen, dass die Dogmatiker mit ihrer Silbenmesserei (das allein ist schon ein seltsames Ding, Betonung ist nicht gleich Gewichtung, die Griechen haben, wie man uns weismachen will, auch im Alltag nur gesungen, weil sie keine Betonung kannten, sondern nur Längen und Kürzen). Nuja. Ich erwähne das nur, weil in der damaligen Querelle des Anciens et des Modernes gerade Rameau eine harmonische Stimme mitreden wollte. Vertrackt.

Und dann gibt es ja noch die Musik. Und die Frage, wann überhaupt das Individuelle auf den Plan getreten ist. Ich glaube nicht, dass das bereits Monteverdi war, das Individuelle ist die Definition der Romantik. Da hat sich viel verändert, und die Romantiker haben den Unterschied zwischen normalem Sprechen und Kunstsprechen ausbaden wollen.

Und der Chanson war dann endlich das, bei dem man sich um all das nicht kümmern musste. Und das tut gut, p. ex. Barbara.

Mein Hören französischer Klassik in der Musik bleibt wohl: Ich kann gerade die Liedmusik und auch übrigens Débussy kaum hören, wenn sie um 1900 herum geschrieben wurde. Die Alten sind mir in ihrem angestrengten Klamauk viel näher. Aber inzwischen auch nicht wirklich nah.

Das passt alles nicht in die Rubrik „Ich höre gerade …“.

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