Antwort auf: Abbey Lincoln – That's Her! (1930–2010)

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vorgarten

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gypsy-tail-windDas würde mich überraschen … habe ein paar einfach zu findende Artikel und v.a. das Gespräch mit Lincoln vom Oral History Project ausgeschlachtet – letzteres teils etwas umsortiert, da sie etwas in der Chronologie herumspringt.

mal abgesehen davon, dass ich nicht wusste, wie der „elks club“ und das moulin rouge zu der zeit ausgesehen haben und ich auch nicht die bio von eddie beal recherchiert habe (danke dafür!), kannte ich die single noch nicht. beide stücke sind wirklich erstaunlich, lincoln klingt da eigentlich klarer und selbstbewusster als nach der bob-russell-zeit. interessant auch die mitsummende (weiße) vokalband the stardusters, die ja in den 40ern ziemlich stars gewesen sein müssen (und auch mal billie holiday begleitet haben).

auch barakas stück über lincoln habe ich wohl noch nie gelesen. sie ist da noch etwas offener, scheint mir, wenn es um bestimmte erfahrungen geht.

außerdem hast du lincolns familiengeschichte besser verstanden als ich, glaube ich (die mütterliche vs. väterliche linie, der unterschied von urgroß- zu großeltern etc.). beim großvater väterlicherseits (der nicht nur wegen mordes im knast war, sondern von lincoln auch mit sexuellem missbrauch in zusammenhang gebracht wird) beginnt ja offenbar die erfahrungskonstante der übergriffigen männer, über die sie ja kein blatt vor den mund nimmt – die vergewaltigung beim date, die permanente gefahr für eine junge gutaussehende frau in dem business.

einzige korrektur: THE GIRL CAN’T HELP IT (1956) ist von frank tashlin, und das ist insofern wichtig, weil es die einfache lesart (ein film mit frauen, die ihre großen oder aufgepolsterten brüste in monroe-kleidern präsentieren und danach stars sind oder auch nicht) nicht zulässt oder zumindest verkompliziert. tashlin kam ja von der cartoon-produktion und war später gag-schreiber für die marx brothers, seine perspektive auf popkultur in dem film ist einerseits voller grafischer übertreibungen, andererseits auch von einer punk-haltung und einem unorthodoxen schönheitssinn geprägt. john waters hat das aus queerer perspektive (aber eigentlich aus der perspektive des 10-jährigen jungen, der sich damals in den film verliebt hatte) hier alles sehr unterhaltsam aufgedröselt:

eigentlich erzählt der film ja die geschichte eines abgehalfterten star-agenten, der julie london zum durchbruch verhalf (also bobby troupe, der ja die musik zu THE GIRL… schrieb) und nun die untalentierte geliebte eines mafia-bosses in 6 wochen zum star machen soll. jayne mansfield ist dann die cartoon-übertreibung einer einfältigen blondine, wobei sie im schauspiel deutlich macht, dass sie das weiß (waters sagt: eine dragqueen von innen). die musikwelt, durch die der agent sie führt, befindet sich im umbruch, weswegen ja auch die beatles und ganz andere leute fan dieses films waren: es tauchen frühen rock-n‘-roll-acts auf, little richard (der tatsächlich erfahrungen als dragqueen hatte), eddie cochrane, gene vincent, die schrecken der weißen eltern und idole der sich emanzipierenden weißen jugend, hier aber nicht in schäbigen clubs, sondern in unfassbarem hollywood-look, vor glitzervorhängen, in violettem licht. sie sind die ablösungen von julie london, abbey lincoln und anderen hochklassigen supper-club- und revue-acts. london taucht im film sogar als geist auf (unglaubliche szene):

und was auch immer man über dieses kleid sagen will – die szene mit dem lincoln-auftritt ist unfassbar toll. der schwenk von der schattensilhouette auf den körper, der rot-blau-kontrast, der ganz leicht glitzernde vorhang, lincolns schon deklamatorischer vortrag, wie die kamera mit ihren bewegungen mitfließt… das ist unglaublich filmisch:


gypsy-tail-windBob Russell gegenüber – er hat ja auch noch das erste Album vermittelt und diesbezüglich einen mässig guten Ruf – scheint Lincoln viel Respekt zu haben (drum ist auch die „Umdeutung“ – das unterstelle ich mal – durch den Marxisten Baraka etwas seltsam bis respektlos, auch wenn die Sache mit der schlechten Behandlung danach ja auch im langen Gespräch da ist … aber eben auch, dass der Filmauftritt durchaus Türen geöffnet hat, was für Baraka halt nicht sein darf ). Er hat für ein paar der schönsten Ellington-Tunes Texte geschrieben: „Do Nothin‘ Till You Hear from Me“, „Don’t Get Around Much Anymore“ und „I Didn’t Know About You“. Zudem hat er englische Texte für Lecuonas „Taboo“ und „Babalu“ verfasst, mit Carl Sigmn „Crazy He Calls Me“ geschrieben … und weil ich Camarata grad bei Jeri Southern öfter antreffe auch den Camarata-Song, den ich mit Billie Holiday verbinde, „No More“, getextet. Niemand, den man allzu vorschnell abwatschen sollte, dünkt mich.

ja, russell ist eine interessante figur, nicht nur, weil er für ihren künstlerinnen-namen verantwortlich ist. lincoln deutet ja an, dass sie zusammen viel über ihre außenseiter-erfahrungen gesprochen haben, wie jüdisch- und schwarzsein sich in dem business manifestiert und worin das vergleichbar ist. bei dem thema haben ansonsten viele schwarze künstler:innen ja nicht weiter geschaut als auf ungleich verteilte geld- und machtpositionen, und da gab es natürlich auch zwischen russell und lincoln entscheidende differenzen („i owe her“). fand ich interessant, dass solche themen außerhalb der eigenen community diskutiert wurden.

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