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Im Westen nichts Neues (Edward Berger, 2022, D/USA/UK)
Die dritte Verfilmung von Remarques Meisterwerk hat sich nun also auf die Fahnen geschrieben, eine deutsche Perspektive zu zeigen, die Berger daran festmacht, dass er auf Glorifizierung verzichtet. „Unser Blick auf den Krieg ist geprägt von Gram und Scham, von Verwüstung und Schuld. Da bleibt nichts Positives, kein Funken Heldenhaftigkeit zurück. Unsere Geschichte, unseren Hintergrund und unsere Einstellung zum Krieg zur Triebfeder eines Films zu machen, empfand ich als eine große Herausforderung.“ und „Anders als bei amerikanischen oder britischen Werken kann es bei einem deutschen Kriegsfilm das Gefühl der Glorifizierung nicht geben.“ postuliert Berger und vergisst dabei völlig, dass gerade der Erste Weltkrieg in den Filmen beider Länder durchaus nicht nur als großartiger Sieg porträtiert wird, sondern als die entmenschlichende Knochenmühle, die er war. Trotzdem, seinem Anliegen wird Bergers Film gerecht, glorifiziert der Krieg hier nicht. Stattdessen versucht Berger, den Krieg und seine Härte in entsprechenden Bildern zu zeigen. Das gelingt größtenteils, ist aber freilich kein Alleinstellungsmerkmal (1917 war darin nicht schlechter). Kritiker haben das als Realismus bezeichnet. Ich jedoch bestreite vehement, dass dem Zuschauer im Kino die Erfahrung eines Krieges überhaupt realistisch vermittelt werden kann. Der Realismus beschränkt sich maximal auf die Bilder. Wäre der Ton realistisch, wäre das Körperverletzung am Zuschauer, olfaktorisch, gustatorisch und haptisch ist gar keine Darstellung möglich. Gott sei Dank, möchte ich meinen. Außerdem dürfte in einem realistischen Film keine Musik geben, die nicht diegetisch ist. Berger dient die Musik unter anderem dazu, Spannung und Grusel zu erzeugen und so den Zuschauer emotional zu lenken. Spannung und Grusel sind aber die wohl oberflächlichsten Emotionen, mit denen man dem Geschehen begegnen kann.
Weiterhin macht Berger einen gewaltigen Fehler, wenn er in den zahlreichen Änderungen an der Buchvorlage etwas positives sieht. Das Weglassen fast aller Figuren und Szenen abseits der Front nimmt einiges von der Wucht des Romans, weil Remarque darin mehrere wichtige Dinge zum Ausdruck bringt. Erstens wird so nicht deutlich genug, wie militaristisch auch weite Teile der Zivilbevölkerung im späten Kaiserreich waren, und das bis weit in den Krieg hinein. Zweitens arbeitet Remarque hervorragend aus, in welchem Gegensatz sich Front und Heimat befanden, wie unterschiedlich nach einiger Zeit an der Front die Soldaten und die Menschen in der Heimat den Krieg sahen. Das schwierige Verhältnis zwischen Zivilisten und Soldaten wird in zahllosen Dokumenten deutlich, es auszublenden, obwohl es in der Romanvorlage enthalten war, ist in meinen Augen keine gute Entscheidung gewesen. Genauso wenig schätze ich die Änderung des Endes. Daran gibt es reichlich zu bemängeln. Erstens ist die gezeigte Offensive nicht historisch, und sie ist auch wenig glaubwürdig. Zwar wurde bis zum Ende gekämpft. Aber das waren aus deutscher Sicht Abwehrkämpfe. Eine Offensive wäre den Deutschen unmöglich gewesen und wahrscheinlich von den Soldaten auch verweigert worden. Zweitens gibt sie Pauls spätem Tod in gewisser Weise doch noch einen Sinn, wenn auch einen perversen, während er im Buch wirklich völlig sinnlos ist. Hier aber ist es ein Tod, den spätere Nationalisten gefeiert haben würden. Drittens macht das Ende den Titel nicht nur bezugslos, sondern sogar regelrecht sinnlos. Denn eine Offensive am 11.11. so gegen 10 Uhr wäre tatsächlich etwas neues im Westen gewesen.
Problematisch sehe ich auch die Darstellung der Franzosen. Schon die Wahl der im Einsatz gezeigten Waffen auf beiden Seiten ist fragwürdig. Gas und Flammenwerfer werden im Film nur von Franzosen eingesetzt, was historisch falsch ist und Zuschauern ohne Kenntnisse der wahren Verhältnisse (beides wurde von deutschen Truppen zuerst eingesetzt) falsche Vorstellungen vermitteln könnte. Ebenso fragwürdig ist es, bei völliger Ausblendung der politischen Vorgeschichte des Krieges und seines Verlaufes die Franzosen in Person von Foch so darzustellen, als seien sie die eigentlichen Kriegstreiber, während Erzberger als Vertreter des Deutschen Reiches geradezu heiliggesprochen wird. Ihm geht es im Film darum, das Sterben zu beenden, ein Sterben, das auch durch seine Politik erst möglich wurde. Dass Erzberger die kaiserliche Armee vor 1914 mit gestärkt hat, dass er zu Kriegsbeginn für das Reich chauvinistische Pläne entwickelte, nichts davon kommt im Film vor. Ich sehe keineswegs die Alleinschuld für den Krieg bei Deutschland, aber dieser Film stellt Deutschland fast schon als Opfer dar. Und das ist noch verrückter als die Alleinschuldthese.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass Bergers Film die schlechteste der drei Verfilmungen ist, die außer einer gelungenen Optik und guten Schauspielern wenig zu bieten hat. Und nicht nur das, sie ist auch ohne den Vergleich mit anderen Filmen einfach nicht gut. Und es ärgert mich gewaltig, dass dieser Film ins Rennen um den Oscar geschickt wird. Niemand ist bei den Kälbern von Sabrina Sarabi wäre eine bessere Wahl gewesen, wenn auch wahrscheinlich im Vergleich zu Bergers Film chancenlos.
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And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame