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Staatsoper Wien – 05.10.2022
VON DER LIEBE TOD
DAS KLAGENDE LIED. KINDERTOTENLIEDER.
Musik Gustav Mahler
Das klagende Lied Märchenspiel für Soli, gemischten Chor und großes Orchester
Text Gustav Mahler nach Ludwig Bechstein und den Brüdern Grimm
Kindertotenlieder
Text Friedrich Rückert
Musikalische Leitung Lorenzo Viotti
Inszenierung Calixto Bieito
Bühne Rebecca Ringst
Kostüme Ingo Krügler
Licht Michael Bauer
Bühnenbildassistenz Annett Hunger
Sopran Vera-Lotte Boecker
Alt Monika Bohinec
Tenor Daniel Jenz
Bariton Florian Boesch
Knabenstimme (Sopran) Johannes Pietsch
Knabenstimme (Alt) Jonathan Mertl
Das war ein reichlich seltsamer Mahler-Abend, den die Wiener Staatsoper ausrichtete – mit Promo-Video vom Intendanten und dazu Anti-Promo vom musikalischen Leiter Philippe Jordan (Kurier-Interview, Paywall, konnte es im Kaffee querlesen – er ist im vollen Text kluger und nachdenklicher als in dem Bisschen, was man in der Vorschau zu sehen kriegt, da klingt er wie ein Alterweissermannkulturkrieger, das ist er zum Glück nicht geworden).
Den Auftakt machte das „Klagende Lied“ mit dem oben genannten Solistenquartett (am Alt gab es – mglw. erst nach der Premiere? – einen Wechsel) – ich hatte das Werk überhaupt nicht präsent, kenne es noch kaum. Und hatte auch „dank“ der Regie ordentlich Mühe, reinzufinden. Das Orchester unter Viotti (Hausdebut, glaube ich?) war hervorragend, mich dünkte, auch da und dort etwas vom besonderen Wiener Streicherglanz zu hören. Was mir allerdings auch aufgefallen ist: immer wieder in der Kantate wurde es wahnsinnig laut. An die Schmerzgrenze und darüber hinaus. Der Chor besonders klang für meine Ohren manchmal fast schon unkultiviert – aber das war ein Trugschluss, alles war unter Kontrolle. Ich mag es ja, wenn es in der Oper auch mal knallt, aber stellenweise war es mir echt fast zu viel. Ob das am Raum liegt? Oder schlicht an der Grösse des Orchesters, das um die 100 Musiker*innen zählte? Obendrein war der Graben relativ weit hochgefahren, vielleicht auch daran? Die Stimmen der Solist*innen kämpften dann nicht immer erfolgreich gegen die Klangmassen an, machten ihre Sache aber alles in allem gut. Die beiden Knaben (Wiener Sängerknaben?) fand ich schwierig – einerseits nicht ganz intonationssicher, andererseits noch viel leiser und manchmal fast komplett verschluckt vom Schlund der Töne. Trug der Chor im ersten Teil von der Decke hängende Topfpflanzen vor sich (sie stellten den Wald dar, in dem die Handlung angesiedelt ist), so senkte sich danach ein riesiger Kabelbaum von der Decke herab, an dem die Sängerinnen und Sänger des Chors zerrten, sich nicht von ihm ablösen konnten, sich verhedderten etc. Das erzeugte ein permanentes Klappergeräusch, das sich zur Musik aus dem Graben gesellte – und irritierte zunächst, nervte mit der Zeit.
Nach dem Ende der Kantate färbte sich die Bühne pink – Blut? – und es ging ohne Unterbruch weiter mit den „Kindertotenliedern“, mit dem umwerfenden Florian Boesch sowie Monika Bohinec. Und das war sehr berührend, sehr intensiv – und kam dabei ganz ohne das „Geknalle“ davor aus, Lautstärke macht eben keine Intensität. Das Orchester glänzte noch schöner als davor, dünkte mich, Viottis Leitung überzeugte jedenfalls unterm Strich sehr – denn eben: auch in den lauten Passagen schien er stets die Zügel in der Hand zu haben, alles genau zu steuern. In dieser zweiten Hälfte blieben die nicht mehr benötigten Solist*innen teils als Überreste auf der Bühne zurück, Jenz hing jesusartig an den Halterungen des Kabelbaums, die im „Klagenden Lied“ vielleicht am überzeugendsten agierende Boecker lag zusammengeklappt auf der Bühne, der eine Knabe lag in einem weissen Sack neben dem Soufflierkasten. Die Bühne war also still, wie es sich gehörte, im Hintergrund wurden die drei Bühnenwände mit seltsamen „Graffiti“ bepinselt … und als Boesch und Bohinec am Ende langsam von der Bühne verschwanden – ohne Worte, das war wirklich grossartig. Und damit ein sehr versöhnlicher Schluss, der in der Bilanz den Abend doch ganz gut machte. Davor stimmte zwar die musikalische Hälfte der Darbietung trotz gewisser Vorbehalte, aber das Bühnengeschehen fand ich nervig und zugleich die Musik irgendwie unterlaufend, eher kontraproduktiv.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #162: 8.4., 22:00; # 163: 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba