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Weiter geht’s mit meiner völlig unrepräsentativen Auswahl von Jazzplatten der 90er, die bei mir im Regal stehen.
Wie kriege ich jetzt raffiniert den Dreh von John Zorn/Naked City zu Terence Blanchard? Vielleicht so: Bei Naked City gibt es den Bezug zu Film im Gebrauch von Schnitt, Atmosphäre und Dramaturgie. Terence Blanchard wiederum hat ein ganzes Album gemacht, auf dem er sich ausschließlich der Musik aus Filmen widmet. Und sowohl Naked City als auch Terence Blanchard spielen das Thema des Films Chinatown von Jerry Goldsmith. Aber da hören die Gemeinsamkeiten fast schon auf. Umso interessanter sind die Unterschiede.
Terence Blanchard – Jazz In Film (1999)
Der Titel sagt’s: Hier geht es um Filmmusik, die sich Jazz als Stilmittel bedient. Naheliegend ist natürlich Ellingtons Anatomy of a Murder, Elmer Bernstein setzt bei The Man With The Golden Arm eine Big Band ein, bei Bernard Hermanns Taxi Driver oder eben Jerry Goldsmiths Chinatown ist Jazz aber eher nur eine Inspiration. Da gibt es ein Saxofon- oder ein Trompeten-Solo, es wird eine schummrige Atmosphäre erzeugt, irgendwie film noir, irgendwie nostalgisch. Jazz als Image, ansonsten hängt der Himmel voller Geigen.
Terence Blanchard – der btw selbst auch einige Filmmusiken komponiert hat – dreht das um, indem er die musikalischen Themen dieser Soundtracks in Jazz zurückübersetzt und in typischer Jazz-Combo-Besetzung spielt, tr, p, b, dr, ergänzt mit sax, trb und Streichern. Am Anfang der Stücke wird durch das prägnante Motiv/Thema, untermalt mit Streichern, die Atmosphäre des Films heraufbeschworen, von da an folgt das aber den Regeln eines Jazzstücks: Thema, Solo, Solo, Thema … Durch die Combo-Besetzung hat das nicht soviel Dampf und Drama wie z.B. die Big Band bei The Man With The Golden Arm hat. Dafür hat es aber etwas anderes zu bieten. Ist das gut? Ist das schlecht? Kommt drauf an, aus welcher Perspektive man es hört. Willst du dramatische Filmusik? Dann bist du hier nicht ganz richtig. Willst du eine raffinierte und elegante, etwas nostalgische, fast klassizistische Jazzplatte mit einprägsamen Themen, voller Atmosphäre und schönen Solos? Brillant gespielt und aufgenommen? Dann ist Jazz In Film genau das Richtige!
Apropos Solo: Auf 5 der 9 Stücke ist Joe Henderson am Tenor-Sax zu hören.
Nur mal zum Vergleich: Elmer Bernsteins Original (von Shorty Rodgers mit Shelly Manne) und Terence Blanchards Version von The Man With The Golden Arm:
oder hier Chinatown:
Die Version von Naked City hatte ich schon im vorherigen Beitrag gepostet.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)