Re: Travis:12 Memories

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mogwai

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Falls es jemanden interessiert, zu diesem Album habe ich schon schriftlich etwas ausführlicher meinen Senf abgegeben:

Was können wir von Glück reden, dass dieses Album überhaupt entstanden ist, dass es Travis überhaupt noch gibt. Nach dem tragischen Badeunfall Neils sah es eine Zeit lang ja (leider) sehr düster um die Zukunft der Band aus. Doch zum Glück ist Neil wieder gesund, zum Glück haben die Jungs wieder neu zueinander gefunden. Wie sagte Fran doch schon im Interview mit der Intro so schön, der Unfall war wohl Gottes Art zu sagen: Stop right now!
Und was hat diese unfreiwillige Pause der Band gut getan. Wenn man sich nur vorstellt, dass ein Album nach all den Strapazen des fast 4 jährigen Dauertourens und Albumaufnehmens entstanden wäre, liegt es nicht fern zu philosophieren, dass dies hätte der Tod für die Band sein können. Irgendwann ist jeder halt zu ausgelaugt um genial zu sein.
Doch „dank“ dieser Pause hatte die Band nun Zeit sich zu erholen, tief einzuatmen, zu verstehen was sie erreicht haben und sich schließlich neuen Einflüssen zu öffnen. Dies hört man auf ihrem neuen Werk „12 memories“ nur zu gut. Das Album verzaubert einen vom ersten Takte Quicksand’s bis zum letzten Pianoklang Some sad song’s. Der ganz besondere Zauber des Albums liegt diesmal darin, dass es nicht mehr nur offensichtliche Superhits, wie es bei „The Man Who“ und „The Invisible Band“ der Fall war, beinhaltet. Mit re-offender und Quicksand hat man zwar auch wieder zwei Song mit enormen Hitpotential an Bord, doch viele andere Songs eröffnen ihre Schönheit erst nach und nach. Dies verleiht dem Werk so sehr viel tiefe, dem Hörer bleibt praktisch gar keine andere Wahl als genau hinzuhören, zwischen die Töne zu horchen und sich letztendlich Hals über Kopf in „12 memories“ zu verlieben. Einem jeden Musikliebhaber müsste doch das Herz aufgehen, wenn er all diese Einzelheiten hört. Denn das Hauptaugenmerk liegt hier ganz klar auf der musikalischen Finesse, die durch erweiterte Arrangements, wie etwa den vielen Streichern oder auch der Klarinette bei Paperclips erzeugt werden. Auch hat man gar an John Frusciante-Genialität kratzende Gitarrensoli dabei (The beautiful occupation). So begehen Travis viele vollkommen neue Klangwelten, sei es auch nur der kleine Ausflug in die Synthiewelt bei der ersten Single re-offender, und erzeugen bei mir als Hörer ganz andere Gefühle und Stimmungen als bisher.
So haben sie nun auch vielen, vielen herkömmlichen Britpop-Bands einiges vorraus.

Travis stagnieren nämlich nicht und lehnen sich auf ihren erreichten Ebenen aus, sie gehen weiter, wollen mehr. Dieser Gedanke fehlt leider dem Grós der Inselbands, was schreibe ich, dieser Gedanke fehlt dem Grós aller Popbands. In gewisser Weise ist dies ja auch nachvollziehbar, Weiterentwicklung birgt einige Risiken in sich: eventuell sinkende Absatzzahlen, verärgerte Fans. Es besteht die Gefahr daran zu zerbrechen, denn sinkende Absatzzahlen bedeuten verärgerte Plattenbosse, verärgerte Plattenbosse beudeutet gegebenenfalls den Drop aus dem Vertrag.
Jedoch birgt Stagnation die in meinen Augen größere Gefahr, zumindest wenn man Hörer langjährig verzaubern und überraschen, somit also an sich binden, möchte. Warum soll man als Fan immer wieder ‚die selbe Platte‘ kaufen….Oasis? Warum soll man als Fan immer wieder zu den immer teurer werdenden Konzerten reisen, wenn die Protagonisten bei jedem Male lustloser auf der Bühne stehen und der Leadsänger durch seinen Drogenkonsum doch eh keine Stimme mehr hat und getroffene Töne die Ausnahme bleiben…..Liam?
Das erfolgreichste Beispiel für eine Band, die diesem Szenario entgangen ist, sind Blur. Ohne die letzten beiden Alben wäre diese Band so was von tot, ob sie sich aufgelöst hätten oder wie Oasis trotzdem weiter versucht hätten ihre Fans zu verarschen ist natürlich nicht klar. Tot wären sie jedoch, auf welcher dieser beiden Arten auch immer. Oasis sind für mich nämlich das allerbeste Beispiel für eine Band, die die Veränderung scheut und sich deshalb immer wieder selbst kopieren, bzw. schon damit anfangen bei Genrekollegen zu klauen (ein paar Namen zum „Heathen Chemistry“-Album: Stereophonics, The Stooges, The Beatles), da das eigene Repartoir schon ausgeschlachtet ist. Und das sage ich wohlgemerkt als (zumindest ehemaliger) Oasisfan! Nebenberuflich bin ich nämlich auch gerne mal Realist, bzw. Musikliebhaber. Was mich von vielen meiner Artgenossen (Mit-Oasisfans ;-)) unterscheidet.
Es gibt leider auch das weniger erfreuliche Negativbeispiel von The Divine Comedy. Klar, Bands wie Mansun ist es ähnlich ergangen, nur mit The Divine Comedy ist der Musikwelt wirklich eine große, wenn leider auch all die Jahre verkannte, Band verloren gegangen. Auf ihren letzten Studioalbum „Regeneration“ haben sie Veränderungen gewagt, ihren altbewährten Sound („Perfect Lovesong“, „Mastermind“) mischten sie mit neuen Einflüssen aus dem Triphop (u.a. „Bad Ambassador“). Leider ist dieser Versuch fehlgeschlagen. Die Absätze – die nie sehr gut waren – waren so tief wie nie zuvor, der Plattenfirma mit dem Säbel zwischen den Zähnen hat dies natürlich nicht gefallen, die Band war am Boden und hat sich schließlich dazu entschieden, sich aufzulösen. Es lief praktisch so ähnlich ab, wie bei der amerikanischen Band The Smashing Pumpkins.

Nun, ich schweife wohl zu sehr vom Ausgangsthema ab, dies soll ja schließlich kein Aufsatz über die üblen Machenschaften der Plattenindustrie werden, die viele Bands praktisch in Stagnation treiben, sondern mein Eindruck zum neuen Travis Werk „12 memories“.
Ich sehe dieses Album als Scheitelpunkt Travis‘ Karriere, in meinen Augen hat man hier alles richtig gemacht in dem man sich musikalisch auf neue Pfade begab.
„Good Feeling“ war grundsolider, traditions- und trendbewusster Britpop. Nichts außergewöhnliches zwar, aber diese Ansprüche sollte man auch gar nicht an ein Debütalbum stellen. Schon die beiden Nachfolger waren aber eine Stufe mehr. Auf „The Man Who“ begannen die ganz großen Popmelodien für ein Millionenpublikum. Auf „The Invisible Band“ spitzte sich dieser Stil noch weiter zu und heraus kam ein Musterbeispiel für ein perfektes Popalbum. Hit an Hit, ganz großes Kino: Ein Meilenstein der jüngeren Musikgeschichte.
Doch nun stand man vor einer Kreuzung. Weitermachen wie bisher und schließlich enden wie Oasis, oder doch das Risiko eingehen und sich neu erfinden? Hier sei noch mal darauf hingewiesen, dass ersteres nur bergab gehen kann, denn ein zweites „The Invisible Band“ kann man einfach nicht schreiben.
Man wird sich diese Frage natürlich nicht bewusst gestellt und dann ausdiskutiert haben, wie man weiter fortschreiten möchte. Das wäre vollkommen falsch gewesen und hätte sicherlich zu keinem Ergebniss geführt. Eher instinktiv entschied man sich gegen das Oasis-Modell und spätestens in 5 bis 7 Jahren wird ein jeder einsehen, dass „12 memories“ genau der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt war. Auch wenn dies heute wohl noch nicht so deutlich ist und Außenstehende dieses Album lediglich als „viertes Alben dieser Band“ abstempeln werden, wage ich mich im Prophetarismus und pflichte der Platte die oben aufgeführte exklatente Wichtigkeit bei!
Die Entwicklung Travis‘ ab diesem Album wird sicherlich auch sehr interessant zu verfolgen werden. Ich habe mir schon versucht auszumalen, wo es für die Band hingehen könnte, wo Fran und seine Musikanten in 7-9 Jahren, bzw. 2-3 Alben, sein könnte. Zu einem Schluss bin ich dabei gekommen: Es wird sicher ein schöneres Ende nehmen als mit The Divine Comedy: „don’t look da da da down“. :-D

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