Antwort auf: jazz in den 1990ern

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friedrich

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Die Frage „Ist das Jazz?“ erübrigt sich, denn manchmal stellt sich hier eher die Frage „Ist das Musik?“

Naked City (1990)

Auf dem Debut von Naked City treffen sich auf zwei LP-Seiten Batman, Ennio Morricone, Ornette Coleman, der Sänger … äh: Vokalist der Noise-Band The Boredoms Yamatsuka Eye und viele andere mehr. Abrupte Stil- und Stimmungswechsel teilweise innerhalb eines einzigen Stücks, es wird lustig zwischen Easy Listening und Noise Metal hin und her gesprungen, manches klingt wie Surfrock, anders wie der Soundtrack zu einem Gangsterfilm. Am Anfang von LP-Seite 2 werden 8 Stücke in weniger als 3 Minuten runtergerissen, der kürzeste Track überhaupt, Hammerhead, ist 8 Sekunden Kreischen, der längste ist mit 4:23 min eine traumhaft schwebende Version von Jerry Goldsmiths Chinatown.

Haarsträubendes cut-up, aufeinander prallende Gegensätze, alles super-präzise und bissig gespielt. Mal kreischt John Zorns Alt-sax, mal singst es zart-bitter, Bill Frisells Gitarre jault, Joey Barons drums scheinen sich selbst zu überschlagen und Yamatsukas Eyes Stimmbänder bestehen offenbar aus unter Hochspannung stehendem Draht. Nichts für schwache Nerven!

Coverfoto von Weegee (Corpse with revolver, 1942). Der Bandname Naked City stammt von einem Fotoband von Weegee, der wiederum als Vorlage für einen Spielfilm diente. Passt: Reißerisch, voyeuristisch, man weiß nicht, ob man lieber hin- oder wegschauen soll. Bzw. in diesem Fall: Hören.

Naked City – Radio (1993)

Ähnliches Spiel, aber hier ausschließlich Eigenkompositionen von John Zorn. Und die Gesamtdramaturgie ist anders: Das fängt – für Naked City Verhältnisse – relativ konventionell an mit einigen straight gespielten rockigen Tracks, nimmt aber im Verlauf mehr und mehr schizophrene und hyperaktive Züge an, wenn sich – wie im Booklet ausführlich aufgeführt – Einflüsse von Charles Mingus, The Meters, Stravinsky, Liberace, Led Zep, Cartoon-Soundtracks, Morton Feldman und, und, und … da rein mischen und alles am Ende in dem Stück American Psycho eskaliert. Wahnsinnig spannend und kaum auszuhalten.

Coverfoto: Ich hätte gewettet Robert Mapplethorpe. Aber falsch! Das ist von Man Ray. Und auch das passt: Vielleicht ist Naked City komprimierter musikalischer Surrealismus.

Besetzung bei beiden Alben: John Zorn (a-sax + voc), Bill Frisell (git), Wayne Horvitz (keys), Fred Frith (b), Joey Baron (dr), Yamatsuka Eye (voc). Hört sich so an, als übertreffen sich hier alle selbst. Und Bill Frisell wurde hier von John Zorn wohl über sein Grenzen hinaus getrieben.

Ach ja, hierfür muss auch Zeit sein ;-) :

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)