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bullschuetzHeute im Feuilleton der Zeit: ein ganzseitiger Artikel von Jens Balzer zum Streit um kulturelle Aneignung, anlässlich des Berner Dreadlogates.
Im Vergleich zu diesem Thread hier steht zwar nichts grundlegend Neues drin, aber dem Fazit schließe ich mich gerne an:
„Wer über kulturelle Aneignungen nur noch im Modus des Verbots reden kann, der übersieht ihre schöpferische und auch emanzipatorische Kraft – und dass es in Wahrheit überhaupt keine Kultur ohne sie gibt. Dagegen wäre eine Ethik der Aneignung zu setzen, die einerseits die Machtverhältnisse mitdenkt, andererseits aber auch um die Ursprungslosigkeit aller kulturellen Verhältnisse weiß.“
Interessant: Mitte August erscheint Balzers Buch „Ethik der Appropriation“.
Es ist ein bisschen kompliziert ausgedrückt, aber ich stimme Balzer zu. Das Problem mit der kulturellen Aneigung besteht darin, dass sie eigentlich von kulturellem Austausch kaum abzugrenzen ist, wenn man sie so weit fasst, wie die EB.
https://www.britannica.com/story/what-is-cultural-appropriation
Dort werden vier Grundprinzipien kultureller Aneigung thematisiert, und zwar:
1. A member of a majority group profiting financially or socially from the culture of a minority group is cultural appropriation.
2. A member of a majority group oversimplifying the culture of a minority group, or treating the culture of a minority group as a joke, is cultural appropriation.
3. A member of a majority group separating a cultural element of a minority group from its original meaning is cultural appropriation.
4. A member of a majority group adopting an element of a minority culture without consequences while members of the minority group face backlash for the same cultural element is cultural appropriation.
Nur 1. erkenne ich als berechtigtes Anliegen an, nämlich dann, wenn Mehrheitsgesellschaften oder deren Vertreter ein Machtverhältnis ausnutzen, um die kulturellen Eigenschaften oder Traditionen einer Minderheitengesellschaft finanziell nutzbar zu machen, ohne dass deren Vertreter daran einen Anteil haben oder finanziell profitieren.
Das Beispiel der EB mit Madonna und „Vogue“ ist allerdings totaler Bullshit, weil die gay community Madonna ja grundsätzlich als Heldin gilt:
https://en.wikipedia.org/wiki/Madonna_as_a_gay_icon
Und selbstverständlich profitierte die gay community finanziell und gesellschaftlich von jemandem wie Madonna.
2. und 3. liegen grundsätzliche Fehlinterpretationen menschlicher Gesellschaften sowie menschlichen Verhaltens und ein fehlerhafter, weil zu statischer Kulturbegriff zugrunde. 4. ist bisweilen ein ernsthaftes Anliegen, wobei es die Benachteiligung aber nicht nur zu behaupten gilt.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.