Antwort auf: jazz in den 1990ern

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friedrich

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gypsy-tail-windDas finde ich eins von Lovanos besten Alben!

Ah, das ist schön! Was kennst du außerdem von Lovano? Ich kenne zugegeben nicht viel. Live At The Village Vanguard hatte mich damals nicht so beeindruckt. Rush Hour ist allein schon wg. der Orchestrierung etwas Besonderes.

Hier aber Joe Lovano als Mitglied des Paul Motian Trios. Völlig anders als Rush Hour.

The Paul Motian Trio – At The Village Vanguard (1995)

Ich sag’s mal so: Paul Motian ist ein lyrischer drummer, oder? Er streichelt das Schlagzeug mehr als dass er trommelt. Das ergibt eher ein feines Gewebe als einen beat und in diesem Gewebe können sich Joe Lovano und Bill Frisell sehr frei bewegen. Einmal setzt Motian auch komplett aus und dann fängt alles an zu schweben. Bill Frisell nimmt sich die Freiheit, sein Arsenal an E-Gitarreneffekten einzusetzen und es klingt manchmal so, als würde sich die Gitarre selbständig machen, bis Motian oder Lovano sie wieder einfangen. Und Joe Lovano ist ein kraftvoller und maskuliner, aber (oder „und“?) sehr sensibler Tenorsaxofonist, der sich auch mal gehen und die Musik einfach geschehen lassen kann. Überhaupt ist das sehr locker gestrickt, es gibt viel freien Raum, keiner der Musiker steht im Vordergrund – am wenigsten der Leader. Es gehört dazu, dass da auch mal was außer Kontrolle gerät. Zwar live aufgenommen, aber fast ohne hörbaren Applaus. Ich glaube solche Musik kann nur live entstehen, ohne dass man auf ein Ergebnis hinarbeitet, sondern sich einfach mit der Musik treiben lässt.

Mit Ausnahme des Titelstücks alles Kompositionen von Paul Motian, denen aber auch freier Lauf gelassen wird. Nur das letzte Stück – Circle – hat ein fast boppiges, einprägsames und sich wiederholendes Thema, womit ein schöner Schlusspunkt gesetzt wird.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)