Re: Was ist eure liebste Miles Davis Phase?

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nail75

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gypsy tail windJa, das „Lost Quintet“ von 1969 – ganz tolle Band! Schade, dass davon sozusagen nichts offiziell dokumentiert wurde! Da gibt’s nur Live at the Fillmore East (March 7, 1970), das allerletzte Konzert der Gruppe, wo zudem noch Airto Moreira dabei ist.
Für die, die sich da noch nicht so auskennen: das Lost Quintet ist die Band mit Miles (t), Wayne Shorter (ts,ss), Chick Corea (p,fender rhodes), Dave Holland (b, elb), Jack DeJohnette (d).
Die erste Aufnahme stammt aus Rochester, NY, vom März 1969.
Das Konzert aus Antibes am 25. Juli ist mal in Japan (aber nur dort) erschienen.
Der letzte Gig war dann eben im März 1970 im Fillmore East und ist der einzige, den man problemlos finden kann.

Unter Tradern zirkulieren allerdings zahlreiche Bootlegs dieser tollen Band, und ich glaub in der neuen superteueren Anniversary Edition von Bitches Brew wird auch noch was vom Lost Quintet drin sein.

Ja und zwar das Konzert aus Kopenhagen aus dem November 1969. Für die Aufnahmen dieses Quintetts würde sich eine Zusammenstellung in Form einer Box lohnen. Man kann die Entwicklung von Miles in dieser Zeit gut verfolgen. Die jazz-typischen Elemente, wie beispielsweise die Soli nehmen während der Lebensdauer des lost quintets ab, die Aggressivität nimmt zu, das veröffentlichte Konzert vom Fillmore ist sicherlich das abstrakteste und schärfste Werk der Gruppe (das ich kenne). Die Elemente von „In A Silent Way“, die „cool poetry“ verfliegen zunehmend. Selbst als Bootleg sind diese Aufnahmen sehr faszinierend.

In Paul Tingens Buch über die elektrische Musik von Miles Davis fehlt eine Analyse des lost quintets leider vollkommen, was den Nutzen dieses Werks leider einschränkt. Er unternimmt nicht einmal den Versuch, den rapiden Wandel von In A Silent Way zu Bitches Brew zu erklären – das ginge natürlich nur unter Einbeziehung des lost quintets.

Je mehr ich mich mit der Musik von Miles Davis in diesen Jahren beschäftige, desto mehr gewinne ich den Eindruck, dass das vermutlich die am häufigsten missverstandene und fehlinterpretierte Musik seiner Karriere ist. Was man beispielsweise bei John Szwed an sinnlosen zeitgenössischen Kommentaren liest, ist wirklich deprimierend. Zu den wenigen dort genannten Kritikern, die Miles Musik zu schätzen wussten, zählte übrigens Lester Bangs.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.