Antwort auf: Musikalisches Tagebuch

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krautathaus

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jesseblue

klauskHochkompetente Musiker spielten eingängigen Melodic-Rock in einer Zeit, wo Bands wie Toto in der aufstrebendenden (Post)Punk-Szene eher als uncool galten. Der radiotaugliche Classic-Rock enthielt Einflüsse von Soul, Prog, R&B und Funk. Das mag zwar kein Alleinstellungsmerkmal gewesen sein, aber Ende der 70er keineswegs „von der Stange“.

Definiere uncool. Wie stark fand Punk in den Charts statt? Das liest sich, als hätte es Ende der Siebziger nur Punk gegeben beziehungsweise als hätte Punk alles definiert. Wikipedia listet die meistverkauften Musikalben. Ich weiß nicht, wie aktuell die Liste ist, aber unter den ersten 20 Plätzen befinden sich sechs Alben, die zwischen 1976 und 1979 veröffentlicht wurden. Nein, es sind keine Alben der Ramones. Auch nicht von The Clash, Blondie oder Joy Division. Es sind Alben von den Eagles, Meat Loaf, Fleetwood Mac sowie Soundtracks zu Grease und Saturday Night Fever. Etwas weiter unten in der Liste folgen beispielsweise Pink Floyd und Boston. Auch wenn ich mir die UK-Jahrescharts von 1976 bis 1979 anschaue, passen Toto in diese viel besser als die Sex Pistols. Im Dunstkreis von diesem Markt zu meinen, dass Toto weniger „von der Stange“ gewesen sind, ist nicht mehr als eine Behauptung.

Du hast hier auch vollkommen recht. Postpunk und Punk (die in meinen Breitengraden immer mit ein bischen Zeitverzögerung ankamen) waren bei weitem nicht beim durchschnittlichen Musikhörer so angesagt, wie man das in der Retrospektive gerne sehen möchte. Toto kamen zu einer Zeit zu ihrer Popularität, als das Feld der muckerhaften Jazz und andere Rockamalgame längst bestellt war. Auch in Deutschland. Das hat nichts mit „von der Stange zu tun“ (wer war das schon? Chic z.B. mit Sicherheit auch nicht) sondern mit der in den 70er Jahren längst etabilierten instrumental aufwendigen und zur Schau stellenden Können der Rockmusiktypen. Das fehlen dieser instrumental aufwendig produzierten Rockmusik hat übrigens erst kürzlich Rick Beato hier angesprochen und warum das in den 70s so populär war (hab’s gleich an die Stelle hingespult).

https://www.youtube.com/watch?v=DE55sQami7g&t=3s

Das wird übrigens schon in den ersten Minuten des Videos klar. Auch wenn ich ihm in seinem Resume nicht zustimme, beschreibt er in den ersten Minuten das Feld das schon von einigen Musikern diesbezüglich beackert wurde.

Für mich führt aber auch ein wichtiger Aspekt immer wieder in Musikdiskussionen zu Misverständnissen. Die eigene Bubble/Erfahrung wird gerne (auch von mir) überhöht. Dazu kommt erschwerend, dass die Akzeptanz von Pop/Rock in der breiten deutschen Bevölkerung schon immer (und auch heute) deutlich geringer war, als in den USA, UK, selbst Frankreich, evtl. auch in Japan heute. Wir sind hier auf dem Board schon ne riesen Ausnahme, was das nähere Interesse an Popkultur im Allgemeinenn angeht. Einfacher Test: in eurer stinknormalen Arbeitsumgebung könnt ihr euch i.d.R. kaum mit jemand über Musik unterhalten und wenn ist das eher die Ausnahme. Das ist in den USA/UK ganz anders. Die Akzeptanz und Verankerung von Popkultur ist dort (wahrscheinlich sprachlich bedingt) viel fester, als hier.

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“It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko