Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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J. J. Johnson – The Brass Orchestra | Die letzten zwei Verve-Alben von Johnson entstanden in den USA, produziert von Johnson mit Don Sickler und Richard Seidel. Das erste ist nochmal eine luxuriöse, grosse Band – und das ist zwar, wie das mit Farnon, noch gar nicht lange hier, aber schon deutlich gewachsen. Brass heisst, dass es neben Trompeten und Posaunen auch Hörner, Euphonien und Tuba gibt, dabei ist aber auch das damalige Quintett von Johnson, inzwischen mit Dan Faulk (ts/ss) und weiterhin mit Renee Rosnes (p), Rufus Reid (b) und Victor Lewis (d). Da und dort kommen zusätzliche Percussion-Instrumente zum Einsatz, und eine Harfe ist ein paar Male prominent vertreten. Farnon guckte für „Wild Is the Wind“ von Dimitri Tiomkin nochmal vorbei – eins der Highlights mit Johnson an der gedämpften Posaune und einem bezaubernden Ton. Slide Hampton hat ein eigenes und ein Johnson-Stück arrangiert, Johnson neben diversen eigenen auch Jimmy Heaths „Gingerbread Boy“ und den Closer von Miles Davis, „Swing Spring“. Und er bat Robin Eubanks dazu, der „Cross Currents“ mitbrachte und hier wie auch in einem weiteren Stück das Posaunensolo kriegt. Faulk am Sax, Eddie Henderson und Jon Faddis (v.a. in zwei Sätzen von Johnsons einst für Dizzy Gillespie komponierter Suite „Perceptions“) sind an der Trompete zu hören, Renee Rosnes kriegt leider nur ein kleines Solo. Den Swing-Retro-Track hat Johnson dieses Mal selbst beigetragen „If I Hit the Lottery“ mit einem Solisten-Trio (Henderson, Johnson und Faulk am Sopransax). Die schwatzhaften Liner Notes (schon für die zwei Live-Alben, bei „Let’s Hang Out“ gibt es keine, bei „Tangence“ nur einen kurzen Johnson-Text) hat stets Stanley Crouch geschrieben, der immerhin Johnson und auch Faul zu Wort kommen lässt. Zu Eubanks, dessen Stück zu den Highlights gehört, sagt Johnson: „Robin Eubanks was somebody I wanted because he has something going with his oddball, way-out rhythms and oddball harmonies. I told him not to limit himself, to go all the way into his thing, which gives the album another flavor, something totally unexpected. People might wonder what beat the band is playing or what kind fo harmony they’re hearing. That’s fine because wondering is good for you.“

Hier ist das Stück zu hören – die Solisten sind Eubanks (tb) und Faulk (ts) – ich muss hie und da ein wenig an Dave Holland denken:

Die Musik auf dem ganzen Album hat allein schon wegen der Besetzung einen dunklen Touch. Die Band ist hochkarätig, es gab zu Faulks Erstaunen (Liner Notes) kaum Proben, weil die Leute alle sofort mit dem Material klar kamen. Ein paar Namen: Lew Soloff, Earl Gardner, John Clark, Steve Turre, Douglas Purviance oder Howard Johnson. Einer der Euphonium-Spieler ist Alan Raph, ein typischer Studio-Sideman, der ziemlich beachtliche Credits hat. Ebenfalls in der Section bei ein paar Stücken und als Solist und Widmungsträger in einem Stück ist Joe Wilder zu hören:

Was vermutlich – als Versuch einer (eh ungenügenden Teil-)Antwort oder Erklärung auf die Bemerkung von @vorgarten oben – bei Johnson eine Rolle spielt, ist seine Bescheidenheit, die wird im Booklet zu „The Brass Orchestra“ auch von Dan Faulk betont. Er spielte halt Posaune und machte Musik, viel mehr scheint da in seinen Augen nicht gewesen zu sein. Allerdings erfand er in den späten Vierzigern das Instrument neu, entwickelte eine flüssige Spielweise, wie es sie bis dahin nicht zu hören gab – vielleicht bei Jack Teagarden, aber der war vom Ton her vollkommen anders. Das mag auf Kosten des Sounds gegangen sein – und da sind dann spätere Leute wie Priester, Rudd oder Moncur wieder anders unterwegs, sie holten einen Teil der alten Ruppigkeit wieder zurück … aber sind ohne Johnson vermutlich doch nicht denkbar.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba