Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gruenschnabel

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soulpope

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gypsy-tail-wind03.06.2022 – Zürich, Tonhalle Tonhalle-Orchester Zürich Herbert Blomstedt Leitung Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur In der renovierten Tonhalle (…) verdrückte ich wieder ein stilles Tränchen im Gedenken an den verschwundenen Saal mit seiner so transparenten Akustik, in der ganz anders gearbeitet werden musste, viel vorsichtiger, präziser. Dafür hätte die Musik nicht wie Wärme gehabt, wie ich sie heute geniessen konnte.

An dieses (etwas frech von mir zusammenmontierte) Zitat musste ich heute Vormittag denken, als ich Mahlers Dritte mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter Bychkov in der Elbphilharmonie hörte, die ich mittlerweile von -zig Konzerten unterschiedlichster Ensembles und Solisten her kenne. Ich kann dein stilles Tränchen grundsätzlich hoffentlich sehr gut verstehen (wenngleich ich die Tonhalle nie besucht habe): Niemals mehr wollte ich diese wunderbar transparente Akustik der Elphi gegen einen auf stärkere Klangverschmelzung hin angelegten Saal eintauschen – obwohl die Wärme, die du ansprichst, wohl in solcherlei Räumen eher entsteht. Aber die Mahler-Darbietung war heute beispielhaft für das, was man in Sälen erleben kann, in denen der Gesamtklang eher aufgespreizt wird: Klarheit, Feinheit, Räumlichkeit, Durchhörbarkeit. Dass dies nicht weniger enthusiasmierend wirken kann, diese Erfahrung mache ich in der Elphi bei klassischen Konzerten – und besonders bei Musik des 19. und 20./21. Jahrhunderts – immer wieder. Bychkov setzte auf eher gemessene Tempi und dirigierte die Blockhaftigkeit des ersten Satzes (der in diesem Sinne Bruckner nahesteht) in aller Ruhe und Intensität aus – und dank der Akustik waren diese Blöcke eben auch räumlich umso eindrucksvoller zu unterscheiden und erhielten eine zusätzliche „Anschaulichkeit“. Aber auch bei den großen Höhepunkten der Sinfonie, natürlich nicht zuletzt bei der unfassbar aufgetürmten D-Dur-Apotheose ganz am Ende, verstand Bychkov es meiner Empfindung nach nahezu perfekt, die Möglichkeiten des Saales zu nutzen. Vielleicht habe ich in der Elphi noch nie lautere Orchesterpassagen gehört, ich weiß es nicht. Aber nirgendwo „lärmte“ es, alles war auch hier ausgesprochen austariert – eine beglückende Verknüpfung von Transparenz und Zusammenklang. So etwas wäre in der hiesigen Laeiszhalle (dem „alten“ Konzertsaal Hamburgs) beim besten Willen und Können der Beteiligten schlicht nicht möglich gewesen. Leichtere Abstriche gab es beim Verhältnis Orchester / Gesang: Hier hätte ich mir etwas mehr Rücksicht zu Gunsten der Altistin Wiebke Lehmkuhl sowie des Frauen- (Rundfunkchor Berlin) und Knabenchors (Hannover) gewünscht, die in dieser Sinfonie ja eh nicht so viel zu singen haben. Speziell Lehmkuhl war für mich heute eine wahre Wonne. Ihr Timbre und ihre extrem ausgeglichenen Register sind eh schon spitze, dazu kommt eine Natürlichkeit und Innigkeit des Singens, die nicht nur interpretatorisch voll überzeugte, sondern mich auch ganz unabhängig von Mahler hätte dahinschmelzen lassen können. Die Solisten des Orchesters waren dagegen eher durchwachsen – da hätte es an manchen Stellen feiner zugehen können. Ich diskutierte mit meiner Familie danach die Entwicklung des NDR-Orchesters, das ja seit Einweihung der Elphi dessen Residenzorchester ist. Und hier kommt nun erneut die akustische Charakteristik des Großen Saals ins Spiel: Sie „zwingt“ dieses Orchester quasi dazu, sich zu verbessern. Ich konnte seinerzeit der Generalprobe des von größtem medialem Tamtam begleiteten Einweihungskonzertes beiwohnen (unter dem damaligen Chef Hengelbrock) und erinnere mich an einige der hörbaren Schwierigkeiten, die Dirigent und Orchester nicht mal eben so mit gutem Willen und Professionalität lösen konnten. Der Saal hat das Orchester im Laufe der letzten Jahre einerseits diszipliniert: Jede Ungenauigkeit darin ist nicht nur gut zu hören, sondern dummerweise auch hervorragend zu lokalisieren. Andererseits ist es aber nicht nur der Aspekt der Disziplinierung, der positiv festzuhalten ist. Das Bewusstsein für das gemeinsame Atmen und Phrasieren, für eine dynamisch ausgewogene Gestaltung, insbesondere auch bei gemeinsamen Piani und Pianissimi, ist als Teil dieser Gesamtentwicklung des Ensembles auf jeden Fall sehr gewachsen. Zudem nutzt so ein professioneller Klangkörper natürlich auch die anderen Möglichkeiten der Klang(farben)gestaltung, wenn er immer mehr darum weiß, was der Saal bietet. Was da heute an toll geprobten Klangfarbenkombinationen und sublimer Klangentwicklung geboten wurde, wäre vor ein paar Jahren noch nicht im Repertoire des Orchesters gewesen, da bin ich mir sicher.

@ „gruenschnabel“ : Dank für die detaillierte Beschreibung, man kann sich doch einiges vorstellen …. bin durchaus ein Fan von Bychkov, allerdings war bei der rezenten Aufführung der „Glagolitischen Messe“ von Janacek mit der Prager Philharmonie und dem Wiener Singverein auch eine schwierige Abstimmung insbesondere der Solostimmen gegeben (gespielt wurde im Musikverein Goldener Saal Wien) ….

Interessant, das jetzt gleich als Antwort von dir zu lesen, soulpope: Hattest du bei den Schwierigkeiten den Eindruck, Bychkov hätte anders proben/dirigieren können? Eine deutlich krassere Elphi-Erfahrung mit Orchester/Gesang hatte ich mal 2019 an einem Wagner-Abend, den Marek Janowski dirigierte (ebenfalls NDR Elbphilharmonie Orchester). Nina Stemme sang. Eigentlich eine vielversprechende Kombi, da Janowski und Stemme eh bei Wagner zu Hause sind. Ich weiß bloß nicht mehr, ob es Janowskis Elphi-Debüt war oder nicht. Jedenfalls: Das Orchester hat so laut und klanglich fast ununterbrochen massiv gespielt, dass Stemme (die ja wirklich tough ist und viel Volumen bringen kann) in meinen Ohren sehr unschön dauerangestrengt singen musste, um ihre solistische Rolle ausfüllen zu können. Ganz davon abgesehen, dass es damals (wie ja eh immer) Menschen gab, die das anders gehört haben als ich: Aber manchmal verstehe ich nicht, dass Dirigenten und Orchester sich nicht lieber eine Spur rücksichtsvoller zeigen. Übrigens stand im Hamburger Lokalkäseblatt wohl eine Konzertbesprechung von Freitag (gleiches Programm wie heute), in der es hieß, der Funke sei bei der 3. Mahler nicht übergesprungen. Das also zum Thema „subjektive Höreindrücke“. Allerdings gab es Freitag wie heute großen Jubel und minutenlange Standing Ovations – das mit dem „Funken“ kommt mir also etwas komisch vor.

Es wurde offenbar intensiv geprobt (dies laut einem „Sangesbruder“ aud dem Singverein, mit welchem wir befreundet sind) …. aber womöglich war selbst der grosses aka Goldenen Sall des Wiener Musikvereines zu „klein“ und die Chorstimmen waren schon überdurchschnittlich präsent …. die Tschechischen Philharmoniker nun das Heimteam von Bychkov und der orchestrale Teil schien mir bezüglich Durchhörbarkeit gut abgestimmt …. allerdings war ich auch nicht von der Qualität der (tschechischen) Solisten überzeugt ….aber der Wurm kann auch anders „drinn sein“, denn ebendort hörte ich heuer Mirga Gražinytė-Tyla mit ihrem City of Birmingham Symphony Orchestra und dem Brahmschen Requiem – hier lag der tlws wahrgenommene „Klangbrei“ auch an der Qualität des Orchesters (die Streicher mit einen de facto anämischen Klang, Einsätze wurden verpasst etc) …. interessanterweise wirkten auch einige der Musiker lustlos/ausgebrannt und ich fragte micht, ob auch das Musizieren den COVID-19 Bedingungen/Umständen nun Tribut zollen musste ….

Gefällt mir, mit welcher Vorsicht du das erläuterst. Wir wissen ja immer nicht, was sich hinter den Kulissen abgespielt hat und wer genau welche Wechseldynamik auf der Bühne erzeugt.
In jedem Fall können wir festhalten, dass Bychkov uns beide als Orchesterleiter überzeugt hat. Meine Frau fand die Proben mit ihm rein musikalisch auch sehr gut und ausgesprochen geschmackvoll.

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