Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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yaiza

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… dann nehme ich den Ball mit der Hammerklaviersonate auf. Der Nachmittag ist zwar längst vorbei, aber ein paar Gedanken zu gestern sind aufgeschrieben…

 

Konzerthaus Berlin, Kleiner Saal  (8. Berliner Klavierfestival, 4. Abend)

So., 22. Mai 2022     

Marc-André Hamelin

C.P.E. Bach  Suite e-Moll Wq.62/12; Hamelin Suite à l’ancienne (2020) – PAUSE

Beethoven Sonate B-Dur op. 106 „Hammerklaviersonate“

 

Gestern ging das 8. Berliner Klavierfestival (nach zweijähriger Pause) in den 4. Abend. Zuvor spielten Benjamin Grosvenor, Severin von Eckardstein und Zlata Chochieva. Die beiden letztgenannten teilten sich zum 150. Jubiläum des Geburtstages von Scriabin die Aufführung der Sonaten.

Ich entschied mich, zum 4. Abend mit Marc-André Hamelin und zum Abschlusskonzert mit Janina Fialkowska zu gehen. Im kleinen Saal des Konzerthauses angekommen, nahm ich ganz vorn auf der Galerie (re. Seite) Platz. Ich kümmerte mich -pandemiebedingt, wie es immer noch heißt – erst spät um die Karte und das war bei der Buchung einer der letzten freien Plätze. Ein erster Blick zur Bühne brachte mich zum Lächeln. Da stand kein Steinway, auch kein Bechstein, sondern ein Bösendorfer. Ich mag den wärmeren, etwas dunkleren Klang und bin froh über jede Hörgelegenheit – außerhalb des Pianosalons kommt das gar nicht (mehr) so häufig vor. Im Parkett saß das Publikum eng an eng, die Galerie war nur zu deutlich weniger als die Hälfte besetzt. Wurden da einige Sponsorenkarten nicht eingelöst? Wer weiß. Schade für diejenigen, die keine Karte(n) mehr erwerben konnten.

… und dann kam der Pianist des Abend ganz entspannt heraus, ein Lächeln und los ging’s. Ich war mit meinem Platz sehr zufrieden, hatte aufgrund der Seite keine Sicht auf die Hände, dafür aber einen schönen Blick auf den Flügel und da war mechanisch auch einiges los. Besonders später bei Hamelins Stück. Aber zunächst CPE Bach mit einer Suite/Sonate, die im „Musikalischen Allerley“ in den 1760ern in Berlin veröffentlicht wurde. Sie ist von leichterer Art und es war schön, dieser sehr friedlich klingenden Musik zu lauschen.

Die von Marc-André Hamelin komponierte Suite à l’ancienne (2020) wurde gestern von ihm zum ersten Mal öffentlich gespielt.  Rachel Naomi Kudo, eine Pianistin, die er beim 2017er Van Cliburn Wettbewerb kennenlernte, gab sie in Auftrag. Hamelin saß bei diesem Wettbewerb in der Jury und hatte die Ehre, die von ihm komponierte „Toccata on L’homme armé“ gleich 30x (als Pflichtstück) zu hören. In den letzten Wochen hatte ich mir immer mal Interviews angeschaut und in Podcasts reingehört und dies erwähnte er öfters und bezeichnete es einerseits als schon merkwürdig, es so oft gespielt zu hören und andererseits als Privileg. Über die gestern gespielte Suite à l’ancienne sagte er (aus dem Programmheft zitiert): „Meine Suite ist direkt von den barocken Vorbildern der verschiedenen Werke des Genres der Toccata von Bach und Händel abgeleitet, da die allgemeinen Formen sehr ähnlich sind. Darüber hinaus ist die Harmonik, auch wenn die Sprache vollständig tonal bleibt, viel komplexer, chromatischer.“ Auch wenn ich die Suite vermutlich nicht verstanden habe, wirkte sie auf mich doch gut hörbar. Wie oben kurz angedeutet, war da eine Menge los. Ich hörte im Radio mal ein Konzert vom Klavierfestival Husum, als er einen Teil seiner Etüden vorstellte. Als Laie nehme ich das auf, mich berührt es aber nicht weiter. Ich nehme an, da sind einige Schwierigkeitsgrade abgedeckt ;)  Ich fand es schön, Hamelin mit einem Stück von ihm gehört zu haben, ein Erlebnis war es auf jeden Fall.

Nach der Pause dann der „Mount Everest“. Ich hätte nicht gedacht, dass ich op. 106 von Beethoven nach dem 2020er Zyklus von Igor Levit so schnell wieder live höre und habe mich beim Lesen der Ankündigung sehr gefreut. In den letzten Wochen hörte ich auch einige Aufnahmen, um als Hörer wieder etwas „reinzukommen“. Beim Adagio ist er auf der schnelleren Seite, was ich bevorzuge. Beim gedehnten Spiel einiger Pianisten hört es sich für mich an, als ob es auseinanderfällt. Das war bei Hamelin nicht der Fall. Ich hab’s sehr genossen.

Hätte er nach dem langen Applaus den Deckel vorn heruntergeklappt, ich hätte es verstanden. Das war schon ein „Ritt“ und mir gefiel es, dass er das danach auch nicht poker face- mäßig überspielte. Er nahm den Applaus entgegen, holte tief Luft und als sich die ersten zur Standing Ovation erhoben, setzte er sich doch nochmal an den Flügel. Einleitend gab er zu verstehen, dass die Zugabe „very very far from Beethoven is“. Eine kurze Erklärung zu William Bolcom und mit Graceful Ghost wechselte er zum Ragtime, was  gut zum „Runterkommen“ passte. Das war doch ein schöner Ausblick auf die nächste Veröffentlichung. In den USA braucht er zu William Bolcom nichts erklären, hier in Europa schaden ein paar einleitende Worte nicht. Man sah ihm auch so richtig die Freude an. Nach weiterem langen Applaus kehrte er mit dem Rondo in c-Moll zu CPE Bach zurück. Das wäre auch ein runder Abschluss gewesen, aber er schenkte uns nach weiterem langen und lautem Applaus noch einen weiteren Rag – The Poltergeist, ein sehr witziges Stück mit einigen false endings… :)  Zu Hause stöberte ich dann ein bisschen zu William Bolcom und fand heraus, dass die beiden Zugaben zu den „Three Ghost Rags“ gehören.

Wie im Hörfaden beschrieben, hatte ich vor dem Konzert noch nicht viele Höreindrücke zu Hamelin. Trotz Vorfreude, ihn mal live zu hören, hatte ich keine riesigen Erwartungen. Das Programm fand ich sehr gut aufgebaut. Er gestaltete den Abend wirklich schön. Die Schublade „kühles Spiel“ kann ich aus diesem Erleben heraus nicht aufziehen. Der Abend wirkt noch nach und hat mir insgesamt viel Freude gebracht.

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