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gypsy-tail-wind
…das ist zugleich super tight, alles sitzt perfekt, und es ist frei, offen, schlägt andauernd Haken und ändert die Richtung.
schön beschrieben. ich glaube, ich mag CRAZY PEOPLE MUSIC noch ein bisschen lieber, weil es so jugendlich ist, aber diese band hat für mich eine völlig eigene qualität.
ich habe mich endlich mal wieder hier drangetraut:
abbey lincoln, a turtle’s dream (1995)
das einzige album von den üblichen verdächtigen in diesem jahr, und den raum braucht es auch. ich muss meine bemerkung von gestern revidieren, das hier ist das tollste lincoln-album, vielleicht sogar insgesamt, und ganz sicher eins meiner jazzhighlights aus den 90ern. es geht vor allem um ihre songs hier (8,5 von 11, bei einem minimalistischen, aber sehr traditionellen blues wird die musik eigenartigerweise nina simone zugeschrieben) und jedes arrangement, die unterschiedlichen besetzungen, sind so ausgerichtet, dass man sie einfach nicht besser interpretieren kann. was ich gar nicht so mitbekommen habe, ist, dass es ja vor allem in jüngerer zeit einige tribut-alben und hommagen gegeben hat (u.a. 2 von ran blake/christine correa), andere einspielungen ihrer songs, allein von „throw it away“ verzeichnet secondhandsongs 88 versionen, u.a. von cassandra wilson, blake und john scofield (ob ich die hören will?). eine lebensbilanz in einfachen, prägnanten bildern und zirkulären melodien, von großer traurigkeit trotz aller beschworenen resilienz, man muss dazu echt in der stimmung sein. die tollsten drei songs kommen gleich zu beginn, dann gibt es eine fremdmaterial-insel mit „nature boy“ und „avec les temps“, dann geht es weiter mit dem eigenen material.
die besetzungen hat viele farben, die aber überhaupt nicht kontrastieren. ganz nebenbei ist das auch mein liebstes pat-metheny-album er hat vier auftritte, die sensibel, klangschön, aber schon sehr bei sich eine ganz eigene qualität beisteuern, vor allem auf „avec les temps“, das lincoln als wellenbewegung mit akzenten auf der 1 und 3 arrangiert hat, metheny spielt akustische ecm-hafte loops und soliert dann dazu elektrisch. dann kommen noch zwei unfassbar schöne soli auf zwei stücken von kenny barron (das ist nur touch und rhythmus), daber auch die eigentliche band kommt zum zuge: rodney kendrick, charlie haden, victor lewis, alle scheinen, wenn auch nur kendrick solistisch. außerdem: roy hargove und der junge cool-saxofonist julien loureau, manchmal wechselt michael bowie an den bass, einmal auch christian mcbride. kurz vor schluss der blues, lucky peterson spielt ligaturen und ein schönes solo und singt mit lincoln zweistimmig die refrainzeile. das ist ein ziemlich tiefer rausch, auch textlich angedeutet in der titelgebenden schildkröte, die unbemerkt von anderen in gleichmäßigen zügen den ozean durchschwimmt. moving slowly is not really bad. stepehen holden damals in den new york times:
The song could be read as a metaphor for Ms. Lincoln’s own career and for the artistry of other „turtles“ like her. The antithesis of pop music’s more celebrated burnouts and flashes in the pan, these are musicians who keep plugging away year after year, getting better and better until maybe somebody notices.
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