Antwort auf: jazz in den 1990ern

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gypsy-tail-wind
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Listen-Auslese #1 – Bin nicht in allen Fällen sicher, dass ich die Alben wirklich vor Ende 1999 kannte, aber ich hab vieles weggelassen, bei dem ich umgekehrt ziemlich sicher bin, dass ich erst etwas später dazu fand (z.B. den ganzen Randy Weston, der in den 90ern ja ein paar seiner besten Alben machte).

Biographischer Vorspann

Mit Jahrgang 1979 habe ich die 90er als erstes Jahrzehnt halbwegs bewusst mitgekriegt. Zuhause lief, neben vielem anderem (Pop, Klassik, indische Musik) auch etwas Jazz. Meine Mutter mochte „Amandla“ von Miles Davis sehr gerne. Ein anderes Album, das ich seit meiner Kindheit auswendig kenne, ist „African Marketplace“ von Abdullah Ibrahim.

Im Plattenregal meiner Eltern stehen ein paar feine Jazzalben: Bobby Timmons „This Here“, Art Blakey „Free for All“, Yusef Lateef „This Is Yusef Lateef“ (ein Reissue von „The Three Faces of Yusef Lateef“), von Abdullah Ibrahim auch eins der Solo-Alben von Edition Pläne, dazu „South Africa“, „Africa – Tears and Laughter“, von Chico Hamilton „Passin‘ Through“. Ebenso gehörten zu meiner frühen Musiksozialisierung Bob Dylan („Highway 61 Revisited“), Stephan Eicher („Silence“, „Engelberg“), Neil Young („Sleeps with Angels“), weitere Alben von Miles Davis aus den 80ern, ein paar Sachen von Sting (v.a. das Live-Album „Bring on the Night“ mit der Band, die er Miles abgeworben hatte: Brandford Marsalis, Kenny Kirkland, Darryl Jones, Omar Hakim).

Eine andere Ecke waren einzelne Alben von Goldie („Saturnz Return“), Tricky („Maxinquaye“), Portishead („Dummy“), Roni Size & Reprazent („New Forms“), Morcheeba („Big Calm“), Mono („Formica Blues“), aus der Acid Jazz-Ecke vereinzelte Sachen von Incognito, Urban Species, Brand New Heavies, aus der Ecke der Vorbilder des Acid Jazz ein wenig was von The Crusaders, auch Tower of Power, Average White Band … und ganz gross im Kurs war Maceo Parker mit „Maceo (Soundtrack)“ oder wie immer das Ding hiess. Und dass in der Gruppe am Gymnasium, zu der ich gehörte, damals auch „Officium“ von Jan Garbarek/Hilliard Ensemble eine Rolle spielte, muss ich ja auch nicht verschweigen (da gab’s auch „Carcassonne“ von Eicher, „Wildflowers“ von Tom Petty oder „Ghost of Tom Joad“ von Springsteen).

Mein bester Freund hatte zudem vom Vater eine Jazztone-LP mit Auszügen der Lionel Hampton-Session mit Lucky Thompson, Ray Copeland, Jimmy Cleveland. Wir liehen uns unsere Einkäufe gegenseitig, während ich Miles Davis, John Coltrane oder Eric Dolphy folgte und Blue Note-Klassiker zu sammeln anfing (Thelonious Monk, Herbie Hancock, Horace Silver, Jimmy Smith, Bud Powell, Hank Mobley, Lee Morgan, Jackie McLean), zog es ihn – er spielte E-Bass – auch zu Mingus, Ray Brown, Charlie Haden oder Dave Holland („Jumpin‘ In“ lernte ich so kennen, die Faszination für Mingus teilten wir uns, aber jeder von uns hatte ein paar CDs, die der andere nicht hatte).

Früh faszinierte mich auch Eddie Harris, „Swiss Movement“ mit Les McCann erhielt ich zunächst leihweise von jemandem zusammen mit einem Stapel Funk-Sachen (auf dem auch The Crusaders vertreten waren, ich glaub „Southern Comfort“ war das Album). Von jemand anderem erhielt ich dann die Rhino-Anthologie von Eddie Harris ausgeliehen.

An die kleine Trip Hop und Drum’n’Bass Ecke anschliessend, aber auch an „In a Silent Way“ und „Bitches Brew“, die ich schon so um 1994/95 herum gekannt haben dürfte (ein Freund meiner Eltern liess mich bei Besuchen stets einige CDs mitnehmen, er hatte viel Miles Davis aus den 50ern und 60ern und noch mehr Cannonball Adderley, ich hörte „In a Silent Way“ zum ersten Mal ab seiner CD) knüpfte dann eine weitere CD an, die in den 90ern wichtig war für mich, Bill Laswells „Panthalassa: The Music of Miles Davis 1969-1974“.

Aktuelles

– Diana Krall „Only Trust Your Heart“, „All for You“, „Love Scenes“, „When I Look In Your Eyes“
– Brad Mehldau „Live at the Village Vanguard – The Art of the Trio Vol. 2“, „Songs – The Art of the Trio Vol. 3“
– Joshua Redman „Mood Swing“, „Spirit of the Moment – Live at the Village Vanguard“
– Greg Osby „Banned in New York“
– Jacky Terrasson „Alive“
– Seamus Blake „The Bloomdaddies“
– Branford Marsalis „Buckshot Le Fonque“
– Bill Stewart „Telepathy“

Das sind wohl die Alben von damals jüngeren Leuten, die mir – in ungefähr der Reihenfolge – nah waren. Von Mehldau, Redman und Osby hatte ich noch mehr, von Terrasson auch (da ist des „Love for Sale“ über das „Chameleon“-Bass-Lick, das mein „Hit“ war). Die Bloomdaddies konnte ich auch vom Grunge oder von den Red Hot Chili Peppers oder so kommend hören. Und klar war ich Diana Krall verknallt, kannte vom Nat King Cole Trio noch nicht viel (es gab in der Bibliothek der Schule die „After Midnight“-CD), und von Shirley Horn auch noch nicht viel (die grosse Krall-Entzauberung gab es dann als schleichenden Prozess, in dem mir klar wurde, woher sie ihr Repertoire zusammengeklaubt hatte … sie macht ihre Sache gut, das finde ich auch heute noch, aber in Sachen Originalität waren diese Leute – von Osby und auf andere Art Mehldau abgesehen – jetzt nicht die grössten Nummern).

ECM

– Tomasz Stanko „Litania – Music of Krysztof Komeda“
– Kenny Wheeler/Lee Konitz/Bill Frisell/Dave Holland „Angel Song“
– Marilyn Crispell „Nothing Ever Was, Anyway – Music of Annette Peacock“
– Hal Russell „The Hal Russell Story“
– Charles Lloyd „Canto“
– Keith Jarrett, „Tokyo ’96“

ECM-CDs waren mir in den allermeisten Fällen zu teuer. Eine Freundin brachte mir aus den USA nicht nur „Blood Sugar Sex Magik“ sondern auch „Tribute“ von Keith Jarrett mit. Und ich konnte mal „Standards in Norway“ günstig kaufen. „Tokyo“ lief damals von den 90er-Alben Jarretts mit Sicherheit am häufigsten. Bei Hal Russell bin ich nicht ganz sicher, aber ich glaub schon, dass ich die
„Story“ sowie die „Finnish-Swiss Tour“ noch in den 90ern kennenlernte. Und die „Story“ schlug halt voll ein. Aber mich wirklich begleitet, über längere Zeit immer wieder gehört – das sind die ersten zwei in der Liste, die ich nach der Lektüre von Rezensionen (ich vermute Peter Rüedi in der Weltwoche) kaufte und in die ich mich total verliebte. Crispell kam erst gegen Ende der 90er, Lloyd kaufte ich vermutlich auch erst dann … erstere wuchs mit den Jahren zum Lieblignsalbum heran, bei Lloyd ergab sich das dann etwas anders, aber ECM hatten wir ja neulich.

Alte Meister:

– Abdullah Ibrahim „Yarona“
– Teddy Edwards „Mississippi Lad“, „Tango in Harlem“
– Eddie Harris „There Was a Time – Echo of Harlem“, „Funk Project – Listen Here“
– Shirley Horn „You Won’t Forget Me“, „I Remember Miles“
– Jackie McLean „Hat Trick – Jackie McLean Meets Junko Onishi“, „Nature Boy“
– Tommy Flanagan „Sunset and the Mockingbird“
– Art Farmer „Art in Wroclaw“, „Live at Stanford Jazzworkshop“
– Helen Merrill „Brownie – Homage to Clifford Brown“
– Joe Lovano „Trio Fascination (Edition One)“
– Bennie Wallace „Someone to Watch Over Me“
– Steve Swallow „Always Pack Your Uniform on Top“

Einer meiner Jazz-Kinks schon in den 90er war, anhand von Berendts Jazz-Buch die wichtigsten Tenorsaxer, die neben Coltrane und Rollins in den späten 50ern und frühen 60ern aktiv waren, durchzuhören. Edwards war da ein eher schwieriger Fall: ich hätte lieber eine Aufnahme von 1960 oder so gehabt, aber die war nicht zu finden (ich hatte aber wenig später, vermutlich noch in den 90ern, eine Bootleg-Ausgabe des GNP-Albums von Roach/Brown auf LP, da ist er auch wieder dabei, er gehörte ja zur Urbesetzung der Band).
Eddie Harris passt da natürlich auch rein, den nannte ich oben schon (und Behrendt würdigt ihn vermutlich alles andere als gebührend?).
Bei Merrill bin ich nicht sicher, ob ich sie – über das Album mit Clifford Brown hinaus – damals schon kannte … das Brownie-Album war jedenfalls von denen aus den 90ern das eine, das mir auf Anhieb am besten gefiel. Wohl, weil ich sie ja eh via Brownie kennengelernt hatte.
„Yarona“ finde ich bis heute ein umwerfendes Album – das habe ich auch nochmal meinen Eltern zu verdanken, die es in ihre Sammlung aufnahmen. Ich hab mir dann später auch ein Exemplar gekauft (ein anderes solches Album ist das von Surman mit Brahem und Holland – aber das habe ich erst in den Nullern wirklich zu mögen begonnen, drum fehlt es hier).
Und fall die Frage aufkommt, was denn mit Betty Carter ist: es ist halt nicht „Feed the Fire“, das bei mir einschlug, sondern „The Audience with Betty Carter“ – aus meinem Geburtsjahr. Die letzten drei gehören zudem natürlich nicht in diese Kategorie, aber ich fand keine andere passende. Lovano hörte ich – u.a. mit Scofield und diesen auch mit Eddie Harris – in den 90ern auch ausführlicher, aber das ist dann das eine Album, das mir damals wirklich Eindruck machte (aber auch da ist mal wieder möglich, dass ich es erst 2000 oder 2001 kaufte).

Avantgarde

– Charles Gayle „Touchin‘ on Trane“
– Andrew Hill „Dusk“
– Enrico Rava/Ran Blake „Duo en noir“
– Jeanne Lee/Mal Waldron „After Hours“
– Vienna Art Orchestra „20th Anniversary“

Free Jazz hörte ich wohl so ab 1997 oder 1998, hauptsächlich via Coltrane (dessen Alben, die frühen Alben von Shepp auf Impulse, ein paar wenige Sachen von Taylor, Sun Ra, Marion Brown). Die aktuellen Sachen der Avantgarde-Leute gab es vielleicht in den Läden, aber da fing ich erst so um 2001/2 herum an, das aktiv zu verfolgen, parallel damit, dass ich sowas bald sehr, sehr gerne live hörte. Die fünf oben kannte ich aber glaub ich wirklich alle schon in den 90ern, und die passen auch nicht zusammen, aber geben einen Eindruck, wo ich so unterwegs war (mir gefiel übrigens Lee/Waldron noch ein paar Jahre lang besser als Lee/Blake).

Ferner liefen

Die weiteren Alben aus den Neunzigern, die ich ziemlich sicher schon in den Neunzigern kannte:

John Abercrombie – While We’re Young
John Abercrombie – Speak of the Devil
John Abercrombie/Dave Holland/Jack DeJohnette – In the Moment
Rabih Abou-Khalil – Al-Jadida
Geri Allen – Twenty One
Franco Ambrosetti – Light Breeze
Ray Anderson – Funkorific
Ray Anderson – Where Home Is
Joey Baron – Down Home
Steven Bernstein – Diaspora Soul
Paul Paul/Franz Koglman/Gary Peacock – Annette
Anouar Brahem/John Surman/Dave Holland – Thimar
Betty Carter – Feed the Fire
Joe Chambers – Mirrors
Chapter 12 – Chapter 12
Holly Cole – It Happened One Night
Miles Davis – Live Around the World
Miles Davis – Doo-Bop
Jack DeJohnette – Oneness
Jan Garbarek/Miroslav Vitous/Peter Erskine – Star
Kenny Garrett – Triology
Kenny Garrett – Pursuance: The Music of John Coltrane
Kenny Garrett – Songbook
Benny Golson – That’s Funky
Don Grolnick – The Complete Blue Note Recordings
Herbie Hancock/Wayne Shorter – 1+1
Keith Jarrett – Vienna Concert
Keith Jarrett – La Scala
Keith Jarrett – The Melody at Night… with You
Carol Kaye – The First Lady on Bass
Lee Konitz/Brad Mehldau/Charlie Haden – Another Shade of Blue
Lee Konitz/Brad Mehldau/Charlie Haden – Three Guys
Diana Krall – Stepping Out
Yusef Lateef/Archie Shepp – Tenors of Yusef Lateef and Archie Shepp
Joe Lovano – From the Soul
Joe Lovano – Tenor Legacy
Joe Lovano – Rush Hour
Joe Lovano – Celebrating Sinatra
Branford Marsalis – The Dark Keys
Christian McBride – Gettin‘ to It
Christian McBride – Number Two Express
Christian McBride/Nicholas Payton/Mark Whitfield – Fingerpainting
John McLaughlin – The Free Spirits – Tokyo Live
Brad Mehldau – Introducing
Brad Mehldau – The Art of the Trio Vol. 1
Brad Mehldau – Elegiac Cycle
Marcus Miller – Tales
Greg Osby – Zero
Greg Osby – Inner Circle
Greg Osby – The Invisible Hand
Danilo Perez – PanaMonk
Dewey Redman/Cecil Taylor/Elvin Jones – Momentum Space
Joshua Redman – Wish
Joshua Redman – Captured Live
Joshua Redman – Beyond
Joshua Redman – Timeless Tales (For Changing Times)
Max Roach – To the Max!
Kurt Rosenwinkel – The Next Step
Renee Rosnes – Ancestors
Hal Russell – The Finnish/Swiss Tour
Dino Saluzzi – Cité de la Musique
Maria Schneider – Coming About
Roman Schwaller – Some Changes in Life
John Scofield – Meant to Be
John Scofield – What We Do
John Scofield – Grace Under Pressure
John Scofield – Hand Jive
John Scofield – Groove Elation
John Scofield – Quiet
Mark Shim – Turbulent Flow
Surman John /Karin Krog – Nordic Quartet
Jacky Terrasson – Jacky Terrasson
Jacky Terrasson – Reach
Treya Quartet – Treya Quartet Plays Gabriel Fauré
Mark Turner – Ballad Session
McCoy Tyner – New York Reunion
McCoy Tyner – 44th Street Suite
Chucho Valdés – Bele Bele en La Habana
Barney Wilen – Passione
Cassandra Wilson – Blue Light ‘Til Dawn
Cassandra Wilson – New Moon Daughter
Cassandra Wilson – Traveling Miles
Phil Woods – The Rev and I
Carlos Zingaro/Peggy Lee – Western Front – Vancouver 1996

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