Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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jackofh

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Noch mehr Berlinale:

***1/2 Avec amour et acharnement (Claire Denis, Wettbewerb)
Dieser Film hat mich ein wenig ratlos zurückgelassen. Vordergründig ist das eine typisch französische Ménage-à-trois-Geschichte. Mit starken Schauspielleistungen und durchaus hohem Schauwert, dank Juliette Binoche und toller Kamera. Allzu viel Handlung darf man da natürlich nicht erwarten. Etwa eine Stunde lang raunt es nur so vor sich hin – und als es dann endlich soweit ist, passiert auch nichts Außergewöhnliches. Die Protagonist*innen leben in der Vergangenheit und finden, solange sie in ihrer Dreiecksbeziehung gefangen sind, keinen Weg, ihre Zukunft zu gestalten. Gesprochen wird abseits der furiosen Streitszenen nur das nötigste. Erzählmedium sind in erster Linie die Gesichter der Schauspieler*innen (daher wohl der auffällige Verweis auf Šarūnas Bartas im Abspann). Große Sympathiepunkte sammelt in diesem Beziehungsdrama niemand. Ergo lässt die Haupthandlung einen auch relativ kalt. Könnte es also sein, dass es Denis hier mindestens gleichwertig noch um etwas ganz Anderes geht? Nämlich die Stigmatisierung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen: der Alten und Jugendlichen, der Migranten und PoC, von Delinquenten und Frauen? Anhaltspunkte dafür gibt es einige: die Gespräche von Binoches Figur als Radiomoderatorin (u.a. mit Lilian Thuram über Rassismus in Frankreich), das wiederholte Thematisieren der Haftstrafe ihres Mannes, der ganze recht raumgreifende Nebenstrang um dessen „Mischlingssohn“, die Tatsache, dass alle niederen Dienstleistungsjobs hier mit PoC besetzt sind … Die letzten Bilder, als der Film eigentlich schon zuende ist, gehören jedenfalls interessanterweise Vater und Sohn, die scheinbar die Kurve in eine bessere Zukunft noch bekommen haben.

****1/2 Sonne (Kurdwin Ayub, Encounters)
Ein ebenso selbst- wie stilbewusstes Spielfilmdebüt der Seidl-Schülerin Kurdwin Ayub. Die erst 31-jährige Regisseurin wirft uns hier mitten hinein in das Leben dreier junger Österreicherinnen mit Migrationsgeschichte. Semi-dokumentarisch mit immer wieder eingestreuten Social-Media-Clips gefilmt, erschafft sie nicht nur eine außergewöhnlich authentische Atmosphäre, sondern zeigt auch das Potenzial der Geschichten vom Rande der Mehrheitsgesellschaft auf, wenn sie denn mal klischeefrei und aus der Binnenperspektive auf die Leinwand gebracht werden. „Sonne“ ist den meisten Coming-of-Age-Filmen aus dem Generation-Programm der Berlinale meilenweit voraus und hat vollkommen zurecht den Preis für den besten Erstlingsfilm erhalten.

Außerdem gesehen:

**** L’ état et moi (Max Linz, Forum)

**1/2 Shabu (Shamira Raphaëla, Generation)

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