Antwort auf: jahresrückblick jazz 2021

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gypsy-tail-wind
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Jahresrückblick … irgendwie geht ja nichts zu Ende, leider, aber gut, dann will ich auch mal noch. Unten die übliche Liste, sehr viel gutes wieder, die Highlights für mich Wadada Leo Smith, die Box von Anthony Braxton mit dem Trio von Alexander Hawkins, und eher überraschend (so weit vorn hätte ich beide nicht unbedingt erwartet) die neue Doppel-CD vom Borderlands Trio und Vol. 2 von Steve Coleman im Village Vanguard. Die schönste Überraschung ist aber vielleicht das Solo-Album von Marc Johnson, denn bei aller Wertschätzung für seine Arbeit hat er mich bisher noch nie so berührt wie hier.
 
Entdeckungen I … im Konzert gab’s ja keine zu machen für mich – das Solo-Set von David Virelles war mein einziges Jazzkonzert dieses Jahr, doch das war immerhin sehr gut. Also auf Tonträgern … und da machten mir die Umfragen dieses Jahr schon ein wenig einen Strich durch die Rechnung. Die Liste unten ist mit Vorsicht zu geniessen, vieles habe ich erst im Dezember und bisher bloss einmal anhören können.
 
Entdeckungen II … die Umfragen waren natürlich toll, auch wenn das für mich eine ambivalente Sache ist – 2022 möchte ich jedenfalls mehr nach dem Prinzip „Hören, was hier ist“ bwz. passender „Hören, was ich alles gekauft habe“, vorgehen. Es war aber klasse, mich endlich mal intensiver mit dem Werk von Alice Coltrane zu befassen, zu dem ich auf jeden Fall neue Zugänge finden konnte. Auch toll – und wie Coltrane ein lange schon geplantes Unterfangen – war es, mich durch fast die ganze Diskographie von Herbie Hancock zu hören. Die Box mit den Columbia-Aufnahmen ist alles in allem schon enorm lohnenswert, auch wenn da Dinge dabei sind, die mich weniger ansprechen.
Blue Note im Frühling war eine Herzensangelegenheit (ebenso wie Miles, John Coltrane und Mingus!) – die grossen Entdeckungen gab es da für mich natürlich nicht, aber gewachsen sind bei mir besonders die Aufnahmen von Duke Pearson, dem ich durch die Umfrage eine neue Wertschätzung entgegenbringe. Auch die elektrischen Alben von Donald Byrd habe ich teils mit neuen Ohren hören können.
Im letzten halben Jahr stand dann ECM im Mittelpunkt, und da habe ich es besonders genossen, einerseits die Alben von altbekannen (Tomasz Stanko, Paul Motian, Charles Lloyd, natürlich auch Keith Jarrett) wieder einmal anzuhören, andererseits aber durch die Umfrage angeregt auch Leute endlich ausgiebig zu hören, die ich bisher nur punktuell kannte (Egberto Gismonti, Dino Saluzzi, Anouar Brahem) oder von denen ich nur wenige ECM-Alben kannte (John Surman etwa, auch die Bestände von John Abercrombie oder Paul Bley wurden noch etwas erweitert, Bley komplettiert, soweit ich den Überblick habe). Eine grosse Jazz-Entdeckung war dann aber das Trio von Bobo Stenson, von dem ich jetzt alle ECM-Alben und auch gleich noch die etwas frühere Dragon-Scheibe im Regal habe (davor hatte ich nur „Goodbye“ gekannt).
Interessant war es, die eine oder andere Kontinuität zu verfolgen, z.B. nochmal die mir vorliegenden Aufnahmen von Chick Corea durchzuhören: von Atlantic/Vortex, Blue Note und Solid State zu ECM und dann weiter zu Polydor, auch die Duos mit Herbie Hancock (Polyodr bzw. Columbia) und das Duo mit Stefano Bollani (ECM) habe ich dieses Jahr erstmals angehört. Dass ausgerechnet bei ECM zwei der besten Alben in der Nachfolge von Herbie Hancocks Mwandishi-Band entstanden sind (Julian Priesters „Love, Love“ und Bennie Maupins „The Jewel in the Lotus“) ist schon faszinierend. Bei Blue Note gab es ja in etwa zeitgleich die beiden ersten Alben von Eddie Henderson, die auch gut sind, aber schon in die kommerziellere Richtung gehen, die Blue Note in den Siebzigern einschlug.
 
Entdeckungen III … in der Liste unten stehen zahlreiche Nahmen, die mir völlig neu waren bzw. die ich letztes Jahr noch gar nicht gekannt hatte. Das hat u.a. mit dem CD-Abo zu tun, das ich 2021 bei Astral Spirits abschloss. Das Intakt-Abo läuft derweil weiter, bot aber wie üblich eine etwas durchwachsene Bilanz (ein paar der für mich besten Intakt-Alben des Jahres habe ich zusätzlich gekauft).
Paula Shocron/Pablo Díaz sind jedenfalls eine Entdeckung – dass ich inzwischen mit William Parker klarkomme, hilft da natürlich (ich habe kürzlich noch ein paar schon etwas ältere Aufnahmen der beiden auf Sluchaj gekauft, das wären jetzt eben Aufnahmen, die ich 2022 gerne mal hören würde). Auch das Duo Kappeler/Zumthor auf Intakt gehört zu den schönen Überraschungen – und in diesem Fall hätte ich das Album ohne mein Abo sicher verpasst (das frühere Album auf ECM kam im Rahmen der Umfrage dann auch noch dazu – zum Glück hatte ich es neue schon vor Dezember mal reingehört).
Eine ganz grosse Entdeckung ist dann auf jeden Fall die Pianistin Ayumi Tanaka – deren neues Trio-Album auf ECM finde ich sehr besonders und stimmungsvoll, und auch ihre Zusammenarbeit mit Thomas Strønen und Marthe Lea ist klasse. Noch etwas besser von den bisherigen beiden Alben von Tanaka mit Strønen fand ich allerdings „Lucus“, das auch im Rahmen der ECM-Umfrage neu dazu gekommen ist.
 
Entdeckungen IVChick Corea habe ich genannt – das ist keine Entdeckung im eigentlichen Sinn, aber auch anderswo habe ich ein paar Fäden weitergesponnen. Z.B. in den letzten Wochen bei Gary Burton mal genauer hingehört (und tatsächlich einige neue Alben „entdeckt“). Von den Blue Note-Fäden habe ich zu viele nicht weitergesponnen (auch darum habe ich bei ECM unmittelbar nach Fertigstellung meiner Listen mal ein paar Besternungen rausgehauen, aber dort kommt es – leider, ich gehör da nicht zur Forumsorthodoxie – nicht mehr zu Diskussionen).
Die neue Box von Lee Morgan im Lighthouse schlägt da gleich die nächste Brücke. Die grösste Überraschung war das natürlich so wenig wie der Mitschnitt von Art Blakey and the Jazz Messengers aus Japan, aber beides sind schon sehr erfreuliche Ergänzungen des Katalogs. Eine echte Überraschung war für mich die Doppel-CD mit Solo-Aufnahmen von Hasaan Ibn Ali – das Quartett-Album, das bei Atlantic nie erschien, fesselt mich etwas weniger, aber dass die Diskographie von Hasaan 2021 sich buchstäblich vervielfacht hat (exponentielles Wachstum, anyone?) ist schon ein grosses Glück!
Grosse klasse ist auch das neue Material auf der erweiterten Ausgabe des Carnegie Hall-Konzerts von Charles Mingus, die neue Buch/Box von den Splinters und die anderen Neuheiten von Jazz in Britain (Mike Gibbs, Group Sounds Four & Five, Neil Ardley, Mike Taylor), die LP von Roland Kirk im Ronnie Scott’s, die Doppel-CD von Nina Simone in Montreux, die Cecil Taylor-Mitschnitte, die Sluchaj herausbringt (2022 soll ein Solo-Konzert aus den frühen Jahren folgen!) … und natürlich John Coltrane in Seattle, auch wenn der off-mike-Leader schon schmerzhaft ist.
In Sachen Archiv-Releases vielleicht nicht das allerbeste Jahr, aber ein sehr ergiebiges, wie sich anhand des bisher nicht genannten leicht ablesen lässt: Roy Brooks, Hal Galper, Dexter Gordon (ich glaub, das ist neben „Fried Bananas“ und der zur gleichen Zeit entstandenen Chateauvallon die der vielen Archiv-Veröffentlichungen Gordons aus den letzten Jahren), Graham Collier, Harold Land, Bill Evans, Bud Powell, Billy Bang, Sheila Jordan (bisher für mich eine leise Enttäuschung), Jerome Richardson … und die jüngste aus dem Sam Rivers Archive Project, ein Dokument der kurzlebigen Gitarrenband von 1981, ist natürlich auch sehr gut (der Klang lässt sie etwas tiefer rutschen in der Liste).
 
Vermutlich habe ich wieder so einiges vergessen … aber wir lesen uns ja eh demnächst in diesem Theater wieder.
 
Und damit zur Liste:
 

: : Neuheiten : :

* * * * *
Stephan Crump/Kris Davis/Eric McPherson: Borderlands Trio – Wandersphere

* * * *1/2
Wadada Leo Smith with Milford Graves and Bill Laswell – Sacred Ceremonies
Anthony Braxton – Quartet (Standards) 2020
Wadada Leo Smith’s Great Lakes Quartet – The Chicago Symphonies
Marc Johnson – Overpass
Steve Coleman and Five Elements – Live at the Village Vanguard Volume II (MDW NTR)
Wadada Leo Smith – Trumpet
East Axis: Matthew Shipp/Allen Lowe/Gerald Cleaver/Kevin Ray – Cool with That
Anna Webber – Idiom
Ayumi Tanaka Trio – Subaqueous Silence
Vera Kappeler/Peter Conradin Zumthor – Herd
Ivo Perelman – Brass and Ivory Tales
Stephanie Nilles – I Pledge Allegiance to the Flag-The White Flag
Thomas Strønen/Ayumi Tanaka/Marthe Lea – Bayou
James Brandon Lewis – Jesup Wagon
Punkt.Vrt.Plastik (Kaja Draksler/Petter Eldh/Christian Lillinger) – Somit
James Brandon Lewis Quartet – Code of Being
Floating Points/Pharoah Sanders/The London Symphony Orchestra – Promises
Wadada Leo Smith/Jack DeJohnette/Vijay Iyer – A Love Sonnet for Billie Holiday
Wadada Leo Smith/Douglas R. Ewart/Mike Reed – Sun Beams of Shimmering Light
Abdullah Ibrahim – Solotude: My Journey, My Vision
Alexander Hawkins – Togetherness Music
Craig Taborn – Shadow Plays

* * * *
Lucía Martínez/Agustí Fernández/Barry Guy – Bosque de niebla
Roscoe Mitchell/Mike Reed – the Ritual and the Dance
Paula Shocron/William Parker/Pablo Díaz – El Templo
Henry Threadgill Zooid – Poof
Archie Shepp/Jason Moran – Let My People Go
Artifacts: Tomeka Reid/Nicole Mitchell/Mike Reed – …and then there’s this
Luke Stewart – Works for Upright Bass and Amplifier Vols. 1 & 2
Vijay Iyer – Uneasy
Mario Pavone Dialect Trio + 1 – Blue Vertical
Tim Berne/Chris Speed/Reid Anderson/Dave King – Broken Shadows
Andrew Cyrille Quartet – The News
Johnansson Fite Grip – Swinging at Topsi’s
JD Allen – Queen City
Enrico Rava – Edizione Speciale
Michael Mantler – Coda: Orchestra Suites
Evan Parker Quartet – All Knavery and Collusion
The Cookers – Look Out!
Julian Lage – Squint
Sarah Schoenbeck – Sarah Schoenbeck
Florian Arbenz – Conversation #2 & #3
Sylvie Courvoisier/Mary Halvorson – Searching for the Disappeared Hour
Irène Schweizer/Hamid Drake – Celebration
Angelika Niescier/Alexander Hawkins – Soul in Plain Sight
Mazzarella/Haker Flaten/Ra – What You Seek Is Seeking You
Mario Pavone The Tampa Quartet – Isabella
Urge Trio (Tomeka Reid/Christoph Erb/Keefe Jackson) – „Heros“ Live in St. Petersburg
Thumbscrew – Never Is Enough
Jeremiah Cymerman/Charlie Looker – A Horizon Made of Canvas
Hearth (Mette Rasmussen/Ada Rave/Susana Santos Silva/Kaja Draksler) – Melt
Joe Lovano Trio Tapestry: Garden of Expression
Florian Arbenz – Conversation #4: Vulcanized
Thollem – Thollem’s Astral Traveling Sessions with Alex Cline and Susan Alcorn

* * *1/2
Florian Arbenz – Conversation #1
Mars Williams Presents: An Ayler Xmas Vol. 5
Thollem – Thollem’s Astral Traveling Sessions with Karl Berger and Michael Snow
Sons of Kemet – Black to the Future
Alvin Fielder/David Dove/Jason Jackson/Damon Smith – The Very Cup of Trembling
Jack Cooper & Jeff Tobias – Tributaries
Christoph Erb/Magda Mayas/Gerry Hemingway – Dinner Music
Orquesta del Tiempo Perdido – Traantjes
Thollem – Thollem’s Astral Traveling Sessions with with Hafez Modirzadeh

* * *
Gordon Grdina/Jim Black – Martian Kitties
Chris Laurence – Ken Wheeler: Some Gnu Ones
Sarah Buechi – The Paintress
 
 
: : Archiv : :

* * * *1/2
Julius Hemphill – The Boyé Multi-National Crusade for Harmony: Archival Recordings [1977-2007]
Hasaan Ibn Ali – Retrospect in Retirement of Delay: The Solo Recordings [1962-65]
Lee Morgan – The Complete Live at the Lighthouse [1970]*
Splinters – Inclusivity [1972]*
Roland Kirk – Live at Ronnie Scott’s 1963
Nina Simone – The Montreux Years [1968-1990]
Roberto Miranda’s Home Music Ensemble – Live at Bing Theatre, Los Angeles, 1985
Charles Mingus – Mingus at Carnegie Hall (Deluxe Edition) [1974]*
Bheki Mseleku – Beyond the Stars [2003]
Cecil Taylor – Music from Two Continents: Live at Jazz Jamboree ’84
Dexter Gordon Quartet – Willisau 1978: Swiss Radio Days Jazz Series Vol. 45
Mike Gibbs – Revisiting Tanlgewood 63: The Early Tapes
Group Sounds Four & Five – Black & White Raga [1965/66]
John Coltrane – A Love Supreme Live in Seattle [1965]

* * * *
Hal Galper Quintet – Live at the Berlin Philharmonic 1977
Masabumi Kikuchi – Hanamichi: The Final Studio Recording [2013]
Mototeru Takagi – Live at Little John, Yokohama 1999
Hasaan Ibn Ali – Metaphysics [1965]
Neil Ardley – Kaleidoscope of Rainbows: Live ’75
Roy Brooks – Understanding [1970]
Sam Rivers Quartet – Undulation (Sam Rivers Archive Project, Volume 5 [1981])
Art Pepper – Atlanta: Unreleased Art Pepper Volume 11 [1980]
Mike Taylor Quartet – Mandala [1965]
Roy Hargrove/Mulgrew Miller – In Harmony [2006/07]
Graham Collier – British Conversations [1975]
Harold Land – Westward Bound! [1962-65]
Cecil Taylor Quintet – Live at Tampere Jazz Happening 1998
Cecil Taylor Ensemble – Göttingen [1990]
Art Blakey and the Jazz Messengers – First Flight to Tokyo: The Lost 1961 Recordings
Bill Evans – Behind the Dikes: The 1969 Netherlands Recordings
Bud Powell – 1962 Stockholm/Oslo
Bill Evans Trio – On a Friday Evening [1975]
Itaru Oki Quartet – Live at Jazz Spot Combo 1975

* * *1/2
Hans Koch/Paul Lovens – Nephlokokkygia 1992
Sheila Jordan – Comes Love: Lost Session 1960
Erroll Garner – Symphony Hall Concert
Billy Bang – Music from the Film „Lucky Man“
Bud Powell – 1962 Copenhagen
Freddie Redd – Reminiscing
Ian Carr Double Quintet – Solar Session
Jerome Richardson – Groovin‘ High in Barcelona [1988]
Butch Warren/Freddie Redd – Baltimore Jazz Loft
Wendell Harrsion and The Tribe – Farewell to the Welfare [1975]

* * *
Miles Davis – Merci, Miles! Live at Vienne [1991]


*) sind genau genommen – stark erweiterte – Reissues

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba