Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

Startseite Foren Kulturgut Für Cineasten: die Filme-Diskussion Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

#11616645  | PERMALINK

fifteenjugglers
war mit Benno Fürmann in Afghanistan

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 11,597

Nachlese Film Festival Cologne:

10. PANKOW ’95 von Gábor Altorjay (1983)

Zählt eigentlich nicht fürs Ranking, da es sich um eine Wiederaufführung handelt. Udo Kier als Musikwissenschaftler, der in der DDR der Zukunft in der Psychiatrie gefangen gehalten wird. Visuell außergewöhnlich (Altorjay ist eigentlich Künstler aus dem Fluxus-Umfeld), punkig-schrill, interessant, unterhaltsam, aber nicht so richtig gut.

9. BENEDETTA von Paul Verhoeven (2021)

Verhoeven so: „Warum nicht mal Nunsploitation? Hat schon lange keiner mehr gemacht.“ Lesbische Nonnen sieht man natürlich immer gerne, aber irgendwie bleibt Verhoeven hier unter seinen Möglichkeiten, auch wenn das Thema religiöse Hysterie treffend umgesetzt ist. Auch eher unterhaltsam als richtig gut. Aber vielleicht wird das ja in zehn Jahren der neue SHOWGIRLS.

8. BERGMAN ISLAND von Mia Hansen-Løve (2021)

Hier fangen schon die guten Filme an. Tim Roth und Vicky Krieps (beide super) als filmschaffendes Paar und Artists in Residence auf dem Bergman-Anwesen auf Fårö. Dynamik und Reibereien zwischen zwei Kreativen und ein unprätentiös und smooth integrierter Film im Film über eine verflossene Liebe. Gut.

7. ANNETTE von Leos Carax (2021)

Provokativer Comedian (Adam Driver als Henry McHenry, the Ape of God) liebt Opernsängerin (Marion Cotillard). Musical nach einem Drehbuch der Mael-Brüder, die auch für die Songs und gesungenen Dialoge verantwortlich zeichnen. Dementsprechend schräg und voller skurriler Einfälle ist der Film geraten. Über weite Strecken ein Genuss und visuell toll, gibt es leider gegen Ende ein paar Dinge, die nicht ganz überzeugen. Daher recht deutlich hinter den folgenden Filmen.

6. LES OLYMPIADES von Jacques Audiard (2021)

Ein schwarz-weisses Porträt des Hochhausviertels Les Olympiades in Paris und einer Gruppe junger Menschen in den 20ern/frühen 30ern, die nach dem richtigen Platz im Leben, dem richtigen Partner oder auch nur nach Sex suchen. Gleichzeitig sowohl im Hier und Jetzt verortet als auch eine Hommage an die Nouvelle Vague. Jacques Audiard entfernt sich hier weiter vom für ihn typischen physisch-männlichen Kino (naja, physisch ist der Film schon). Einen großen Anteil am Gelingen des Films hat dabei die Drehbuch-Mitarbeit von Céline Sciamma und Léa Mysius (ich bin mir ziemlich sicher, dass die weiblichen Rollen ansonsten weniger überzeugend ausgefallen wären). Rundum gelungen.

5. SWAN SONG von Todd Stephens (2021)

Der beste Kölner Schauspieler Udo Kier als ehemals flamboyanter Friseur der besseren Gesellschaft der Kleinstadt Sandusky, Ohio, jetzt mittellos und zu einer tristen Existenz in einem Seniorenheim verurteilt. Der Tod einer ehemaligen Freundin/Kundin veranlasst ihn, noch einmal auszubrechen und im Stadtzentrum ein paar persönliche Dinge in Ordnung zu bringen. Ein Trip von ein paar Meilen, trotzdem erinnert der Film ein bisschen an THE STRAIGHT STORY, nur in schwul und emotionaler. Hat mir sehr gefallen.

4. LAMB von Valdimar Jóhannsson (2021)

Ein isländisches Bauern-Ehepaar (die weibliche Hauptrolle relativ prominent besetzt mit Noomi Rapace) macht im Schafstall eine höchst sonderbare Entdeckung. Ich will hier nicht spoilern, aber dieser teils melancholische, teils komische Horrorfilm (ja, es ist einer, aber das vergisst man zwischendurch immer wieder) ist schon ziemlich außergewöhnlich. Sehr sehenswert.

3. FEATHERS von Omar El Zohairy (2021)

Als ihr autoritärer Ehemann auf der Geburtstagsfeier seines Sohnes in ein Huhn verwandelt wird, bricht eine ägyptische Hausfrau nach und nach aus ihrer unterwürfigen Rolle aus. Wie Kaurismäki in Ägypten, nur viel bissiger und subversiver. Männer kommen nicht gut weg in diesem Film, Behörden ebensowenig, und die Kamera zeigt viel Dreck und Verfall. Teilweise recht langsam und repetitiv, aber das gehört zum Konzept. Erstaunlicherweise ist der Regisseur bisher noch nicht geteert und gefedert worden.

2. ONODA von Arthur Harari (2021)

Kriegsfilm über den vorletzten japanischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs, der bis 1974 im Dschungel einer philippinischen Insel ausharrte. Trotz 165 Minuten Laufzeit ohne Längen und recht straight erzählt. Die Parallele zu Realitätsverweigerern der Gegenwart drängt sich natürlich auf, der Film hält sich allerdings mit Kommentaren diesbezüglich ziemlich zurück.

1. VORTEX von Gaspar Noé (2021)

Nach Haneke und dem Film THE FATHER mit Anthony Hopkins der dritte Film zum Thema Demenz in den letzten zehn Jahren. Und wahrscheinlich der beste (THE FATHER habe ich nicht gesehen). Nüchtern-dokumentarisch in der Herangehensweise, mit tollen Darstellern – allen voran Françoise Lebrun. Zweiter Hauptdarsteller ist Dario Argento als leidgeprüfter Ehemann. Der dritte ist im Grunde die mit Büchern und Erinnerungen vollgestopfte Pariser Dachgeschosswohnung nahe der Métro-Station Stalingrad. Und: Selten wurde ein Split Screen (über fast die komplette Filmlänge) passender eingesetzt. Klar der beste Film des Festivals.

--

"Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"