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Gianluigi Trovesi Ottetto – Fugace | Die Band habe ich leider damals live nie gehört, aber sie war hie und da im Radio und ich mochte sie sehr. Heute ist da etwas Distanz dazugekommen (die Trovesi-Scheibe, die ich wohl weiter am liebsten mag, dürfte die Midsummernight’s Dream-Adapation auf Enja sein), aber nach den schweren nordischen Tönen der Seim-Scheibe (die sehr schön ist auf ihre Art, aber halt weniger – oder nur selten – meins) tut der südländische Spielwitz von Trovesi gerade richgit gut. Neben dem Leader an Altsax sowie Piccolo- und Altklarinette sind Massimo Greco (t/elec), Bebbe Caruso (tb), Marco Remondini (vc/elec), Roberto Bonati (b), Marco Micheli (b/elb), Fulvio Maras (perc/elec) und Vittorio Marinoni (d) dabei. Lothar Müller schreibt in den Liner Notes, wie – noch in den letzten Zügen des Faschismus – durch Cesare Pavese (er übersetzte Melville und schuf im heimischen Piemont eine Art lokalen Ableger oder ein Gegenstück zum mittleren Westen) oder Lucchino Visconti („Ossessione“, 1943) – die USA nach Italien geholt wurden. Gleichzeitig wie Italien – „Riso amaro“ kam 1944 in die Kinos: „Mamma mia dammi cento lire che in America voglio andar“. Dort gab es Musik von Armando Trovajoli und Goffredo Petrassi, in Trovesis Umfeld in Bergamo gab es die traditionellen (Arbeiter*innen-)Lieder, die moderne Musik und den Jazz im Radio, aber auch die Blechbands, die bei Umzügen und Feierlichkeiten aufspielten. „Fugace“ ist Trovesis eigener „melting pot“, in dem das alles zusammenkommt: Orpheus trifft auf Louis Armstrong und W. C. Handy, auf King Oliver und Clarence Williams („Ramble“ spielt auf „Oh, Didn’t He Ramble“ an, „Blues and West“ auf den „Westend Blues“, „Senza Tigre“ auf den „Tiger Rag“). Trovesis Klarinette spricht die Bergamasca, aber ebenso den Swing von Benny Goodman oder Edmond Halls Klarinette, die Louis Armstongs Linie umrankt und ausschmückt. Der klassisch ausgebildete Virtuose bezieht sich auf Shakespeare, Monteverdi und das 18. Jahrhundert, neapolitanische Weisen gleichermassen wie auf den Jazz – doch seine Musik füllt kein Museum sondern öffnet Bühnen, auf denen es sehr bunt zu und her geht. „Siparietto“ heissen vier Zwischensegmente hier: der Vorhang wird aufgezogen, es folgt die nächste Attraktion. Die Komik ist immer dabei, auch wenn der tief in Gedanken versunkene Orpheus auftritt – bei Trovesi findet das alles zu einem lebendigen Ganzen zusammen. Und das funktioniert, finde ich, wirklich trefflich, auch wenn es oft mehr Medley als Suite bildet. Es entsteht dennoch ein Ganzes, das seinesgleichen nicht kennt und mich immer wieder packt. Das letzte Wort hat übrigens der grosse süditalienische Komiker Totò: da wird ein neapolitanische Melodie, die zugleich marcia funebre ist, zu einem Kalypso: „Totolyspo“, oder „Totò nei Caraibi“.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba