Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Konzert Nr. 2 – „Beethoven erzählt“ – Stadtcasino Basel, 10.09.2021

Kammerorchester Basel
Sylvain Cambreling
Leitung
Carolin Widmann Violine
Lorelei Dowling Kontraforte

LUDWIG VAN BEETHOVEN
Romanze für Violine und Orchester Nr. 1 G-Dur Op. 40
Romanze für Violine und Orchester Nr. 2 F-Dur Op. 50

GEORG FRIEDRICH HAAS
„Was mir Beethoven erzählt“, Konzertante symphonische Dichtung für Violine, Kontraforte und Orchester (UA)

LUDWIG VAN BEETHOVEN
Sinfonie Nr. 6 F-Dur Op. 68 „Pastorale“

Und schon war ich beim zweiten Konzert der neuen Saison des Kammerorchesters Basel – ein Beethoven-Abend, auch als Wiedergutmachung für das verpatzte bzw. virusbefallene Jubiläumsjahr 2020. Um er vorwegzunehmen: die erste Konzerthälfte war toll, die zweite eher mau.

Widmann habe ich bisher im Konzert nur einmal mit Zeitgenössischem gehört. Die beiden Romanzen wurden am Stück geboten, mit einer kurzen Fermate dazwischen, einem Atemholen – aber ohne Geraschel, Gescharre, Gehuste (letzteres gibt es leider wieder, da gemäss den Vorgaben – Eintritt nur mit gültigem Zertifikat – die Maske abgelegt werden darf, und die allermeisten dies auch tun). So richtig viel her geben die zwei Romanzen allerdings auch im Konzert nicht, aber sie mal im Saal und nicht in den eigenen vier Wänden zu hören war dennoch ganz nett.

Danach folgte die pièce de résistance des Abends, die einigen Leuten im eher schlecht besuchten Saal nur ein Kopfschütteln abzuringen vermochte. Haas, der sich in einer kurzen Einführung auch selbst zu seinem Werk äusserte (das am Vorabend in Bonn beim Beethovenfest seine Premiere erlebte), geht in seinem halbstündigen Werk der Frage nach, was in Beethovens Kopf, in seinem Geist vorging, als er allmählich ertaubte. Das Kontraforte ist eine Weiterentwicklung des Kontrafagotts, das leichter zu spielen sei und in den Händen von der australischen Solistin Lorelei Dowling tatsächlich sehr beweglich daherkam. In Haas‘ Stück hören wir tiefes Pochen, wir hören Klopfgeräusche, ein Dröhnen, Trillerketten in hohen Frequenzen, dissonante Intervalle, die sich oft nur halb auflösen, da Haas mit Mikrotönen arbeitet (am Kontraforte vermutlich nur annäherungsweise durch Ansatz/Intonation zu erreichen, an der Violine ist das naturgemäss leichter). Aus der Leere entsteht das Stück, die Violine ganz hoch, das Kontraforte in der Tiefe, Motive entwickeln sich, werten von hämmernden, mitunter bis an die Schmerzgrenze lauten Einbrüchen abrupt unterbrochen. Dazwischen tauchen Motive, Splitter aus Beethovens Werken auf: aus der „Pastorale“, aus dem langsamen Satz der Siebenten (soweit hörte ich das), aus dem 5. Klavierkonzert, „Fidelio“, dem Violinkonzert (soweit Florian Hauser im Programmheft, das die Siebte allerdings nicht erwähnt). Immer dichter wird das Stück, am Ende solieren die meisten Orchestermitglieder, das Klangdickicht wird zu dicht, als dass man die eingestreuten Motive noch erkennen könnte. Doch der Abschluss ist einigermassen versöhnlich, „ein weicher, verstörender Clusterklang“ (Programmheft). Und ja, verstörende Elemente zogen sich durch das ganze Stück, es bleibt ein Unbehagen, was auch an den Mikrotönen, der manchmal spektral anmutenden Auffächerung der Klänge liegt. Haas lobte das Orchester in der Einführung über alles – und ich schliesse mich dem Lob an. Ein faszinierendes Werk, mit enormem Engagement überzeugend dargeboten.

Nach der Pause dann die „Pastorale“. Der Einstieg schwungvoll, doch hinten hinaus nahm Sylvain Cambreling es gar gemütlich – so dass die Sinfonie quasi mit einer Suite als langsamen Sätzen auszuklingen schien. Vielleicht gar zu pastoral? Aber gut, ich habe auch diese Sinfonie soweit ich mich erinnern kann noch nie im Konzert gehört. Aber eine gradlinigere Sichtweise wäre mir da definitiv näher.

Foto oben vor der Pause, unten bei der Konzerteinführung – hab ich nicht besser hingekriegt, pardon!

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