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Paul Motian – It Should Have Happened a Long Time Ago | Das erste Album im Trio mit Joe Lovano und Bill Frisell – und wer wissen möchte, weshalb Lovano von so vielen Leuten geschätzt wird, braucht sich nur sein Spiel im Opener anzuhören: Ton, Delivery, Ausstrahlung – check! Das Einbetten von freien Spielweisen (seine irre Beherrschung des Falsetto zum Beispiel) ohne dass man diese als solche wahrnimmt, ist ein weiterer Aspekt.
Das Trio war vor diesem ersten Album in der Besetzung auf einer kurzen Tour, und Ethan Iverson zitiert in seinen Liner Notes zur Motian-Box, in der das das letzte Album ist (und aus der ich höre) Frisell, der sagt, Motian und er hätten bald gemerkt, dass sie aufgrund des kargen Settings nicht etwa mehr, sondern gerade WENIGER spielen müssen. Weniger heisst natürlich nicht, dass ständig nur wenig gespielt würde, im Gegenteil, aber ein Bewusstsein für das Format ist immer zu spüren, der Rahmen für das Playing ist abgesteckt und die beiden wissen, wie damit umzugehen ist, und Lovano ist ein so kompletter Saxophonist, dass er für diesen Rahmen tatsächlich ganz hervorragend passt.
Im zweiten Stück spielt Motian vermutlich kein einziges konventionelles Pattern oder so – es wurde, so Iverson, gespottet, dass auch ein Kind sowas spielen könne … aber klar, das ist das gleiche Phänomen wie mit den Leuten, die moderne Kunst nicht begreifen. Motian ist einer der „nutty drummers“, und vielleicht sowas wie der grösste, der Kulminationspunkt der Linie, die mit Sonny Greer anfängt.
Die erste Hälfte endet dann mit einer neuen Version von „Conception Vessel“, während die zweite Seite anders angelegt ist, mit einem dreiminütigen improvisierten Frisell-Intro anfängt, dann folgt „India“, „a truly bizarre piece of music“ gemäss Iverson, eine im Studio zusammengesetzte Exotica-Collage (das Stück ist wie alle anderen von Motian, nicht das von Coltrane). Motian spielt an Schlüsselstellen immer wieder einen corny Gong, „an unsmiling cantus firmus that shouldn’t work but does anyway.“ (Iverson). Dann folgt mit „The Year of the Dragon“ das einzige auf Changes aufgebaute halbwegs konventionelle Jazz-Tune des Albums, in dem Motian einen richtig schweren Swing hinlegt (noch nicht mit gleichmässigen Achteln wie später im Trio mit Geri Allen und Charlie Haden, aber flüssig ist die Musik auch so). Den Abschluss macht dann „Two Women from Padua“, das ziemlich frei beginnt und einmal mehr zeigt, wie sehr Motian ein zuhörender Musiker ist.
Das Album lief gestern spät schon, und jetzt wieder – und fasziniert mich gerade sehr! Den Abstecher (das ganze Motian-Werk als Leader anzuhören, die ganzen Winter & Winter-Alben, die Kikuchi-Connection), auf den ich gerade Lust hätte, kann ich jetzt aber nicht machen, sonst wird das mit ECM nichts – aber dem Trio werde ich ja nochmal begegnen („I Have the Room Above Her“ und „Time and Time Again“) und Motian sowieso noch ganz oft hören.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba