Antwort auf: The Incredible Jimmy Smith at the Organ – James Oscar Smith (1925/28-2005)

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Januar/Februar 1963: Movin‘ On

Schon Anfang 1962 hatte Smith sein erstes Album für Verve aufgenommen, „Bashin'“ – und auf dem Album fand sich mit dem Opener „Walk on the Wild Side“, prompt ein Hit. Um seinen Blue Note-Vertrag zu erfüllen*, ging Smith zwischen dem 31. Januar und dem 8. Februar noch viermal ins Studio von Rudy Van Gelder. Das Ergebnis waren seine letzten vier Alben für Blue Note (er kehrte nach dem Relaunch des Labels nochmal zurück). Zwei – „Rockin‘ the Boat“ und „Prayer Meetin'“ – erschienen relativ rasch, die anderen beiden – „I’m Movin‘ On“ und „Bucket“ – mit ein paar Jahren Verzögerung in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre.

*) das schreibt übrigens auch Bob Porter so, in seinen Liner Notes zu „Straight Life“

Jimmy Smith – I’m Movin‘ On | Der Titel wäre 1963 programmatisch gewesen, aber als das Album 1967 als drittletztes erschien (die beiden LPs mit der Jam-Session von 1960 folgten 1968 noch), war das kaum noch der Fall. In den Liner Notes macht Ira Gitler mal wieder eine kleine Nabelschau zum Einstieg: er hätte 1956 eine Heimaufnahme von Smith gehört und einigen Leuten gesagt, sie sollten Smith aufnehmen … doch dann trat Alfred Lion auf den Plan (dem ja anscheinend Babs Gonzales denselben Tipp gegeben hatte) und machte den Deckel erstmal zu. Die Menge an Musik, die Smith in den sechs Jahren aufnahm, ist kaum zu fassen – in meiner Arbeitsliste zur BN-Umfrage stehen 36 Alben (dazu , von denen ich demnächst 33 wieder einmal angehört haben werde (die anderen drei, alle von 1957, kenne ich leider nicht und sie sind gerade nicht leicht zu kriegen, ihre Cover/Titel sind im Post „Mai, Juli und November 1957: Balladen und Overkill“ auf der ersten Seite des Fadens zu finden).

Die Paarung mit Grant Green schien mir, als ich das am 31. Januar 1963 aufgenommene „I’m Movin‘ On“ in in der zweiten Hälfte der Neunziger (CD-Reissue von 1995) in die Finger kriegte, äusserst vielversprechend – Greens singende Gitarre gepaart mit Smiths aufregender Orgel. Doch das Versprechen wird leider nicht ganz eingehalten. Smith klingt wie auf den letzten beiden Alben etwas müde und verhalten, auch Green erklimmt nicht dieselben Höhen wie in anderen Settings (z.B. mit den Organisten Baby Face Willette, John Patton oder später Larry Young). Interessant ist aber der Vergleich mit den Trio-Alben mit anderen Gitarristen schon, denn hier kommt Donald Baileys Schlagzeugspiel enorm schön zur Geltung: Green spielt viel weniger Fills als die regulären Gitarristen Smiths (der Reihe nach: Thornel Schwartz, Eddie McFadden, Quentin Warren) und auch als der regelmässige Gast, der an sich auch ein paar Billings als kongenialer Co-Star verdient gehabt hätte (Kenny Burrell).

Irgendwo auf halber Höhe gewinnt das Album dann aber plötzlich mächtig an Fahrt. Das vierte Stück (Closer der A-Seite der LP) „T’aint‘ No Use“ ist eine Blues-Ballade alter Schuler, ein slow burner erste Güte. Und im folgenden elfminütigen „Back Talk“, einem mittelschnellen Blues aus Smiths Feder, geht es dann richtig zur Sache, inklusive langer Exchanges von Green und Smith. Bailey stellt hier immer wieder unfassbare Dinge mit dem Beat an, scheint diesen auf den Kopf zu stellen, und eh man sich’s versieht, ist alles wieder normal – das ist ein ganz hervorragendes Stück! Bailey ist übrigens auch auf dem Opener, Hank Snows Titelstück, schon phänomenal, mit einer Art Tamburin-Groove („Blues in a knocked-out groove with Bailey tambourining it up“, schreibt Gitler).

Auf der LP folgte nach „Back Talk“ nur noch die siebenminütige Version von „What Kind of Fool Am I“, auf der CD folgen noch die Bonustracks „Organic Greenery“ (von Smith) und „Day In, Day Out“, mit der die 1984 erschienene japanische LP „Special Guests“ abschliesst (siehe oben für den Rest). Ersteres ist ein Smith-Blues, letzteres nochmal eine Nummer zwischen Garner und Big Band, in der Green für einmal eine 4-to-the-bar-Begleitung spielt (und Bailey hinter dem Gitarrensolo eine Art Pauken-Groove etabliert).

Jimmy Smith – Bucket! | 2000 erschien dann auch „Bucket!“ wieder, am folgenden Tag, dem 1. Februar 1963 eingespielt, auf CD wieder. Das waren gute Zeiten: seit 1994 oder so lief die Connoisseur Series (die Rare Groove Series vermutlich auch in etwa, aber dafür interessierte ich mich damals noch nicht sehr), Ende der Neunziger lief die RVG Edition an, und parallel dazu gab es noch „ganz normale“ Blue Note-Reissues (u.a. von Smith, Donald Byrd, Art Blakey …), bevor letztere dann wohl in die RVG-Reihe umgeleitet wurden. Das Portrait von Smith auf dem Cover von „Bucket!“ stammt übrigens vom selben Photo-Shoot mit Jean-Pierre Leloir wie das von „Softly as a Summer Breeze“.

„Bucket!“, das Titelstück, ist ein Smith-Blues mit einer 24taktigen Form und einem zickigen Amen-Groove, in dem Bailey wieder ein paar Tambourin-Effekte einstreut. Damit öffnet das letzte Trio-Album von Smith mit dem Drummer, der fast seit Beginn dabei war und so viel zum Erfolg des Working-Trios beigetragen hat, wenngleich fast immer abseits des Rampenlichts, praktisch ohne je ein Solo zu spielen – und doch ist er eine überragende Präsenz in fast allen Aufnahmen, die Smith seit Frühling 1956 gemacht hat.

Das zweite Stück ist „Careless Love“, getragene Stimmung aber ohne den (Garner-)Schmelz, den Smith bei langsamen Tempi so oft auspackte. „3 for 4“ ist dann ein Walzer von Smith, allerdings klingt das insgesamt eher wie ein 12/8-Blues – und Bailey ist hinter dem Orgelsolo am Schluss wieder mal ganz toll. Die erste Seit endet mit Ellingtons „Just Squeeze Me“, hauptsächlich ein Feature für Quentin Warren – und ich frage mich angesichts der Güte seines Spiels, ob er nicht am Ende der beste der drei bisherigen Smith-Gitarristen war. Er war jedenfalls der langlebigste, Aufnahmen gibt es von Januar 1960 bis November 1965, aber vermutlich gehörte Warren noch länger zum Trio, denn die nächsten Aufnahmen, die halbwegs nach Working Group aussehen, folgen erst 1968 („Respect“ mit Nathan Page, zum Teil spielt dort stattdessen George Benson; davor gab es Sessions mit diversen Gitarristen, u.a. Eric Gale, Kenny Burrell, Wes Montgomery und auch nochmal Thornel Schwarz).

Die zweite Hälfte des 1966 veröffentlichten Albums enthielt dann drei etwas längere Tracks, der Opener ist Smiths Blues „Sassy Mae“, ein Amen-Groove mit Unterstützung von Bailey, der einen acht Beats umfassenden Faux-Latin-Beat anstimmt. Warren lässt seine Gitarre hier so schön singen, dass er Burrell oder Green kaum nachsteht, auch wenn der Ton sein eigener ist. Nach Harold Arlens „Come Rain or Come Shine“ – in einer schnörkellosen Balladenversion, in der Smith seinen Respekt vor der Melodie zeigt – verklingt das Album mit dem Traditional „John Brown’s Body“ – und auch wenn ein grosses Highlight („Back Talk“) fehlt, finde ich es insgesamt stärker als das Album mit Grant Green.

Auf der CD gibt es zwei neuen Bonustracks, den alten Blues-Heuler „Trouble in Mind“ und einen Alternate Take von „Sassy Mae“ – und klar, mit dem Bonusmaterial, das Smiths Blue Note-Jahre auch noch zeitigten, hätten sich vermutlich gleich noch zwei oder drei LPs füllen lassen (nebst „Confirmation“ und „Special Guests“, die ja schon so halbe Resterampen waren, während parallel dazu diverse gesamte Sessions erst viel später Berücksichtigung fanden).

Jimmy Smith – Rockin‘ the Boat | Eine Woche nach der ersten Session fand am 7. Februar die dritte statt, erneut mit Warren und Bailey, aber dieses Mal war auch noch Lou Donaldson an Bord, mit dem bereits im Juli 1957 eine Session abgehalten wurde (die zu den dreien von 1957 zählt, die ich nicht kenne). Hier agieren alle mit formidabler Entspanntheit, es geht folksy los mit „When My Dreamboat Comes Home“, Donaldson ist dann in seinem eigenen „Pork Chop“ richtig gut drauf, die Musik hat eine träge Qualität, dennoch einen unstoppbaren Swing. Das ist wieder so ein Tempo, mit dem man, wie das so blöd heisst, „separate the men from the boys“ – aber in diesem Tempo so zu swingen ist halt auch wirklich schwer, und dass das so klasse gelingt, hat ebenso viel mit Smith selbst wie mit Donald Bailey zu tun. Seine Beiträge sind auf diesen letzten vier Sessions jedenfalls, das ist meine grosse Entdeckung von heute, echt klasse! Auf „Matilda, Matilda!“, dem dreiminütigen CalypsloNovelty-Stück, mit dem Seite 1 endete, ist dann auch noch ein Tambourin sehr präsent – und dreimal dürft ihr raten, wer es spielt: der Mann heisst John Patton, bald kriegte er das Attribut „Big“ verpasst und begann zwei Monate später seine eigene Reihe von tollen Orgelalben auf Blue Note – eine Art unkonventionelle Stabsablösung (und nach Dizzy Reece an den Congas bei Blakey der zweite unerwartete Percussion-Credit auf Blue Note).

Seite zwei enthielt dann vier Stücke (ich höre das RVG-CD-Reissue von 2004), „Can Heat“ von Smith macht den Auftakt, Quentin Warren lässt hier nicht zum ersten Mal seine Hände in Blueser-Manier zwischen den Akkorden über das Griffbrett schlittern, und Patton ist erneut dabei. Dass danach Percy Mayfields „Please Send Me Someone to Love“ folgt, ist natürlich ein Geschenk für mich – Lieblingsstück, und Donaldson legt wie überhaupt auf diesem Album eine astreine Performance hin (man kriegt den Eindruck, als kenne er die Lyrics – ich weiss nicht, ob er zu denen gehört, die der Meinung sind, eine Ballade zu spielen, ohne deren Lyrics zu können, sei eh unmöglich, aber passen würde es schon). Danach gibt es mit „Just a Closer Walk with Thee“ einen gut dreieinhalbminütigen Kirchgang, den Bailey und Patton bei seinem dritten und letzten Auftritt am Tamburin noch einmal sehr beleben (Patton übernahm das Tamburin übrigens hie und da, nirgends so prägend wie auf „Got A Good Thing Goin'“ von 1966). Als Closer folgt dann noch „Trust in Me“, eine Blues-Ballade, die durch Mildred Bailey populär wurde.

Das noch 1963 veröffentlichte Album gefällt mir gerade enorm gut – es ist vielleicht bis hierhin das eine von Smith, das wirklich als astreines Soul Jazz-Album betrachtet werden kann: hier passt das nicht nur aufgrund der Instrumentierung sondern vor allem aufgrund der Grooves und Moods. Das Album strahlt eine grosse Wärme aus, Donaldson ist hier echt perfekt gecastet, es gibt im gesteckten Rahmen eine schöne Vielfalt an Stimmungen und Beats, und immer wieder klasse Beats von Bailey.

Jimmy Smith with Stanley Turrentine – Prayer Meetin‘ | Noch einmal einen Tag später, am 8. Februar 1963, fand sich Smith zum letzten Mal für eine von Alfred Lion produzierte Session im Studio von Rudy Van Gelder ein. Auch dieses Mal war das Trio mit Quentin Warren und Donald Bailey dabei, dazu Stanley Turrentine, der Tenorsaxophonist, der so gut zu Smith passte. Beide beherrschten sie die Kunst, populäre Musik zu machen, die nie darin bestand, Dinge zu vereinfachen oder den Leuten nach dem Maul zu reden. Das Album erschien 1964, vermutlich eher später im Jahr. Auch 1964 erschien „Back at the Chicken Shack“, das zweite der beiden 1960 aufgenommen Alben – und für mich weiterhin deutlich das beste von Smith/Turrentine.

Los geht es mit dem Titelstück von Smith, das mich auch heute nicht recht zu fesseln vermag. Das folgende „I Almost Lost My Mind“, von Ivery Joe Hunter komponiert und hier über neun Minuten lang, packt mich hingegen sehr. Das Tempo ist langsam, Bailey widersteht gekonnt der Versuchung, hinter Turrentines langem Solo in einen Shuffle zu fallen – er spielt einen ganz feinen 12/8-Beat, einmal mehr gekonnt und so, dass man auch gar nicht drauf achten muss, wenn man nicht mag. Aber wenn man hinhört, gibt es bei ihm immer was zu entdecken! Die erste Seite endet mit dem kurzen „Stone Cold Dead in the Market“ von Wilmouth Houdini – da wird das Calypso-Rezept von „Rockin‘ the Boat“ recykliert, was wohl einen Tag später erlaubt ist, den Marktwert der Idee kannte da ja bestimmt noch keiner. Dieses Stück haben gemäss Joe Goldbergs Liner Notes auch Louis Jordan und Ella Fitzgerald schon eingespielt.

Auf der B-Seite gibt es als Herzstück in der Mitte (aber diesmal nur eine Spur länger als die anderen zwei Stücke) „Red Top“, den Heuler von Ben Kynard (hier Gene Ammons zugeschrieben, üblich scheint Lionel Hampton-Ben Kynard zu sein). Smith legt flächige, lange Töne unter Turrentine, der sich das Stück natürlich sofort aneignet, auch wenn es bei ihm ganz anders klingt als bei Gene Ammons oder Johnny Griffin. Bailey spielt drunter zerklüftet klingende Beats, die sich eher als die Summer von Fills anhören – ein ziemlich toller Effekt, den er nur selten einsetzt, dafür umso effektiver. Davor gibt es „When the Saints Go Marching In“ in einer recht passablen Version (früher war das wohl einer der Gründe für mein Nicht-so-sehr-mögen dieses Albums, heute höre ich das entspannter, aber eine gute Wahl finde ich das dennoch nicht). Den Ausklang macht dann Smiths zweites Original nach dem Opener, „Picknickin'“ – das ist wohl, was nach dem „Prayer Meetin'“ passiert. Turrentine setzt umgehend zu einem tollen Solo an – wie schon 1960 kriegt er auch jetzt wieder den ersten Spot.

Neben „Open House“/“Plain Talk“ und „At Club Baby Grand“ ist „Rockin‘ the Boat“ zweifelsfrei der Gewinner der erneuten Beschäftigung mit Smiths Blue Note-Aufnahmen – alles Alben, die ich nicht auf dem Schirm hatte als Kandidaten für die Bestenliste, die jetzt aber dazu gehören. Die Gewinne von „Prayer Meetin'“ (von 3,5 auf 4) und von „Six Views of the Blues“ (3 auf 3,5) sind nicht relevant für die Bestenliste. Da ich Smith noch nie besternt habe, fällt es mir bei anderen Aufnahmen etwas schwerer, die frühere Wahrnehmung/Erinnerung mit dem aktuellen Stand zu vergleichen, aber dass die Debut-Trias komplett vier Sterne kriegt, wäre früher auch kaum so gewesen.

Verloren haben – ein wenig, und nur in den zwecks der Umfrage gefragten Albumkonstellation – die Aufnahmen aus dem Small’s Paradise, zudem „House Party“ und „The Sermon“ (erstere flog aus dem erweiterten Kreis, letztere wurde innerhalb etwas abgestuft.

Bevor Smith-Sterne geworfen werden (den Faden muss ich dann auch erst eröffnen, wenn mir niemand zuvorkommt) werde ich hier aber noch mit den Verve-Aufnahmen und verstreuten weiteren mit bekannten Alben fortfahren. Kann also noch ein wenig dauern.

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