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Home Cookin‘: Sommer 1958 – Sommer 1959
Im Juli 1958 nahm Smith an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, dem 15. und 16. des Monats, bei Van Gelder in Hackensack noch zwei Sessions auf. Nr. 18 und Nr. 19 seit Februar 1956. Das Tempo war horrend, und so erfolgreich die Platten sein mochten: Blue Note kam nicht mehr nach, die Musik halbwegs zeitnah zu veröffentlichen. Also drosselte man das Tempo ein wenig und brachte weiterhin Alben heraus, die die besten Stücke verschiedener Sessions versammelten – bzw. eine solche LP. Der Rest der Musik, die Smith um Juli 1958 und dann im Mai und Juni 1959 bei den nächsten zwei Sessions (auch in Hackensack bei Van Gelder) aufnahm, kam erst viel später heraus.
Jimmy Smith – Home Cookin‘ | Das Album, das aus den Sessions von Juli 1958 sowie Mai und Juni 1959 zusammengestellt wurde, ist ein grosser Smith- und Blue Note-Klassiker: das 1961 herausgebrachte „Home Cookin'“, auf dem ein weiterer Saxophonist zu hören ist, der kaum dokumentiert ist: Percy France (Brooks hatte es da im Vergleich direkt gut, allerdings schaffte es France, meist abseits des Rampenlichts als Musiker ein langes Leben zu führen). Er ist auf vier der sieben Stücke zu hören, die Lion für die LP auswählte. Los geht es mit dem Klassiker „See See Rider“, in dem France mit seinem riesigen, altmodischen Ton sich als perfekte Stimme neben dem Leader etabliert. Kenny Burrell und Donald Bailey sind auf dem ganzen Album zu hören – sie bildeten mit Smith das Trio, das bei allen drei Sessions präsent ist, aus denen das Album zusammengestellt wurde. Es folgen zwei Trio-Stücke, Burrells „Sugar Hill“ und Ray Charles „I Got a Woman“. Ersteres stammt wie die Tracks mit Percy France vom 16. Juni 1959, letzteres war das einzige damals erschienene Stück der Session vom 24. Mai 1959 (s.u.) und ist kurz gehalten – es kam auch als Single heraus. Die Seite schliesst dann wieder mit France und Smiths Blues „Messin‘ Around“, mit dem die Session am 16. Juni 1959 begonnen hat. Burrell, France und Smith solieren, Bailey sorgt für einen tollen Beat.
Auf Seite B geht es mit noch zwei Stücken mit Percy France weiter, „Gracie“ von Smith und „Come On Baby“ von Burrell. Ersteres ist ein Blues in Moll, letzteres ein Stück, das bei Prince oder so „Le Grind“ hätte heissen können – und klar, bei sowas wird es auch bei Liner Notes manchmal schwierig (oder creepy, je nach Blick und Autor), Gitler schreibt hier: „a slow, rocking-groove number that echoes the title’s entreaty“ – und auch das wenig überraschend ein Blues, und France spielt hier, finde ich, ein besonders schönes Solo (inkl. Beinah-Zitat von „Nobody Knows the Trouble I’ve Seen“). Den Ausklang des Albums macht dann „Motorin‘ Along“, ein Stück von Jimmy McGriff, wieder im Trio und von der Session vom 15. Juli 1958 (das einzige auf dem Album, das schon im Vorjahr entstand) – Burrell ist hier besonders toll, aber das Trio zeigt auch einmal mehr, dass es ohne Bläser wenigstens so gut funktioniert (eben auch – oder sogar gerade? – mit Burrell anstelle des regulären Gitarreisten, der da vermutlich immer noch McFadden war; es gibt zwischen „Cool Blues“ im April 1958 und „Crazy! Baby“ vom Januar 1960 mit dem neuen Gitarristen Quentin Warren – wohl wegen der Menge angehäuften Materials – keine Aufnahmen der Working Band von Smith).
Ira Gitler schreibt über Percy France in den Liner Notes:
Percy France is new to Blue Note but is a veteran of the New York scene. Born in Manhattan on August 15, 1928, he started piano studies at 6, later took up the clarinet and on September 11, 1941 bought his first tenor saxophone. Percy remembers the exact date because he paid for the horn out of his own, hard-earned money.
At Benjamin Franklin High (a schoolmate was Sonny Rollins), he played in the band. Then he turned professional with Betti Mays‘ Swingtet and later played with trumpeter Frank Humphries. After gigging around with his own group in the late 1940s, France joined Bill Doggett in 1951 and remained with the organist into 1955. Since then he has free-lanced in New York, including many dance dates. Percy enjoys playing for dances and I’m sure they enjoy his brand of basic, swinging tenor. It seems he likes to work with organists (perhaps he has been type-cast) for in both 1959 and 1960, he appeared with Sir Charles Thompson at Count‘ Basie’s.
Percy first dug Don Byas. He then admired Coleman Hawkins „for changes“ and Lester Young „for feeling“. Among the younger tenormen, he likes Benny Golson for one. „He really knows his instrument,“ says Percy.
France does not sound like Golson. He does, however, have strong roots and gets a warm groove full of feeling, reflective, in a general way, of his early influences.
So richtig – heute sagt man: nachhaltig – Eindruck hinterlassen kann France bei mir mit dem Album nicht. Es gehört zu den besseren von Smith, aber das hat wenigstens so viel mit Burrell und mit Smith selbst zu tun wie mit France.
Auf dem CD-Reissue von „Home Cookin'“ folgen „Since I Fell for You“ (15. Juli 1958) und ein Stück von France, „Apostrophe“ (nochmal mit France und vom 16. Juni 1959), die beide auf der LP „On the Sunny Side“ in der LT-Reihe erschienen (s .u.). Dann folgt noch Smiths „Groanin'“ (noch so ein schlüpfriger Titel, aufgenommen am 24. Mai 1959, siehe dazu auch „Standards“ unten), der einzige soweit ich weiss nach wie vor exklusive Bonustrack hier und mit über acht Minuten eins der längsten Stück dieser Sessions. Die letzten beiden der fünf Bonustracks sind Alternate Takes von „Motorin‘ Along“ und „Since I Fell for You“, von der Session vom 15. Juli 1958 und sind auch dem jüngsten japanischen CD-Reissue von „On the Sunny Side“ (s.u.) beigefügt worden. Letzterer ist immerhin zwei Minuten länger als der Master Take, der für „Sunny Side“ gewählt wurde (während die Differenz bei „Motorin‘ Along“ nur fünf Sekunden berägt).
Hier noch die Rückseite der LP von 1961, um den Punkt mit den vielen Alben nochmal zu betonen: 16 Alben von Smith sind auf dem Rückcover gelistet, inkl. dem später aufgenommenen „Crazy! Baby“, das früher herausgekommen ist. 16 Alben in fünf Jahren!
Jimmy Smith – Six Views of the Blues | Erst 1999 in der Connoisseur Series erschien dann dieses Album bzw. diese Session, die wie es scheint nie in Richtung Album weiter gedacht/bearbeitet wurde. Sie ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Zuerst ist sie das einzige Dokument vom 16. Juli, dem zweiten Tag der zweitätigen letzten Smith-Sessions des Jahres 1958. Dann ist das Album aber vor allem wegen dem Line-Up, besonders dem Gast bzw. Solisten am Saxophon interessant: Cecil Payne, damals mitten in seiner längeren Zeit bei Randy Weston, ist als einziger Bläser dabei. Also genau so ein Setting, wie ich es mir mit Tina Brooks, Curtis Fuller oder Lee Morgan auch wünschen würde. Oder fast. Ein einziges Stück kam damals als Single heraus, die Smith’sche Adaption von Moe Koffmans damaligem Hin „The Swingin‘ Shepher Blues“ (üblicherweise mit vielen Flöten gespielt, Buddy Collette rief extra die Four Swingin‘ Shepherds ins Leben, mit Bud Shank, Paul Horn, Harry Klee und ihm selbst an vier Flöten in verschiedenen Lagen …)
Cecil Payne nahm nur selten bei Blue Note-Sessions teil, Michael Cuscuna bietet in den Liner Notes zur CD den Überblick: 1948 mit James Moody, 1955 für Dorhams „Afro-Cuban“ und dann 1961 nochmal für die Tadd Dameron-Session mit Sam Rivers etc., die auszugsweise auf der ebenfalls im Rahmen desselben Connoisseur „batches“ mit unveröffentlichten Aufnahmen erschien, „The Lost Sessions“. Sein ganzes Potential kann Payne hier nicht zeigen, denn von der Novelty abgesehen wurden ausschliesslich Blues-Stücke eingespielt: W.C. Handys „St. Louis Blues“ steht am Anfang, dann folgt das Stücklein von Koffman, und danach Smiths Blues Nr. 1-4 – auf der CD in der Reihenfolge 1, 3, 4 und 2 programmiert – , vermutlich alles Stücke, denen bei einer Veröffentlichung noch Titel gegeben worden wären. An der Gitarre ist auch hier Kenny Burrell zu hören, am Schlagzeug wechseln sich Art Blakey (St. Louis, Shepherd, No. 1) und Donald Bailey (No. 2-4) ab.
Die Musik ist sehr schön, aber erwartungsgemäss etwas gleichförmig. Im Opener von Handy übernimmt Burrell für die Bridge mit dem „spanish tinge“ (12-12-16-12, wobei die 12taktigen Teile der üblichen Bluesform entsprechen) von Smith. Payne ist erst nach dem Solo von Smith als Solist zu hören und nicht in die Themenpräsentation eingebunden (was bei Smith ja öfter vorkommt und was ich eigentlich ganz gut finde: warum sollen immer nur die Bläser das Thema vorstellen?). Was bei dieser Session auch auffällt – und von Cuscuna in den Liner Notes angesprochen wird, weshalb mir das Thema überhaupt bewusst wurde: Van Gelder stellt jeweils nach Paynes Solo dessen Mikrophon ab – wodurch sich auch das Gesamtklang(raum)bild ändern.
Das Schema zieht sich durch die Session: Payne spielt sein Solo, aber die Themen werden von Smith vorgestellt, mit Unterstützung von Burrell, der dann gerne das erste Solo spielen darf. „Blues No. 1“ mit Blakey ist mittelschnell, Burrell spielt das erste Solo, während zwei Improvisationen von Smith den Beitrag von Payne umrahmen. „Blues No. 3“ ist eine langsame, einfache Riff-Nummer, den Solo-Reigen öffnet wieder Burrell mit einem längeren Solo-Break. Und so setzt sich das dann fort, Paynes tolles Solo öffnet wieder mit einem unbegleiteten Break, während Bailey dahinter einen Shuffle antönt. Und klar, so ein Tempo geht nicht, ohne dass der Versuchung von Doubletime erliegen würde. Aber das ist auch wieder eine Stärke von Bailey: manchmal tönt er Doubletime nur an mit leisen Zwischenschlägen, und selbst wenn er in Doubletime fällt, klingt es oft sehr leicht.
„Blues No. 4“ ist mit 10:45 die längste Nummer des Programms, eine Linie, die mehr ein repetitives Kürzel ist, boppig, und für einmal mit Payne im Thema. Burrell spielt dann das erste einer Reihe von langen Soli. Hier kommt ordentlich Stimmung auf. „Blues No. 2“ am Ende dauert nochmal neun Minuten, das Tempo ist mittelschnell und Bailey tönt einen Shuffle an. Smith ist hier selbst der erste Solist – für einige Abwechslung ist hier trotz des ähnlichen Materials schon gesorgt, aber einen verlorenen Klassiker hat man hier 1999 nicht geborgen. Aber eine feine Gelegenheit, Cecil Payne für einmal in anderem Rahmen mit ausführlichen Improvisationen zu hören.
Jimmy Smith – On the Sunny Side | Die LP aus der LT-Reihe kam 1981 heraus und nimmt ihren Titel vom Opener, dem einzigen Stück von 1960, von der grossartigen Session mit Stanley Turrentine, aus der die Alben „Back at the Chicken Shack“ und „Midnight Special“ sowie ein zusätzlicher Track, „On the Sunny Side of the Street“, resultierte (dazu dann später). Es folgen auf Seite A drei weitere Stücke, von denen jedes von einer anderen Session stammt: Buddy Johnsons „Since I Fell for You“ ist für meine Ohren eine der tollsten R&B-Groove-Balladen, die je geschrieben wurden. Smith nahm sie am 15. Juli 1958 mit Kenny Burrell und Donald Bailey auf und das ist für meine Ohren eine erstklassige Performance. Burrells Ton ist offen, resonant, klingt reich und weich, aber seine Phrasierung ist total auf den Punkt – das sind schon andere Qualitäten als bei Eddie McFadden, der irgendwie zunehmen „garage-iger“ wurde in seiner Zeit bei Smith. Weiter geht es mit dem zweiten Stück mit Sax: „Apostrophe“ stammt von der Sessino vom 16. Juni 1959 mit Percy France, bei der über die Hälfte von „Home Cookin'“ eingespielt wurde. Und die Seite endet dann mit „Little Girl Blue“, dem (schönen!) „leftover“ vom 25. August 1957 – das eine Trio-Stück, das bei der Jam-Session entstand, die auf den Alben „House Party“, „The Sermon!“ und dem nachgeschobenen „Confirmation“ veröffentlicht wurde.
Auf der B-Seite geht es dann kohärenter zu und her: alle vier Stücke stammen von der Session vom 15. Juni 1958: „Bye Bye Blackbird, „I’m Just a Lucky So and So“, „Ruby“ und „September Song“. Allesamt Standards, und so fühlt man sich vielleicht an die Sessions von 1957 mit ähnlich nostalgischem Programm erinnert, die erst in den 90ern erschienen (die ich aber leider nicht kenne).
(Das Japan-Reissue von 2012 enthält zwei Bonustracks: die Alternate Takes von „Motorin‘ Along“ und „Since I Fell for You“, die in den USA und Europa – zusammen mit „Since I Fell for You“ und „Apostrophe“ auf dem CD-Reissue von „Home Cookin'“ zu finden sind; der Mater Take von „Motorin‘ Along“ ist Teil dieses Albums.)
Jimmy Smith – Standards | Die LP „On the Sunny Side“ spielte für mich nie eine Rolle, da ich die ersten drei Stücke der A-Seite als Bonustracks (auf den CD-Reissues von „Back at the Chicken Shack“ und „Home Cookin'“) hatte. Das restliche Material, also „Little Girl Blue“ und die vier Stücke vom 15. Juli 1958, erschienen 1998 erneut auf der CD „Standards“ (das war eine kleine Reihe mit CDs von Lee Morgan, The Three Sounds, Sonny Clark und Grant Green – allesamt rare Sessions, die Morgan und Three Sounds komplett mit neuem Material).
Diese CD enthält zudem sieben Stücke vom 24. Mai 1959, wieder mit Burrell und Bailey (das Line-Up ist auf der gesamten CD stabil, das Programm also auch viel kohärenter als auf „On the Sunny Side“). Diese sieben Stücke bringen 41 Minuten auf die Uhr, auch wenn man die Hälfte von „On the Sunny Side“ abzieht, kann man „Standards“ getrost als eigenes Album betrachten. Auch bei der Session standen nur Standards und ein paar Klassiker („Memories of You“ von Eubie Blake, „Mood Indigo“ von Ellington/Bigard) auf dem Programm, dazu ein Blues von Smith („The Last Dance“, der Closer der CD), und ein einziges Stück, das damals (auf „Home Cookin'“ und als Single) erschien, „I Got a Woman“ von Ray Charles.
Die CD mag insgesamt etwas verschlafen sein (auch ein langsamer Groover wie „Since I Fell for You“ täte dazwischen schon gut), aber die Musik ist ganz wunderbar, und es gibt schon ein wenig Abwechslung, so wird „Bye Bye Blackbird“ im mittelschnellen Tempo mit dem Zweier-Feeling, wie das Miles Davis Quintett es damals populär machte, vorgestellt (und Bailey scheppert im Thema obstinat auf die Vier – dieses Material bietet gute Möglichkeiten, sein idiosynkratisches Spiel in einem transparenten Rahmen und in bester Klangqualität zu hören).
Burrell ist hier ebensosehr Leader wie Smith, ihm obliegt meist die Präsentation der Themen und seine Soli sind wegen der bekannten und gerade genannten Qualitäten sowieso ein Genuss. Das hier ist so halb das gewünschte/erhoffte Orgelalbum von Kenny Burrell – es hat nicht ganz das erwünschte Niveau und die erhoffte Abwechslung, ein paar von Burrells melancholischen Themen, vielleicht auch eine Nummer mit einem rumpelnden Latin-Beat, hätten der Session sicher gut getan. Aber wenn man kein Meisterwerk erwartet, ist das schon sehr, sehr schön. Burrell und Smith glänzen beide in jedem Stück, jedem Solo.
Highlights: „Little Girl Blue“ (von der 1957er-Session, auch auf „Sunny Side“), „I’m Just a Lucky So and So“ und „September Song“ (1958, auch auf „Sunny Side“), „Memories of You“ und „It Might as Well Be Spring“ (von 1959 und exklusiv auf „Standards“).
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Ein PS zur Verwirrung um Smiths Geburtsjahr, ging mir im Post zu „Cool Blues“ unter: dort, in den Liner Notes von 1980, schreibt Michael Cuscuna nämlich noch, dass Smith 1926 geboren sei – damit sind drei Jahrgänge im Rennen: 1925, 1926 und 1928.
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