Antwort auf: The Incredible Jimmy Smith at the Organ – James Oscar Smith (1925/28-2005)

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April 1958: Cool Blues – Jam Session at Smalls‘ Paradise

Ein paar Wochen nach den Februar-Sessions wurde Smith erneut im Smalls‘ Paradise live aufgenommen – dieses Mal mit den Gästen Lou Donaldson (as), Tina Brooks (ts) und Art Blakey (d), der sich die Arbeit am Schlagzeug mit Donald Bailey teilt. Eddie McFadden spielt die Gitarre. Von diesen Aufnahmen erschien erstmals im Jahr 1980 in der LT-Serie eine Platte, mit vier langen Stücken, die zusammen über 50 Minuten auf die Uhr brachten: „Cool Blues“. Für mich war das länger eine legendäre, unerreichbare weitere Aufnahme mit Tina Brooks, den ich längst kannte, und von dem ich dank der im Booklet der 4-LP-Box von Mosaic abgedruckten vollständigen Diskographie, alle erhältlichen Aufnahmen suchte. 1990 war „Cool Blues“ auf CD wieder herausgekommen, mit drei etwas kürzeren Bonustracks (leider ohne Brooks, Donaldson spielt auf zwei der beiden, Bailey auf allen) – auch eine perfekte Doppel-LP mit 17-20 Minuten pro Seite hätte zusammenstellen können. Doch diese CD (Cover ganz unten) war längst nicht mehr aufzutreiben, als ich sie in den späten Neunzigern so gerne gehabt hätte. 2002 kam sie in der RVG Edition (Cover unten) erneut heraus – in umgestellter Reihenfolge (jeweils die Stücke pro ehemalige LP-Seite anders rum), was nur beschränkt Sinn ergibt, falls die Setlisten von jazzdisco.org (ganz unten) korrekt sind.

Jimmy Smith – Cool Blues | Los geht es mit „Groovin‘ at Small’s“ von Babs Gonzales. Smiths früher Förderer und vormaliger Manager war auch anwesend und ist auf den CD-Ausgaben seit der RVG auch mit einer Ansage vor „A Night in Tunisia“, dem letzten Stück auf der LP, zu hören. Die Saxophone präsentieren unisono die klagende Linie, Donaldson spielt dann das erste Solo, lässt sich Zeit dafür und setzt, getragen von einem four-to-the-bar Groove und Blakeys Fills eine schöne Stimmung. Dann übernimmt McFadden, mit seinem R&B-Ton, der nicht recht singen will, eher verhalten (gedämpft?) klingt, aber halt doch sehr gut zur Musik passt. Er legt gegen Ende einen kleinen Steigerungslauf hin, bevor Brooks übernimmt und bald an „A Kiss to Build a Dream On“ vorbeischrammt (das er schon im Studio zitiert hatte). Smith spielt scheint hinter ihm ein paar ziemlich schräge Sachen, vor allem diesen einen flächigen Akkord, den er eine gefühlte Ewigkeit wiederholt. Auch Brooks lässt sich Zeit, und als Smiths Solo beginnt, beginn auch gerade die achte (von zwölf) Minute und ein paar Chorusse später zitiert er im irren Lauf, den er hinlegt, „Star Eyes“ (um 9:30), legt dann mal noch einen gehaltenen Akkord unter sein Solo – bevor die Bläser mit einem kleinen Riff (nicht dem Thema) das Stück beenden. Die Musik ist mal wieder extrem relaxed – und es mangelt ihr vielleicht auch deswegen ein wenig an Überzeugungskraft. (Ja, die RVG-CD zu hören, war am Ende eine kleine Enttäuschung – aber es ist wie bei der Session vom Februar 1958 oder der Live-Aufnahme aus dem Half Note mit Kenny Burrell: auch wenn die Sachen nicht alle zu 100% gelungen sind, ist jedes Brooks-Solo eine Freude.)

Weiter geht es mit „Dark Eyes“, einem russischen Lied aus dem 19. Jahrhundert (Óči čjórnye). Hier legt Blakey sich von Beginn an ins Zeug, spielt immer wieder überraschende Fills hinter Donaldson, der hier dann nach meinem Gefühl hier vom Neuling Brooks in den Schatten gestellt wird (das Donaldson-Solo ist mal wieder eins ohne jegliche Kohärenz). Brooks greift die letzte Phrase auf, sein Ton ist trockener, seine Delivery flüssiger. Blakey droppt einige Bombs, und rhythmisiert seine Begleitung stark (toll dieser Doppelbeat auf 3 ab ca. 4:40), während Smith sich ziemlich zurückhält und McFadden kommt und geht. Hier funktioniert der relaxte Ansatz für meine Ohren perfekt, zumindest in Brooks‘ Solo kommt keine Sekunde Langeweile auf (und ein Beinah-Zitat von „Softly as in a Morning Sunrise“ ist natürlich auch schon). Dann folgt McFadden mit seinem Twang – er hat sicher nicht den attraktivsten Ton und wie mich dünkt weniger Zähne, wenn er sich ins von Blakey so schön gemachte Bett legen kann, statt sich mit Baileys Überraschungseffekten auseinandersetzen muss. Ich höre jedenfalls Unterschiede zwischen dem Working Trio und den Sessions mit Gästen, finde beides auf seine Weise toll, aber die Kombination (August 1957 und – weniger gravierend – hier) funktioniert nicht immer. Smith setzt dann selbst wieder das Sahnehäubchen, aber im Rahmen einer solchen Blowing Session ist „Leader kriegt stets das letzte Solo“ vielleicht nicht das beste Rezept (und „alle solieren der Reihe nach“ auch nicht unbedingt – aber klar, gäbe es Stücke mit Brooks aber ohne Solo, wäre ich auch enttäuscht). Smtih war wohl eher zu grosszügig damit, seinen Kollegen so viel Platz zu gewähren, wie sie wollten. Eine Spur mehr über Arrangements nachdenken vor dem Spielen hätte sicher nicht geschadet. Aber das ist Nörgeln auf hohem Niveau.

Der Opener der B-Seite ist das Titelstück – nach „Au Privave“, „Yardbird Suite“, „Confirmation“ etc. eine weiter Charlie Parker-Komposition. Das ist das einzige damals erschienene Stück mit Donald Bailey am Schlagzeug, und der Unterschied ist schon im Thema zu bemerken: seine Becken klingen hoch, etwas giftig fast, und er setzt sie flächiger ein als Blakey (das Ride ist quasi dauernd präsent). Brooks spielt dieses Mal das erste Solo und wirkt nicht richtig konzentriert (er schrammt wieder an „A Kiss“ vorbei). Bailey und Smith sorgen aber dafür, dass keine Langeweile aufkommt, das Solo hat etwas Deklamierendes und ist nicht schlecht, aber so richtig in Fahrt kommt Brooks hier nicht. Donaldson greift die letzte Phrase von Brooks zum Einstieg auf, landet aber unversehens beim „Chattanooga Choo Choo“ (soviel zu mässig passenden Zitaten). Die Rhythmusgruppe ist dahinter allerdings weiterhin toll, hier gibt es das dichte Interplay, das McFadden mit Blakey nicht macht. Donaldson endet mit einer Reihung von Klischees und ganz zum Schluss mit „Now’s the Time“ bzw. „The Hucklebuck“ – und als würde das durch die Wiederholung besser, wiederholt er die Phrase dann zu Beginn von Smiths folgendem Solo noch einmal. Hier kommt jetzt das Trio zum Zug, Bailey schaffte es, gleichzeitig einen tollen Flow und ein Gestotter zu trommeln, McFadden ist leider etwas schlecht zu hören, aber er setzt Akzente, und Smith greift in die Vollen – und endet sein Solo dann wieder mit dem „Hucklebuck“. McFadden ist hier dann als letzter dran, und das funktioniert auch gut so – solistisch taugt er in der Regel doch mehr zum Aufwärmer oder Abkühler vor oder nach dem Leader, aber in einer Reihe mit den Bläsern hier und bei den letzten Sessions ist er manchmal schon nicht ganz auf der Höhe.

„An Insane Night in Smalls‘ Paradise“ – so sagt Babs Gonzales dann den 17minütigen Closer an, „A Night in Tunisia“ – und McFadden wird Mike genannt, mit „monsieur“ davor, aber raus kommt dabei „Messiah“. Hipster-Talk aus einer andere Ära. Blakey trommelt von Anfang an toll, aufgrund des rasanten Tempos etwas weniger wuchtig. Brooks ist als erster dran, landet wieder bei kurz bei „Softly“, bleibt aber auch nah am Thema. Hier kommt die Band so richtig in Fahrt und auch Lou Donaldson und Eddie McFadden wachsen über sich heraus – und hier passt es denn auch, dass Smith am Ende zum Zug kommt. Diese Performance ist für meine Ohren auf jeden Fall das grosse Highlight, inklusive Blakeys Spot am Ende.

Es folgen die drei Bonustracks, zwei Balladenfeatures von Donaldson, „What’s New“ und „Once in a While“ (1954 mit Blakey im Birdland, als eine andere legendäre Version von „A Night in Tunisia“ entstand, war das das Feature von Clifford Brown) umrahmen das schnelle Trio-Stück „Small’s Minor“ aus Smiths Feder. Nach den langen und teils recht wilden Stücken davor ein angenehmer Ausklang, in dem Donaldson sich wieder mehr als gut macht.

„Smalls Paradise“, Harlem, NY, April 7, 1958 – 1st set
Lou Donaldson, alto sax #2-5; Tina Brooks, tenor sax #5; Jimmy Smith, organ; Eddie McFadden, guitar; Donald Bailey, drums.

1. tk.1 Small’s Minor – rejected
2. tk.2 What’s New – Blue Note CDP 7 84441 2
3. tk.3 Fugueing The Blues – rejected
4. tk.4 Red Sails In The Sunset – rejected
5. tk.5 Cool Blues – Blue Note LT-1054

„Smalls Paradise“, Harlem, NY, April 7, 1958 – 2nd set
Lou Donaldson, alto sax #4,5; Jimmy Smith, organ; Eddie McFadden, guitar; Donald Bailey, drums.

1. tk.6 September Song – rejected
2. tk.7 Yesterdays – rejected
3. tk.8 Small’s Minor – Blue Note CDP 7 84441 2
4. tk.9 Once In A While – Blue Note CDP 7 84441 2
5. tk.10 Bye Bye Blackbird – rejected

„Smalls Paradise“, Harlem, NY, April 7, 1958 – 3rd set
Lou Donaldson, alto sax; Tina Brooks, tenor sax #1-3; Jimmy Smith, organ; Eddie McFadden, guitar; Art Blakey, drums #1-3; Donald Bailey, drums #4.

1. tk.11 A Night In Tunisia – Blue Note LT-1054
2. tk.12 Dark Eyes – Blue Note LT-1054
3. tk.13 Groovin‘ At Small’s – Blue Note LT-1054
4. tk.14 Mary Ann – rejected

* Blue Note LT-1054, CDP 7 84441 2 Jimmy Smith – Cool Blues
* Blue Note CDP 7 84441 2 Jimmy Smith – Cool Blues
[die RVG ist deckungsgleich mit CDP 7 84441 2]

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