Antwort auf: The Incredible Jimmy Smith at the Organ – James Oscar Smith (1925/28-2005)

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November 1957: Live in Harlem

Jimmy Smith – Groovin‘ at Smalls‘ Paradise (Volume 1) | Im August war Smith wieder in den Manhatttan Tower Studios und nahm eine ganze Menge Musik auf, die auf den Alben „The Sermon“, „Home Cookin'“ und „Confirmation“ (letztere 1979 in der LT-Series erschienen) herauskam. Dafür gab es dann aber im Februar 1958 noch eine zweite Session, weswegen ich lieber beim Working Trio bleibe und mit diesem in den Club Smalls‘ Paradise gehe, wo Blue Note 1m 15. November aufnahm, um erneut zwei Live-Alben zu produzieren.

Vol. 1 öffnet mit einem der grossen Highlights aus Smiths Diskographie, einer über 10 Minuten langen, langsamen Version von Avery Parrishs „After Hours“, einem der letzten, an dem Abend aufgenommenen Stücke. Smith gehören ca. die ersten fünf Minuten, dann spielt McFadden ein Solo, das vom Ton und den Linien her wieder ein wenig an Kenny Burrell erinnert. Es geht langsam weiter mit „My Funny Valentine“ – mit einem Intro, das wieder an Erroll Garner denken lässt. Smith spielt hier am Ende eine seiner Solo-Kadenzen.

Auf der B-Seite der LP sind „Slightly Monkish“ zu hören, Smiths Hommage an Thelonious, und zum Ausklang „Laura“ – letzeres auch ein Highlight, einmal mehr mit einer atemberaubenden Solo-Coda. Smiths drittes Live-Album sollte also auch eher ein Gegenpol zur bewegten Musik sein, die Blue Note bis hierhin vor allem von ihm veröffentlicht hatte. Und das Material so zu hören ist eine neue Erfahrung für mich, da ich die Musik bisher nur in Form der der Doppel-CD kannte – und halt in der dortigen chronologischen Abfolge angehört hatte. Wenn die Februar-Sessions gebündelt „more than the sum of its parts“ sind, so ist das für mich wohl auch hier der Fall: diese erste LP-Konfiguration packt mich weniger, auch wenn die Performances erstklassig sind – dramaturgisch überzeugt mich das jetzt, mit „Slightly Monkish“ als einzigem deutlichen Stimmungswechsel, nicht restlos.

Jimmy Smith – Groovin‘ at Smalls‘ Paradise (Volume 2) | Auch das zweite Volumen öffnet im langsamen Tempo, mit „Imagination“, dem ersten Stück, das an dem Abend mitgeschnitten wurde. Nach der Rubato-Eröffnung fällt die Band in Time und swingt ziemlich hart – was bei dem langsamen Tempo natürlich hohe Schule ist. Es ist auch nicht so, dass es diesen langsamen Stücken an Intensität oder Ideenreichtum fehlen würde – aber der Flow der gespielten Musik mit schnellen und langsamen Nummern, mit Blues und Balladen, „The Champ“, „Walkin'“ und alten Standards, mit Höheflügen und packenden Performancens in allen Feldern, ist schon was völlig anderes als die erste LP.

Vol. 2 geht nach dem Opener mit „Just Friends“ (der letzten Nummer des Abends, nach „After Hours“, danach folgten noch zwei Stücke, die aber als „rejected“ markiert sind und nicht veröffentlicht wurden) mittelschnell weiter, sehr aufgeräumt mit McFadden im Lead.

Der Spannungsbogen von Vol. 2 gefällt mir jedenfalls etwas besser, denn „Lover Man“ ist zwar natürlich die nächste Ballade, aber Smith spielt über dem langsamen Tempo der Rhythmusgruppe ein wunderbares Doubletime-Solo, das aber nie aus der Stimmung ausbricht – und nach McFadden greift Smith gleich noch einmal zu. Dann aber die nächste unverständliche Entscheidung: drehte man die Platte, ging es mit „Body and Soul“ weiter – und weil die Stücke sich ja sogar ein wenig ähneln, merkt man im ersten Moment kaum, dass ein neues angefangen hat und nicht noch einmal „Lover Man“ läuft: Smith wieder in Doubletime mit schlankem, schönen Ton, darunter die weiche Gitarre, die kargen Drums … aber einmal mehr spielt Smith ein tolles Solo, schrammt rasch an „Somewhere over the Rainbow“ vorbei, kostet in der Bridge die Changes aus (die ja schon sehr anders sind als die von „Lover Man“).

Was ich hier jetzt nicht rekonstruieren kann sind die viereinhalb Minuten, die aus „Indiana“ anscheinend weggekürzt wurden – habe mich schon gewundert, denn Seite B dauert auf der RVG-CD fast 26 Minuten. Eine ältere TOCJ-Ausgabe beziffert das statt auf 15:40 aber auf 11:07, das ist nach dem 10minütigen „Body and Soul“ realistischer. Am Abend folgten die zwei Stücke übrigens in umgekehrter Reihenfolge aufeinander – aber ich weiss leider nicht, wo die Set-Breaks stattfanden (Take-Nummern gibt es auch hier bei jazzdisco.org, und die entsprechen wie bei den Februar-Sessions den Angaben bzw. Reihenfolgen der CD-Reissues). Und jetzt, mit „Indiana“, gibt es nach einer halben Stunde nochmal einen richtigen Wechsel, ein schnelles Stück, in dem McFadden so richtig zum Zug kommt und Smith erst nach fast 11 Minuten zu seinem eigenen tollen Solo ansetzt. Warum muss das am Schluss stehen, warum blieb Lion nicht einfach bei der Reihenfolge des Abends, wo die beiden Stücke der B-Seite umgekehrt zu hören waren?

Die Wiederveröffentlichung dieser Aufnahme als Doppel-CD in der RVG-Serie 1999 war für mich eine grosse Überraschung – ich kannte da mindestens schon „Back the Chicken Shack“, „The Sermon“ und die Doppel-CD mit den ersten drei Studio-Alben, sicherlich auch „The Cat“ auf Verve, ein paar weniger wichtige Blue Note-Alben wie „Softly As a Summer Breeze“, „Six Views of the Blues“ und vermutlich auch schon „Crazy! Baby“ und „Home Cookin'“ – aber auf das Level, das Smiths Improvisationen im Smalls‘ (das ist die korrekte Schreibweise, nehme ich an, der Gründer hiess mit Nachnamen Smalls, aber man liest überall andere Varianten und der Wiki-Eintrag ist so vollendet faul, dass das Apostroph einfach ganz weggelassen wird) bietet, war ich trotzdem nicht recht vorbereitet. Die RVG-Ausgabe rekonstruiert den Ablauf des Abends; ein paar Stücke sind als „rejected“ markiert und wurden nie veröffentlicht, die 1999er-Ausgabe enthält aber fast eine Dreiviertelstunde neues Material, das im Gegensatz zu Rollins im Vanguard oder Blakey und Dorham im Bohemia auch in Japan nicht erschienen ist.

Das Bonusmaterial der Doppel-CD von 1999 sind vier weitere lange Stücke, das erste ist „Walkin'“ über 11 Minuten und besonders gut, mit einem von Smiths herausragenden Blues-Soli – und nach McFadden ein paar Runden Fours mit Bailey. Ebenfalls toll ist die snappy Version von „I Can’t Give You Anything But Love“ mit einem gelöst aufspielenden Bailey und seinen Rumpel-Drums und einem kleinen „Blue Moon“-Zitat von Smith (das Stück hat Smith 1962 für seine Fats Waller-Hommage auf Blue Note erneut eingespielt). Dann ist da noch „It’s Only a Paper Moon“, der Pop-Song von 1932, den ich sehr gerne mag, mit einem weiteren langen McFadden-Solo zum Aufakt (die ersten fünf der zehn Minuten sind seine). Und schliesslich ist da noch, das einzige neue Stück aus der zweiten Hälfte der Aunahmen, „The Champ“, der erste Hit von Smith, der vermutlich live kaum fehlen durfte – hier dauert die Version fast 14 Minuten, es geht mit einem Solo-Intro los, das ganz anderes erwarten lässt, doch nach einer gute Minute setzt das Riff ein und ab geht die Post. Das ist dann die catchy Musik, die auf den Alben ein wenig zu kurz kommt. Und ich bin jetzt etwas ratlos, was ich mit der Liste machen soll … vermutlich mogle ich Vol. 2 in die Top 30, weil es sonst halt für mich auch nicht stimmt.

Bob Blumenthal rekapituliert in den neuen Liner Notes für die RVG-Ausgabe kurz die Bedeutung des Clubs: „The Hottest Spot in Harlem“ sei 1925 an seine neue Adresse gezogen, so u.a. für ein Jahrzehnt Charlie Johnson’s Paradise Orchestra als Hausband gespielt habe – in der Band machte sich Benny Carter als Saxophonist wie als Arrangeur erstmals einen Namen. Danach sei der Club auch Heimat von Willie Gant, Elmer Snowden und Hot Lips Page gewesen. In den Sechzigern habe die Basketballgrösse Wilt Chamberlain den Club gekauft und Ray Charles sei dort aufgetreten.
Vor dem Umzug, noch an der ersten Adresse, hätte Basie im Smalls gespielt und Clara Smith gesungen, während Ethel Waters dort gewesen sein – und an der neuen Adresse hätten u.a. auch Bix Beiderbecke oder Jack Teagarden gespielt (so Leonard Feather in den Liner Notes).
https://en.wikipedia.org/wiki/Smalls_Paradise
Oben rechts im Foto (Quelle ist der verlinkte Wiki-Artikel) ist Ed Smalls zu sehen, der Gründer und bis 1955 Inhaber:

PS: die Setlist des ganzen Abends gemäss jazzdiscog.org:

tk.1 Imagination – Blue Note BLP 1586
tk.2 Walkin‘ – Blue Note 7243 4 99777 2 3
tk.3 My Funny Valentine – Blue Note BLP 1585
tk.4 It’s Only A Paper Moon – Blue Note 7243 4 99777 2 3
tk.5 I Can’t Give You Nothing – Blue Note 7243 4 99777 2 3
tk.6 Laura – Blue Note BLP 1585
tk.7 Indiana – Blue Note BLP 1586
tk.8 Body And Soul – Blue Note BLP 1586
tk.9 The Champ – Blue Note 7243 4 99777 2 3
tk.10 Lover Man – Blue Note 45-1704, BLP 1586
tk.11 Slightly Monkish – Blue Note BLP 1585
tk.12 Lover Man – rejected
tk.13 After Hours – Blue Note 45-1703, BLP 1585
tk.14 Just Friends – Blue Note 45-1704, BLP 1586
tk.15 Rhapsody In Blue – rejected
tk.16 Indiana – rejected

BLP 1585 = Vol. 1 (1958)
BLP 1586 = Vol. 2 (1958)
7243 4 99777 2 3 = RVG 2-CD (1999)

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