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The Complete February 1957 Jimmy Smith Blue Note Sessions: 5 Alben in 3 Tagen; die ersten Sessions mit Bläsern und Blue Note-Regulars
An drei Tagen im Februar 1957, ein Jahr nach seinen ersten Aufnahmen, bestand Smith mit Bravour seine dritte Feuertaufe. Ca. 200 Kilogramm wog die B3, das Modell von Hammond, das Smith damals spielte. Der zugehörige Leslie-Verstärker noch einmal 50 Kilogramm. Die „portable“ Orgel kam 1935 auf den Markt. Doch als Smith an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Februar erstmals auf diverse Musiker der „Blue Note-Familie“ traf, hatte von diesen vermutlich noch keiner je mit einem Organisten gespielt.
Obwohl es die elektronischen Orgeln schon über zwei Jahrzehnte gab, waren Sessions von angesehen Jazzmusikern mit Orgel höchst selten, eins der raren Beispiele ist die von Lester Young mit Glenn Hardman aus dem Jahr 1939. Der wichtige Pionier für die moderne Musik war William Strethen „Wild Bill“ Davis, der ab 1949 an der Orgel aufnahm – er verliess dafür seinen sicheren Job mit Louis Jordan’s Tympany Five. Milt Buckner, der zur Band von Lionel Hampton gehörte, folgte: er übertrug seinen „block chord“-Stil recht erfolgreich auf die Orgel. Davis‘ Nachfolger bei Louis Jordan war Bill Doggett, und auch er spielte bald erfolgreich die Orgel, ist allerdings dem Rhythm & Blues zuzurechnen. Jackie Davis und Sir Charles Thompson sind andere frühe Vertreter der Orgel. Sie nutzten die Orgel für Single-Lines und für anschwellende, massive Akkorde (vgl. Wild Bill Davis‘ Orgel-Arrangement von Basie/Heftis „April in Paris“: mehr oder weniger eine Orchestrierung für die Orgel).
Letzten Endes übertrugen sie alle pianistische Konzepte auf das neue Instrument, und es blieb Jimmy Smith vorbehalten, einen organischen Stil zu entwickeln, der das wahre Potential der Orgel offenbarte. Er kam am 8. Dezember 1925 in Norristown, Pennsylvania, zur Welt. Sein Vater – wie Smiths Mutter ein Pianist – wurde sein erster Lehrer, aber Bud Powell und sein Bruder, die im benachbarten Willow Grove lebten, waren ebenfalls wichtige Einflüsse: „‚I knew Bud and his brother well,‘ Smith said in a 1957 interview, ‚in fact, Richie and I used to play cowboys together. I would go over to their place every day … I watched Bud, and dug his hands, and marveled at that unique attack he always had.“ (aus den Liner Notes von Bob Blumenthal zu „The Complete February 1957 Jimmy Smith Blue Note Sessions“, aus denen ich mich auch für den Text oben schamlos bediene, und ich entnehme auch die folgenden Zitate aus anderen Liner Notes dem Mosaic-Booklet.)
Smith gewann bald erste Auszeichnungen, spielte im Radio und trat mit seinem Vater in Nachtclubs auf. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs diente er in der Navy im Pazifik und kehrte dann nach Philadelphia zurück. Da begann er, sich ausbilden zu lassen, studierte bis 1950 Harmonie und Musiktheorie an der Halsey Music School (Clifford Brown war in derselben Klasse), Kontrabass an der Hamilton School of Music (irgendwoher kam ja das Wissen um die Basslinien!) und Klavier an der Ornstein Music School. Zur selben Zeit spielte Smith mit der R&B-Combo von Don Gardner und hörte in der Zeit (je nach Quelle 1952 oder 1954, das scheint ungeklärt zu sein) Wild Bill Davis und begann, sich für die Orgel zu interessieren.
1955 folgten drei intensive Monate, in denen Smith sich im Selbststudium das Orgelspiel aneignete. In den Liner Notes von Leonard Feather zu „A Date with Jimmy Smith Vol. 1“ (BLP 1556) ist davon die Rede: „I made a deal with a studio in Philadelphia where they sell organs, and they let me practice there for a dollar an hour. Finally I got enough money for a down payment on my own organ … I put it in a warehouse and I took a big sheet of paper and drew a floor plan of the pedals. Anytime I wanted to gauge the spaces and where to drop my foot down on which pedal, I’d look at the chart.
„I was paying a guy about five bucks to let me spend three hours a day stuck in the back of that warehouse, because I couldn’t take th organ anywhere else in the neighborhood. Sometimes I would stay there four hours, or maybe all day long if I’d luck up on something and get some new ideas, using different stops … I’d eat breakfast and then take my lunch to the warehouse with me and stay there until I was satisfied that I’d done what I needed to for that day.“
Im Sommer 1955 war Smith so weit, dass er zeigen wollte, was er gelernt hatte. Er kriegte einen Solo-Gig in einem Club in Atlantic City. Die Sensation wurde von Babs Gonzales in den Liner Notes zu Smiths ersten beiden Alben, die wie „A Date with …“ und „At Club Baby Grand“ im Doppelpack mit identischem Rückcover erschienen:
„Within three days the news reached me about this ‚insane‘ organist and I drove down to dig for myself. What I heard was a cat playing forty choruses of GEORGIA BROWN in pure ‚Nashua‘ tempo and never repeating. I heard futuristic, stratospheric sounds that were never before explored on the organ.“ Im September hatte Smith sein eigenes Trio, und Babs Gonzales war sein Manager. Er kontaktiere Alfred Lion von Blue Note, dem Label, das auch Gonzales‘ Karriere lanciert hatte (und, das geht gerne vergessen: Gonzales‘ „Three Bips and a Bop“-Session war die ersten Modern Jazz-Session von Blue Note). (Nashua war ein damals erfolgreiches Rennpferd.)
Im Januar 1956 trat Smith erstmals in New York auf, im Smalls‘ Paradise in Harlem. Lion hörte ihn und nahm ihn umgehend unter Vertrag. Ein Gig Downtown im Cafe Bohemia folgte und war ebenso wichtig für seinen Durchbruch – doch noch wichtiger waren seine Blue Note-Alben, die ab Februar 1956 in schneller Folge entstanden. Das Repertoire von Smith war von Beginn an breit: alte Standards, aktuelle Pop-Songs, eigene Blues-Stücke, aber auch moderne Jazz-Originals von Kollegen wie Horace Silver, Thelonious Monk oder Dizzy Gillespie standen auf dem Programm. „The Champ“ von Gillespie wurde zum sensationellen Opener von Smiths Debut-Album.
Als Smith am 11., 12. und 13. Februar in die Manhattan Towers Studios ging (im Wohnzimmer der Van Gelders war für sowas nicht genügend Platz vorhanden), traf er also erstmals auf Musiker, die nicht zu seiner Working Band gehörten und nahm erstmals mit Bläsern im Rahmen einer typischen „blowing session“ auf. Lou Donaldson, Hank Mobley und Donald Byrd waren am ersten Tag zur Stelle, zudem Smiths neuer Gitarrist Eddie McFadden, und Blue Note-Mainstay Art Blakey – es entstanden auch zwei Trio-Nummern mit McFadden/Blakey. Am zweiten Tag waren Donaldson, Kenny Burrell und Blakey, aber auch McFadden und Smiths regulärer Drummer Donald Bailey dabei, es entstanden Trio und Quartett-Nummern entweder mit Burrell/Blakey/Donaldson oder mit McFadden/Bailey/Donaldson, aber auch ein zwei Duos von Smith mit Donaldson.
Am dritten Tag kam dann nur noch das Working Trio vorbei: Smith, McFadden und Bailey – Smith nahm auch zwei Solos auf, und für ein Stück spielt nochmal Blakey das Schlagzeug. Die fünf LPs, die von diesen drei Sessions zusammengestellt wurden, mischten ziemlich bunt Aufnahmen der drei Sessions. Und es wurde sogar noch weiteres Material aufgenommen: ein Alternate Take von „Plum Nellie“ wurde nur als Single veröffentlicht, ein Stück von der ersten und zwei von der dritten Session kamen erstmals im Mosaic-Set zum Vorschein – auch ohne die Single etwas mehr Musik, als eine Plattenseite damals enthielt.
A Date with Jimmy Smith Volume One öffnet mit „Falling in Love with Love“, dem ersten Stück, das am ersten Tag aufgenommen wurde. So lange Spielzeiten wie auf den vier Stücken, die am ersten Tag in Sextett-Besetzung entstanden, hatte es bei Blue Note bisher nie gegeben: 16, ja 17 Minuten dauerten die längsten der Stücke. Das erste der fünf Alben öffnet mit „Falling in Love with Love“, Byrd präsentiert das Thema und es wird rasch ein typischer Messengers-Groove aufgebaut, in den Smith sich bestens einfügt. Mobley spielt ein schönes erste Solo. McFadden beginnt gut, doch bringt Blakey ihn aus dem Konzept und sein Solo endet vorzeitig und ohne richtigen Abschluss. Smith rettet die Situation mit einem tollen Solo, und jetzt klappt auch die Kommunikation mit Blakey perfekt. Byrd und Donaldson folgen – die beiden sind zwar ein klarer „match“, aber es gibt erneut Unsicherheiten: die Orgel beginnt zunehmen das Sax zu überdecken – wollte Smith signalisieren, dass Donaldson allmählich zum Ende kommt, oder war er ev., wie Blumenthal spekuliert, 16 Takte verschoben in der Form? Donaldson zieht sein Solo jedenfalls unbeirrt durch, aber auch im der abschliessenden Rekapitulation des Themas schleicht sich bei Byrd dann noch eine Unsicherheit ein. Das ist echt kein schlechtes Stück oder so, aber ich frage mich unweigerlich, ob Lion ein paar Jahre später auf einem weiteren Take bestanden hätte?
Gemäss den Take-Nummern (die Mosaic-Box ist mehr oder weniger chronologisch sortiert [innerhalb der Sessions], um die Stücke im LP-Kontext zu hören, muss man zwischen den drei CDs ständig umherspringen) gab es allerdings ganz wenige Takes. Die fortlaufend Nummern der Master Takes sind 3-6 und 8-9, d.h. es gab nur zwei nicht erfolgreiche Takes zu Beginn und einen dazwischen. Das zweite Stück vom ersten Tag ist das erste der beiden im Trio, „First Night Blues“ – das erste unveröffentlichte im Set, fast 9 Minuten lang, und hier passt dann auch gleich alles, McFadden wirkt viel entspannter und spielt ein langes Solo. Smiths souveräne Beherrschung der Basspedale erlaubt ihm, mit der linken Hand zu „compen“, was wiederum die Gitarre von der „four to the bar“-Rolle à la Freddie Green befreit, und dazu führt, dass auch McFadden ziemlich interessantes Zeug hinter Smith spielen kann. Der Abschluss der Nummer hat, wie Blumenthal schreibt „big-band style“, danach spielt Smith eine unbegleitete Coda – das wurde bald zum Markenzeichen. Dass Musik solcher Güte zurückgehalten wurde, mag heute seltsam scheinen, doch Blue Note schwamm ja förmlich in Smith-Aufnahmen.
„How High the Moon“ entstand am dritten Tag, als Smith mit seiner Working Band – Eddie McFadden und Donald Bailey – im Studio war. Und es war der fünfte komplette/veröffentlichte von neun Takes. Smiths Einstieg lässt bei dem relaxten Tempo und dem Groove unweigerlich an Erroll Garner denken, ein blumiger Einstieg, der aus dem alten Schlachtross eine entspannte Sache macht, was aber keine Sekunde zu Unverbindlichkeit führt. Bailey setzt mit Besen immer wieder tolle Akzente – und das Stück beschwört die lockere Atmosphäre herauf, die am dritten Tag in den Manhattan Towers geherrscht haben muss. Vermutlich war inzwischen allen klar, dass sie Musik für drei oder vier LPs im Kasten hatten, und von der Pflicht ging es zur Kür über – die Gäste, die illustren Gäste, die auch beim Rookie-Leader für etwas Nervosität und Anspannung gesorgt haben mögen, waren wieder weg (bis auf Art Blakey, der für eins der grossen Highlights aus Smiths-Schallplattenkarriere nochmal vorbeischaute, mehr dazu unten).
Das erste Album schliesst mit dem 16minütigen „Funk Oats“ – ein noch längerer Jam also, und natürlich einmal mehr ein Blues (aus Smiths Feder), das Tempo langsamer – zu recht fühlt Blumenthal sich an die Jam-Sessions erinnert, die Gene Ammons oder Kenny Burrell damals für Prestige aufnahmen. Donaldson legt hier als erster los, spielt ein tolles Solo, das von Smith mit viel Sinn für Raum begleitet wird. Byrd folgt – und wenn ich ihn hier höre, wird mir einmal mehr klar, dass die wieder gewonnene Freude an seinem Spiel im Rahmen des intensiven Blue Note Wiederhörens definitiv zu meinen grössten Gewinnen bisher zählt. Hinter Byrd begleitet das Trio aktiver, es beginnt, sich zu „spüren“, Dinge auszuprobieren – dass Blakey erneut bei Smith-Sessions auftauchen sollte, ist keine Überraschung, wenn man das hier hört. Mobley folgt mit einem tollen Solo, unter das Smith gegen Ende ein paar „suspended“ Akkorde legt, die danach bei McFadden wieder auftauchen und wohl signalisieren sollen, dass zu einem Ende gekommen werden sollte.
A Date with Jimmy Smith Volume Two ist ähnlich aufgebaut. Die zwei Sextett-Jams umrahmen hier aber keine Trio-Nummer sondern das erste der beiden Duos mit Donaldson, mit denen der zweite Tag in den Manhattan Towers begann. „I Let a Song Go out of My Heart“ ist die längste Aufnahme der Session (16:59) und nimmt die A-Seite der LP ein – es war das letzte Stück der ersten Session. Nach einem Intro des Trios stellt Donaldson das Thema vor. Auch hier typische Jam-Session-Atmosphäre, aber nach erfolgreicher Session sind alle wesentlich entspannter als davor. Blakey springt im ersten Solo von Donald Byrd für den zweiten Chorus in Double Time – und der Fokus geht ein wenig verloren. Mobley folgt, und er bringt das Tempo nach am Ende seiner zweiten Bridge wieder runter – wohl weil er vermeiden will, dass es noch einmal einen solchen Moment wie in Byrds Solo gibt. Dann ignoriert er aber Smiths Signal, sein Solo zu beenden – und das gleiche wiederholt sich danach bei McFadden (hier besonders locker drauf): beide spielen sie noch einen dritten Chorus. Lou Donaldson spielt dann sogar vier, steigt eng am Thema ein und endet auch wieder ganz nah an Ellingtons Melodie. Einmal mehr bleibt er vollkommen unbeirrt davon, was Smith hinter ihm alles anstellt – Donaldson, Smith und Blakey in eng verzahntem Groove, das gab es bei den nächsten Smith-Jam-Sessions wieder („The Sermon“), und es ist schon hier ein grosses Vergnügen. Smith selbst spielt dann – wie Byrd am Anfang – nur zwei Chorusse, die zweite Bridge in double time. Das Schlussthema spielen Donaldson un Mobley dann gemeinsam, und Smith hängt eine unbegleitete Kadenz an, die an die Wurzeln des Instruments, die ja nicht im Jazz liegen, erinnert, und diese erste Session ausserhalb seiner Working Band (und Seite A der zweiten LP von den Februar-Sessions) hervorragend ausklingen lässt.
Die zweite Session öffnete mit „I’m Getting Sentimental Over You“ im Duo. Smiths Basspedale bilden das Walking-Fundament für Donaldson, der nah am Thema bleibt. Smith bringt hier zweimal die so typischen anschwellenden gehaltenen Akkorde – alte Schule konnte er auch, aber er macht das recht geschmackvoll, und das Resultat ist eine konzise, schöne Ballade, in der Donaldson seinen schönen Ton glänzen lässt.
Den Abschluss der LP macht „Groovy Date“ von Hank Mobley, 13 Minuten lang und die vorletzte Nummer der ersten Session (davor entstand noch „Zing Went the Strings of My Heart“ im Trio (siehe „The Sounds of Jimmy Smith“). Zweimal Zwei Takte Bläser und zwei Takte Drum-Break und dann solieren über Rhythm-Changes, so lautet hier das Rezept. Auch hier legt Donaldson als erster los und ist mit Smith inzwischen perfekt kompatibel. Jeder folgende Solist hängt jeweils einen Chorus mehr an, und hier ist es Donald Byrd, der zuerst den Drum-Roll von Blakey und dann auch noch Smiths Stoppsignal ignoriert. Mobleys Einstieg ist etwas ruppig, sein Blatt macht nicht recht mit, doch er fängt sich und zitiert im vierten Durchlauf Parkers „Steeplechase“. McFadden steigt etwas spät ein, mit einem Lick, das Smith hinter Byrd gespielt hatte – und greift im Lauf seines Solos das „Steeplechase“-Zitat noch einmal auf. Dann folgen zwei Chorusse mit Fours der Bläser mit Blakey, bevor die Fanfare die tolle Performance beendet.
Ein Zwischenfazit: an die Höhenflüge aus dem Baby Grand kann das Material hier nicht ansetzten – zu sehr sind die Musiker noch auf der Suche nach ihrer Rolle im Setting mit einer Orgel. Donaldson und Blakey schlagen sich dabei hie und da noch besser als der neue Gitarrist, der allerdings nicht wegen Smith da und dort kleinere Probleme haben dürfte. Die Sextett-Session legt jedenfalls einen Grundstein für so das monumentale „The Sermon“, das gar nicht so lange auf sich warten lässt.
Jimmy Smith at the Organ Volume One | Die LPs Nr. 3 und Nr. 4 erschienen erneut im Paar mit identischen Rück-Covern. Vol. 1 ist das einzige der Februar Alben, die ganz bei einer der Sessions entstanden sind, nämlich der zweiten – bei der aber neben Donaldson wie schon erwähnt zwei Rhythmusgespannen anwesend waren: Kenny Burrell und Art Blakey sowie Eddie McFadden und Donald Bailey. Das Album öffnet mit dem zweiten Take des Tages, dem zweiten Duo von Smith mit Donaldson, über Gershwins „Summertime“. Das Stück ist wieder nur etwas mehr als vier Minuten lang, aber Donaldson darf hier auch einen Chorus improvisieren und macht das sehr geschmackvoll. Smith selbst spielt ein tolles Solo, das seinen Sinn für Dramatik demonstriert – ein behutsamer Einstieg in eine LP, die doch die neue Sensation, den hart arbeitenden (schwitzenden, sich verrenkenden, grimassierenden) „incredible Jimmy Smith“, präsentiert.
Für den Rest der LP sind Burrell und Blakey an Bord – das hier ist Burrells erste Begegnung mit Smith, und sie sollte sich als noch bedeutender entpuppen als die von Smith und Blakey. „There’s a Small Hotel“ entstand als zweitletztes Stück des Tages (auch hier gibt es bloss drei Take-Nummern, die nicht an Master Takes vergeben wurden). Der Groove ist knackig, es passt alles, Burrell spielt das erste Solo, das sich zwischen funky Blues und moderner Jazzgitarre bewegt. Dann folgt Smith mit einem fabelhaften, langen Solo. Burrells Comping und Blakeys sich immer wieder ändernde Akzente sorgen für eine tolle Begleitung – und dann gibt es Exchanges von Smith und Burrell, zuerst jeweils acht Takte, dann Fours. Und es folgt ein Durchgang mit klassischen Fours von Smith/Burrell mit Blakey, bevor Blakey auch noch ein ausgewachsenes Solo spielt. Fast 12 Minuten dauert das Stück und zählt wohl zu den Highlights dieser Sessions.
„All Day Long“, das letzte Stück der Session, steht am Anfang der B-Seite, auf der auch Lou Donaldson wieder dabei ist. Burrell hatte sein Stück einen Monat früher für eine Prestige-Session aufgenommen, der es dann auch gleich den Titel gab. Smith walkt einen Chorus, bevor Burrell das Thema vorstellt. In den Soli von Donaldson und Burrell gibt es Doubletime-Passagen, bei Smith bleibt das Tempo durchgehend langsam, es gibt in seinem Solo einen dieser tollen Morsecode-Momente, wie er sie hie und da einstreute. Das ist maximal entspannt – eben: der Ausklang einer weiteren erfolgreichen Session, bei der Musik für fast zwei LPs eingespielt wurde (Vol. 2 enthält auch Stücke vom dritten Tag, vom zweiten erschien – wie vom ersten – noch ein Stück auf dem fünften Album, zudem gab es den erwähnten Alternate Take von einem Titel, der als Single erschien).
„Yardbird Suite“ beschliesst die LP – es war die zweite Charlie Parker-Nummer in Folge, die eingespielt wurde. Das Thema hier ist sicher eins von Parkers melodischsten, einprägsamsten. Burrell spielt im Thema die Bridge. Donaldsons Solo ist kurz, Burrell folgt mit einem superben Solo, in der Mitte spielt er komplexe, repetitive Motive. Smith folgt mit einem noch tolleren Solo, von Burrell und Blakey angestachelt, mit dem der Organist in der Folge ein paar Runden achttaktige Exchanges spielt. Auch das eine umwerfende Performance von einer Güte, wie sie am ersten Tag nicht gelingen wollte. Burrell, Donaldson und Blakey – das wird offensichtlich – waren „naturals“, die sich mit Smith sofort bestens zurecht fanden.
Jimmy Smith at the Organ Volume Two | Auf Vol. 2 sind neben Burrell und Blakey auch Eddie McFadden und Donald Bailey zu hören. Auf Seite A sind erneut zwei Stücke von der zweiten Session zu hören, den Auftakt macht Smiths Original „Plum Nellie“, dem vierten Stück der Session (nach den zwei Duos mit Donaldson und einem Trio mit McFadden/Bailey, das auf der fünften LP landete). Dabei sind neben dem Leader hier Lou Donaldson, Eddie McFadden und Donald Bailey. Das langsame Tempo ist, wie Blumenthal schreibt, „the ultimate test for jazz improvisers“ – und auch hier stimmt alles. Smith präsentiert das Thema mit grösster Lockerheit, McFadden spielt ein starkes Solo, Lou Donaldson folgt – und den Blues konnte er ja wirklich. Danach übernimmt Smith und beschliesst sein Solo mit einer tollen Block-Chord-Passage, bevor McFadden das Stück beschliesst. Im direkt anschliessend aufgenommenen Single-Take kriegen die Solisten jeweils nur zwei statt drei Chorusse, und McFadden kriegt am Ende Gesellschaft von Donaldson – ein zweiter Take des Stückes war an sich überhaupt nicht nötig, ich kann mich Blumenthal anschliessen, der findet, dass nur Smith die Spannung des ersten Takes hält (dass der zweite Take extra für eine Single-Veröffentlichung entstand, bezweifle ich, der Master ist mit 7:37 für eine zweiseitige Single kaum zu lang, und die Veröffentlichungen aus den drei Sessions hat Alfred Lion ja später recht bunt zusammengestellt, dass im Studio schon so konkrete Überlegungen angestellt wurden, kann ich mir kaum vorstellen … zudem wurden diverse Albumtracks – wie schon bei Smiths bisherigen LPs – ebenfalls in Single-Auskopplungen herausgebracht).
Das zweite Stück der ersten Seite ist das erste Parker-Stück, das zwischen „Plum Nellie“ und „Yardbird Suite“ entstand, „Billie’s Bounce“. Kenny Burrell und Blakey übernehmen hier wieder, und man denkt unweigerlich an „Au Privave“, das dasselbe Quartett plus Lee Morgan und Tina Brooks ein Jahr später aufnahm. Auch hier gelingt alles, und besonders Kenny Burrell glänzt in allen Rollen: im Unisono-Thema mit Donaldson, als erster Solist mit warmem Ton, mit Riffs hinter Donaldson und tollem Support in Smiths Solo. Donaldson ist im ersten Chorus mal wieder etwas zum Scherzen aufgelegt (eine Eigenheit, die manche – ich tendiere auch dazu – eher als Defizit auslegen), doch danach ist er „all business“ und spielt ein fabelhaftes Solo, von Blakey hart angetrieben (Donaldson war ja, das sollte nicht vergessen werden, auch bei den Live-Sessions von Blakey mit Clifford Brown und Horace Silver im Birdland 1954 hervorragend aufgelegt). Smith ist einmal mehr beeindruckend, dann führt ein ruppiger Splice zu Blakeys Solo über – und der Schluss ist dann leider ähnlich ruppig wie der Splice, auch wenn Blakeys Solo gut ist. Bevor ich mit der B-Seite weitermache, höre ich mir nochmal „Yardbird Suite“ an – das Stück wurde übrigens als Smiths Beitrag ausgewählt, als 1969 zum 30. Geburtstag des Labes eine Zusammenstellung erschien.
Die B-Seite der LP entstand am dritten Tag. „The Duel“, die mit 10:25 Minuten längste Nummer der Session und die eine, für die Blakey nochmal mitwirkte (und McFadden aussetzte), öffnet die B-Seite. „The Duel“ ist ein 32taktiges Smith-Original. In seinem grossartigen Solo spielt Smith teils über die Form, es gibt aber eine absteigendes Interlude und freie Passagen die – und da fällt endlich der Name des gestrigen Geburtstagskind – durchaus an die Klangwelt von Sun Ra erinnern. Dass dieses phänomenale Stück in den letzten Jahren völlig vergessen geraten sein dürfte, hat auch damit zu tun, dass es von den „Date with“ und „At the Organ“ Alben jeweils drei Japan-CDs gab, ansonsten aber seit 30 Jahren keine vernünftigen Reissues (auch nicht im Premium-Vinyl-Segment – für „A Date with“ sprang immerhin vor ein paar Jahren Fresh Sound mit einem Twofer in die Bresche, aber da hatte bestimmt niemand Zugriff auf die Mastertapes).
„Buns a Plenty“ war das Stück, das direkt davor entstand – Take 9 einer Session mit 12 Takes, von denen nur Takes 1, 2 und 5 nicht veröffentlichungswürdig sind (Takes 3 und 12 aber im Mosaic-Set erstmals auftauchten). Damit endet die LP nach dem umwerfenden „Duel“ wieder sehr entspannt – und die kulinarische Blues-Trilogie findet nach „Funk’s Oats“ und „Plum Nellie“ ihren Abschluss. McFadden legt ein aufgeräumtes Solo vor, und dann übernimmt Smith und schaltet gleich ein paar Gänge höher. Bei Donald Bailey kann man bei diesen Sessions (Tage 2 und 3) zuhören, wie er immer mehr in die Musik Smiths hineinzuwachsen scheint, wie er anfängt, seine im besten Sinnn seltsamen, überraschenden Akzente zu setzen. Smith streut kurze Riffs ein, spielt am Ende eine lange Drone … und so wird aus dem entspannten Blues, der ein wenig an „Bags‘ Groove“ erinnert, auch wieder eine grosse Performance.
The Sounds of Jimmy Smith, das fünfte Album, das Blue Note aus den Februar-Sessions zusammenstellte, enthält auf der A-Seite und zum Auftakt der B-Seite vier Stücke vom dritten Tag. Neben „The Duel“ mit Blakey waren Eddie McFadden und Donald Bailey zugegen doch Smith nahm auch – erstmals – zwei unbegleitete Solo-Stücke auf, „The Fight“ in der Mitte der A-Seite und „All the Things You Are“ zum Auftakt der B-Seite.
„There Will Never Be Another You“ wurde direkt vor „How High the Moon“ (A Date with, Vol. 1) eingespielt und kommt in einem ähnlichen Garner-Groove daher. Smith klingt altmodisch, zieht viele Register, das hat was von „roller rink“ und Fats Waller, aber der Groove ist charmant, mittelschneller „four to the bar“-Beat (von McFadden, und hinter dessen Solo dann von Smith), den Bailey an den Besen etwas auflockert.
Es folgt das erste Solo-stück, „The Fight“ (der dritte fertige Take der Session, „Another You“ ist der vierte). Hier assoziiert Smith frei, Thema sei die Trennung von Manager/Förderer Babs Gonzales. Los geht es mit einem Riff und Changes, die ein wenig an „Tune Up“ erinnern, klanglich ist Smith hier näher an einer Kirchenorgel als je zuvor, auf eine Art „chant“ folgen marchähnliche Passagen. Smith hatte anscheinend ein paar Akkordabfolgen festgelegt und der Rest entstand dann ganz spontan.
Die Mischung aus Waller/Garner/Roller-Rink kommt für „Blue Moon“ zurück, eine weitere maximal relaxte Performance, in der McFadden im Solo etwas häter in die Saiten greift und ein wenig an Burrell erinnert. Die B-Seite öffnet mit dem ersten Solo der Session, „All the Things You Are“ – „I took part of the introduction from Ravel, with a touch of Johann Sebastian for flavor“, zitiert Leonard Feather Smith in den originale Liner Notes. Smith hatte ja seine ersten Auftritte an der Orgel als Solist, und so ist das teilweise auch eine Rückkehr zu den nicht dokumentierten Anfängen im Jahr, bevor Blue Note ihn unter Vertrag nahm. Auch hier spielt Smith jedenfalls mit grösster Lockerheit auf – man erhält den Eindruck, ihm am Ende eines langen Abends zuzuhören, das Publikum ist schon gegangen, an der Bar wird aufgeräumt, und Smith spielt noch für sich selbst eine Art Meditation über die Geschichte seines Instruments.
Das mittlere Stück der B-Seite ist „Zing Went the Strings of My Heart“ überschrieben und entstand in der Mitte der ersten Session, mit McFadden und Blakey, ohne die drei Bläser. „Zing“ hat eine 56taktige Form (AABA mit 16taktigen A-Teilen), während das Smith-Stück hier eine 32taktige ABAC-Form hat. Der A-Teil klingt nach „Zing“, der B-teil eher nach „Falling in Love with Love“ (das davor auch eingespielt wurde – Opener der ersten Session und des ersten Albums, siehe oben), während der C-Teil von „Indiana“ entliehen ist. Was auch immer der Name des Stückes ist, es ist ein schneller Romp, in dem der neue an der Gitarre am Anfang und am Schluss seine Vertrautheit mit Charlie Christian demonstriert, während dazwischen ein langes Smith-Solo steht (auch das ist mit 8:35 eine lange Performance) und Blakey sich besonders hinter Smith ordentlich ins Zeug legt, mit einem knackigen Beat und ziemlich tollen Fills und seinen patentierten Rolls.
Am Ende des Albums steht dann „Somebody Loves Me“, das mit McFadden/Bailey bei der mittleren Session an dritter Stelle aufgenommen wurde, direkt nach den zwei Duos mit Lou Donaldson, der hier aussetzt. Schon in McFaddens Solo kommt eine soulige Blues-Stimmung auf, die sich bei Smith dann noch weiter ausbreitet, während Bailey für erfrischende Fills sorgt. Dass die drei dabei locker durch das Arrangement des Themas navigieren, zeigt, wie eingespielt Smiths Trio inzwischen war – auch mit dem neuen Mann an der Gitarre.
In der Mosaic-Box sind von der dritten Session noch zwei Bonustracks erschienen, die zusammen mit „First Night Blues“, der anderen Trio-Nummer der ersten Session, auch als Bonustracks auf dem RVG-Reissue von „Sounds“ landeten: mit „The Third Day“ von Smith geht es los, einem 32taktigen Stück mit hübscher Melodie und ansprechenden Changes. Smiths Solo klingt stellenweise ziemlich wagemutig, und trotzdem ist auch das total locker dahingespielt. Den Ausklang der Session machte dann eine achtminütige Version von Ray Nobles „Cherokee“ (seit Parkers Variante „KoKo“ in die Bebop-Annalen eingeschrieben). Hier ist das Trio in Höchstform zu hören und es ist äusserst bedauerlich, dass das Stück nicht früher ans Licht kam. McFadden spielt nach Smiths langem Solo eine seiner bis dahin besten Improvisationen, und Bailey, der in der ganzen Session super aufspielt, darf in der abschliessenden Bridge zum ersten Mal acht Takte (statt nur Fours wie bisher) spielen (wobei er ja eh kein solistischer Drummer war, das sollte sich ja auch kaum ändern).
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