Antwort auf: Jazz & Brasil

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gypsy-tail-wind
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Ich mache mit Jobim weiter. „Tide“ war das Nachfolge-Album von „Wave“, im Frühling 1970 für A&M eingespielt, produziert von Creed Taylor, arrangiert diesmal von Eumir Deodate. Mir gefällt es auf seine Art wohl besser, gerade, weil es weniger auf smoothe Perfektion aus ist. Wer was spielt, ist nicht so klar, aber unter den Mitwirkenden finden sich Urbie Green an der Posaune, die Flötisten Joe Farrell, Jerry Dodgion und Hubert Laws, auf einigen Stücke Hermeto Pascoal mit Flötensoli (die wohl via Overdub beigefügt wurden, sieben Sessions gab es für das Album und gemäss den Infos im CD-Booklet findet sich auf den Basistracks jeweils nur eine Flötenspur, vermutlich meist von Farrell), Ron Carter spielt den Bass, Deodato das Klavier, aber auch mal die Gitarre, Jobim selbst eher Gitarre, aber auch mal Klavier. Das Album ist – auch darin Nachfolger von „Wave“ – erneut rein instrumental. Die Solisten sind gemäss der Hülle: Jerry Dogion (Altsax auf „The Girl from Ipanema“, mit dem das Album öffnet), Joe Farrell an der Bassflöte und einmal am Sopransax, Hermeto Pascoal an der Flöte im „Tema Jazz“, von dem es neben dem kurzen Master Take einen ebenso kurzen Alternate Take und am Ende einen langen (fast 6 Minuten) sowie den kompletten Mastertake (über 8 Minuten) gibt. Das ist sicher eins der Highlight, aber hier passiert musikalisch stets sehr viel!

Mein nächstes Album ist „Matita Perê“, in Brasilien 1973 bei Philips erschienen, in den USA im gleichen Jahr bei MCA als „Jobim“ – und ich habe es tatsächlich auch in beiden Ausgaben (CD von 2000 unten, von 2008 – gleiche Reihe wie meine Tom/Caymmi-Ausgaben – oben). Hier ist wieder Ogerman am Werk, Jobim singt, die Stücke sind länger (acht Stücke, vierzig Minuten, das ist nach Bossa-Rechnung fast ein Doppelalbum). Das ist dann eher die Fortsetzung von „A Certain Mr. Jobim“ – wunderbare Arrangements, grossartiger Gesang – Jobims übliches détachement, das gerade erst recht alles auf den Punkt bringt … die Stimmung ist wieder ruhiger als bei „Tide“, aber zugleich scheint es in der Musik immer wieder unterschwellig zu brodeln, die Streicher sind wirklich bemerkenswert eingesetzt. Urbie Green ist auf zwei Stücken wieder dabei, Jobim spielt Gitarre und Klavier, Ron Carter und Richard Davis sind die Bassisten, Arito und João Palma erneut die Drummer, George Devens (Percussion) kommt dazu, die Flöten und anderen Woodwinds haben Ray Beckenstein, Phil Bodner, Jerry Dodgion, Don Hammond und Romeo Penque beigesteuert, alles bewährte Studiocracks, die auch bei vielen Sessions von Gil Evans mitwirkten (Don Hammond sagt mir allerdings nichts?). Harry Lookofsky leitet die Streicher-Section, und zwei unbekannte Hörner kommen auf dem Titeltrack auch noch dazu.

Das ist wirklich ganz grossartige Musik – nicht nur, aber besonders „Matita Perê“. Ich glaub, so gepackt wie die Tage hat mich Jobim als Performer noch gar nie (muss am Pandemie-Mood liegen …)

Was ich aber nicht begreife: weshalb enthält die US-Ausgabe „Aguas de Março“ gleich zweimal, am Anfang und am Ende? Und ist es dieselbe Version (gleich lang sind sie, es stehen nur Master-Nummern und die sind logischerweise nicht identisch, Take/Studio-Nummern fehlen).
EDIT: ach so, nicht genau geguckt, für die US-Ausgabe wurde noch eine englische Version („Waters of March“) erstellt. Die neuere CD (oben) klingt sehr viel schöner, finde ich (wärmer, voller) – ich kann wohl ohne die englische Version des Openers leben ;-)

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