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Paul McCartney – McCartney III
Wenn irgendwann die unvermeidliche „Was war denn gut an der Coronakrise?“-Analyse beginnt und Listen erstellt, Artikel geschrieben und Posts geteilt werden, dann wird zumindest aus dem Lager der Beatlesfans (es soll ja noch einige geben) auch „McCartney III“ ein Thema sein. Weil es „die Trilogie, die mit seinem ersten Soloalbum begann“, abschließt? Nein, weil es seine beste Platte seit 1980 / 1988 / 1997 / 2005 (Nichtzutreffendes bitte streichen) ist.
„McCartney“ (I) war die Platte zum Ende der Bealtes, „McCartney II“ die Platte zum Ende von Wings – man möchte diese Analogie nicht gedanklich fortsetzen. Ebenfalls kann man sagen, dass alle drei Platten die Möglichkeiten von Homerecording in der jeweiligen Zeit mit der möglichen Technologie abbildeten. #1 spartanisch mit 4-Spur, #2 dann auf 16-Spur, aber mit dem selbstauferlegten Dogma, das Tonsignal nicht über ein Pult oder Effekte zu leiten bevor es auf Band landete. #3 ist jetzt Hi-End-State-Of-The-Art, aber trotzdem alles andere als überproduziert.
Entscheidend ist, dass er auf dieser Platte wieder ganz bei sich ist und nicht versucht im Verbund mit einem Produzenten, Hauptkollaborateur oder gar seiner Tourband etwas zu entwickeln, sondern einfach nur sein Ding macht. Oft ist das Ergebnis einer solchen Reduktion auf eine aktive Person nicht besser als ein möglicher Austausch mit einem oder mehreren Partnern, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das immer noch Paul McCartney ist und der Satz „You must’ve learned something in all those years“ von John Lennon zwar in Richtung seines alten Buddies geschleudert wurde, aber auch schon damals von Lennon nicht ernsthaft gemeint war. Er konnte es eigentlich immer, aber hat es nicht immer hinbekommen bzw. sich in Settings begeben, die letztendlich nicht das Optimale aus seinem Potential geholt haben.
Nun ist er 78 Jahre alt. Seine Stimme hat in den letzten 10-15 Jahren merklich abgebaut. Zum Glück färbt er seine Haare nicht mehr. Und er klingt frischer als auf den letzten zwei Alben, die letztendlich immer irgendwie bemüht klangen. Ganz am Ende von dem Album klingt er sogar so wie früher – was daran liegt, dass „When The Winter Comes“ 1992 aufgenommen wurde – ein schönes Ende des Albums, aber nicht sein Höhepunkt. Dafür bieten sich andere Tracks an – etwa das gospelhafte „Woman And Wives“ oder das ausladende „Deep Deep Feeling“ , das ihn zu Beginn nur zu einem perkussiv gespielten Schlagzeug singend erklingen lässt und auch im weiteren Verlauf von dem holprigen, aber saucoolen Groove getragen wird. Ein anderer Satz, den Lennon in den 70s fallen ließ, war, dass Ringo nicht einmal der beste Drummer der Beatles gewesen sei und damit meinte er nicht George und sich selbst natürlich auch nicht.
„Lavatory Lil“ ist textlich ein ganz anderes Kaliber als „Lovely Rita“, aber es könnte letztendlich die gleiche Frau damit gemeint sein. Musikalisch und vom Sound her hätte diese Nummer auch von „McCartney“ sein können. „Deep Down“ klingt so als hätte Geoff Emerick von der Wolke aus an den Reglern des Snaresounds gedreht und Macca singt Backing Vocals im Falsett als wäre es noch 1982. „Find My Way“ hätte so auch auf „Memory Almost Full“ sein können und das ist nicht als Kritik zu verstehen – diese Platte ist ja quasi wie auch der Vorgänger „Chaos And Creation In The Backyard“ so eine Art „McCartney Two-And-A-Half“, wo er auch schon bei vielen Songs alle Instrumente selbst spielte, aber dann doch immer noch einen Produzenten an Bord hatte.
Auf „Seize The Day“ spielt er noch mal alle seine Qualitäten aus und schafft einen klassischen McCartney, den man stilistisch in all den Jahrzehnten seines Schaffens verorten könnte. Keine Frage: Paul McCartney hat in diesem besonderen Jahr alles richtig gemacht – eine Platte, auf die er wirklich stolz sein kann und vor allem: Die Trilogie mit einem Album zu beenden, das den Höhepunkt dieses Dreisprungs darstellt!
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Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue