Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Gestern nach der Stone Alliance-Session etwas Abwechslung mit Elvis Jones, zugleich Kontinuität mit Gene Perla … und mit Jan Hammer, der ja auf Steve Grossmans Debut auch dabei war, quasi als Ergänzung zum späteren Trio-Line-Up von Stone Alliance. Sehr schön!

Es ging dann gestern schon weiter mit Open Sky, einem anderen Trio mit zwei schönen Alben auf PM. Das erste ist ein Live-Mitschnitt (bzw. grossteils, rec. Mai/Juni 1972), das zweite kurz danach im Studio (grossteils) aufgenommen. Das Trio besteht aus Dave Liebmann (ts, ss, fl, cl, perc), Frank Tusa (b, bells) und Bob Moses (d, kalimba), auf dem zweiten Album kommen manchmal noch ein paar Stimmen dazu, die im Hintergrund etwas Atmosphäre beisteuern.

Bei allen Parallelen zu Stone Alliance ist das doch völlig anders. Liebmann mag ein nicht ganz so grossartiger Saxophonist sein wie Grossman, rein technisch gesprochen, der Coltrane-Einfluss ist auch bei ihm fast immer da (zumal am Tenorsax – der Einsatz der Klarinette kam für mich überraschend, ist aber super, und die Holzflöten sind eh nochmal eine andere Geschichte). Doch dieses Trio ist einerseits viel freier unterwegs, andererseits hat es aber oft auch eine Einfärbung, die ich „folkloristisch“ nennen möchte und die mich z.B. an Old and New Dreams oder – das läuft dann v.a. über Tusa, der superb aufspielt – an Charlie Haden erinnert (der ja natürlich zu Old and New Dreams gehörte). Auf dem Studio-Album ist dieser Folk-Touch viel deutlicher, dafür gibt es hier aber auch recht harten Stoff, der wiederum etwas, wie soll ich sagen, verbohrter? das ist zu negativ … strenger wirkt, als auf dem Live-Album (wobei die ersten fast 20 Minuten von „Spirit in the Sky“ ebenfalls 1973 live aufgenommen wurden, der Rest dann 1974 im Studio). Da kriegen aber auch alle ihr kurzes Solo-Stück. Die Stimmen sind meist nur Klangfarbe und oft nicht zu vernehmen, hie und da mischen sie sich jedoch deutlicher ein, z.B. am Ende des Closers, der auch Titelstück ist, wo sie die entsprechenden Worte singen und skandieren … kann ich überhaupt nicht einordnen, ob das nun sowas wie ein Gegenstück zum afro-amerikanischen Spiritual Jazz sein soll, oder doch eher in die Ecke „Santana/McLaughlin gucken gen Osten“ geht … jedenfalls auch das ein feines Album. Und die Offenheit und auch die Schwierigkeit, das einzuordnen, gehört wohl gerade mit dazu, denn das ist ja eine Zeit, als solche Dinge tatsächlich möglich waren und auch gemacht wurden.

Dazu gibt es bei mir auch noch eine Geschichte: ich hatte mal einen Nachbarn, der Saxophon spielte – ein paar Jahre älter als ich … und der fuhr total auf diese Leute ab, ganz besonders hatte Bob Berg es ihm angetan, aber auch Dave Liebman mochte er sehr – und von „Spirit in the Sky“ gab er mir irgendwann mal einen LP-Rip mit, den ich jetzt durch die japanischen Reissues ersetzt habe, die ich von all diesen Alben kürzlich gekauft habe.

Jetzt wieder Grossman, 1975/76 mit den Stone Alliance-Leuten, also Gene Perla (elb) und Don Alis (d, cga, bog, bells, perc, g) inkl. Jan Hammer (elp, synth) – also: elektrifiziert und damit anders als das erste Stone Alliance-Album, das ebenfalls 1975/76 aufgenommen wurde, aber ähnlich wie das 1973 entstandene „Some Shapes to Come“, auf dem aber Perla noch akustischen Bass spielt und mehr E-Piano als Synthesizer zu hören ist. Das wirkt sofort wieder irgendwie enger, auch treibender, und ein weiteres Unterscheidungsmerkmal wird ebenfalls sofort deutlich: Liebman baut sich seine imaginierte Folklore, während Grossman/Perla/Alias weniger imaginieren sondern immer wieder deutliche Anleihen an südamerikanischer Rhythmik nehmen. Vielleicht rast Grossman quasi auf einer Schiene dahin, während Liebmann durch eine Ebene tanzt? Das ist etwas zugespitzt, aber so kommt es mir vor.

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