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sokrates
Ich bin selbst Anhänger der These, dass die Kunst (hier: die Musik) für sich selbst sprechen muss. Und dass man sie daher auch ohne Vorkenntnisse gut finden (oder auch nicht, wie ich im Fall Kendrick Lamar.) Das aber wurde ja gerade für falsch gehalten: Man müsse sich damit beschäftigen, hieß es, damit man verstehe. Es wurde mir oben entgegengehalten, wie tief und komplex in Sachen schwarzer Kultur KLs Musik sei – also das komplette Narrativ aufgefahren, das man nicht hört, sondern das nur im Hintergrund ist und herhalten muss, um die wahre Größe und Bedeutung der Musik zu begründen. Und dieses Narrativ könönen wir nicht verstehen, da uns der kulturgeschichtliche und hautfarbenklassenspezifische Erfahrung fehlt. Das meinte ich, und hoffe, ich konnte es nun verständlicher machen. @nail75: In dem Zusammenhang: Ich finde es krass und unglücklich polarisierend, gleich mit der Negermusik-Keule zu kommen, nur weil ich auf die gewaltigen kulturellen Unterschiede hinweise. Die sind doch Realität. Das habe ich nicht gemeint oder auch nur gedacht – um es wirklich ganz deutlich zu sagen.
Hier liegt ein ganz großes, fundamentales Missverständnis deinerseits vor. Wie ich oben beschrieben habe, fand ich die Musik auf Anhieb toll, aber die nähere Beschäftigung machte dieses Meisterwerk noch großartiger, weil ich erkannte, wie viele tiefgehende Gedanken Kendrick Lamar sich über ganz viele Themen gemacht hat. Wenn ich mich nie mit den Themen genauer beschäftigt hätte, fände ich das Album aber immer noch großartig. Wie Bullschuetz schrieb folgte aus dem emotionalen Zugang der Wunsch nach näherer Beschäftigung. Ja, das Album ist tief und komplex, aber ich garantiere, dass 99% der deutschen Käufer da höchstens halb eingestiegen sind und hauptsächlich die Musik geil finden.
Ich weigere mich aber nach wie vor eine „kulturgeschichtliche“ oder „hautfarbenklassenspezifische Erfahrung“ zu verabsolutieren. Wenn uns die moderne Kulturgeschichte eines lehrt, dann ist das die Relativität der Wahrnehmungen, der Wandel der Urteile im Lauf der Zeit und die Unterschiedlichkeit der Perspektiven, die aber keineswegs immer nur ausschließt, sondern auch einbezieht. Ansonsten könnte es ja gar keine grenzüberschreitende Musik geben, dann dürften Araber nur „arabische Musik“ hören (was immer das ist) und Deutsche nur deutschsprachige.
Ja, die gewaltigen kulturellen Unterschiede sind Realität, aber sie können genauso integrierend wie abstoßend wirken. Dass du das nicht siehst, ist ein grundlegender Denkfehler. Wie Bullschuetz geschrieben hat, eignet sich diese Musik doch dazu, etwas von einer uns nicht so im Detail bekannten Welt oder Realität zu vermitteln.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.