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Anonym
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@UncleBen und @bullitt
Meinetwegen muss man es nicht Rassismus nennen, deshalb begnüge ich mich mit der Feststellung:
Wenn eine von Weißen geführte Firma eine vor Jahrzehnten entwickelte, mit ihren Anfängen in Segregation-Zeiten wurzelnde Markennamens- und Werbestrategie überarbeitet, in der vorgegaukelt wurde, dass glückliche Schwarze in den Südstaaten unter Führung des netten „Uncle Ben“ ein schönes Leben führen, dann sehe ich darin einen vernünftigen und nachvollziehbaren Schritt und nicht im entferntesten einen anprangernswerten Beleg dafür, dass durchgeknallte CA-Fundamentalisten mal wieder ihr Unwesen treiben und nicht mal vor unschuldigen Firmen mit schön nostalgischen Logos haltmachen. Die Werbung von heute wirbt ja auch in Deutschland nicht mehr mit den Frauenbildern und Geschlechterklischees der Adenauerzeit.
Dass davon der Rassismus nicht weggeht, ist mir auch klar. Insofern gibt es sicher Wichtigeres – zum Beispiel den Einspruch gegen rassistische Polizeigewalt. Aber das ist doch sowieso selbstverständlich.
Dass Werbung immer ein geschöntes Bild der Realität vermittelt – auch geschenkt. Mir persönlich stößt an dem Spot eben auf, dass ikonografisch das Bild des immerfreundlichen guten schwarzen Onkels angezapft wird – ein wirklich altes kulturelles Klischee. Dieser gute Onkel trug einst vorbildlich brav sein doch gar nicht so schlimmes, sondern eigentlich recht heimeliges und gesundes Sklavenlos an der frischen Luft auf der Reisplantage und belästigt heute – Sklaverei gibt es ja nicht mehr, also ist mittlerweile erst recht alles gut – nicht mit solchen Zumutungen wie harscher Kritik an den womöglich immer noch da und dort ein klitzekleines bisschen von Rassismus geprägten Verhältnissen.
Mich befremdet auch die Vorgaukelung einer heilen Südstaatenwelt, in der jeder Schwarze sich wirtschaftlich wunderbar verwirklichen und glücklich werden kann. Mich befremdet es, weil das eben so ganz besonders krass daneben ist. Die Frau am Herd, wie sie in der Werbung der Adenauerzeit prätsentiert wurde, gab es wenigstens wirklich.
Wenngleich ich Werbung nicht mit Geschichtsschreibung verwechsle, finde ich, dass auch Werbung in Sachen Ignoranz, Zynismus und Realitätsverdrehung nicht immer das Maximum ausloten muss. Wenn eine Firma an dieser Stelle nach Jahrzehnten mal ihren Kurs überdenkt, finde ich das gut.
Auf „Roots“ habe ich hingewiesen, weil vor dem Hintergrund einer zwar fernsehgerecht populär aufbereiten, aber doch in groben Zügen historisch richtig dargestellten, Jahrhunderte überspannenden Unterdrückungsgeschichte ein Fernseh-Spot, der womöglich zur gleichen Zeit im deutschen TV lief und die Südstaaten als Idyll und Insel der Seligen zeichnete, wo Schwarze ein in goldenes Licht getauchtes Dasein als Reisplantagenbesitzer im Kreise ihrer Lieben führen, ganz besonders hirnrissig verlogen wirken musste.
Es geht hier natürlich um Konnotationen, Implikationen, Antriggerung von Klischees, um eine Marke zu vermarkten, und nicht um Hardcore-Rassismus. Aber stören konnte man sich schon immer daran – mir ist das Gesicht auf der Reispackung zum Beispiel schon, als ich ein Jugendlicher war und mich schüchtern für Soul, Funk, James Brown und später, daraus erwachsend, für Bürgerrechtsbewegung, MLK, Malcolm X, Muhammad Ali, Miles Davis zu interessieren begann, irgendwie seltsam vorgekommen, vage unpassend. Und ich schätze mal, @gypsy-tail-wind mag es später (er ist wohl jünger als ich) ähnlich ergangen sein. Man muss kein besessener CA-Anprangerungsgroßmeister sein, um solche Unstimmigkeiten wahrzunehmen.
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