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@go1 Ja, vielleicht bräuchte man da einen eigenen Thread, aber fürs Erste begnüge ich mich damit, mir ontopic-Disziplin aufzuerlegen, und deshalb:
@ Blues Brothers
Ein interessanter Fall, um CA zu diskutieren.
Einerseits: Ja, vermutlich würde man den Film heute etwas anders machen. Die beiden Weißen sind die Hauptfiguren, rings umher sind ziemlich viele schwarze Buddies gruppiert, die auch in nicht direkt klischeefreie Rollen gecastet sind, vom Soulfoodkoch über den breit lächelnden Entertainer bis natürlich zum Gospelpreacher. Zwei Halbgeschwister, gleiche Mutter, verschiedene Väter, einer weiß, einer schwarz, Jaqueline und Elwood Blues: Das wäre natürlich 2020er-Diversity-Goldstandard.
Aber ehrlich: Das ist doch eigentlich eher schnuppe. Denn andererseits (und dieses „andererseits“ jetzt bitte dick unterstrichen denken) ist BB ja nicht nur eine wahnsinnige Liebeserklärung an Soulmusik im besonderen und schwarze Kultur im Allgemeinen, sondern präsentiert auch ganz offensiv die Leute, von denen diese Musik WIRKLICH stammt. Und das ist CA-maessig ein riesiges Verdienst.
Ganz abgesehen davon, dass zum Beispiel James Brown in seiner Autobio selber davon schwaermt, wie sehr dieser Film geholfen habe, seine Ende der 70er-Jahre ziemlich lahmende Karriere wieder zu kickstarten (noch mehr gepusht habe ihn dann aber der Auftritt in Rocky 4 …).
Unterm Strich ist BB also vielleicht hier und da ein bisschen dated, aber in vieler Hinsicht doch vor allem absolut vorbildlich.
Ich habe später öfters von Leuten gehört, dass dieser Film ihnen den echten Stoff nahegebracht habe: Danach haetten sie angefangen, tiefer in Soul einzusteigen. BB legt da eine derart breite Spur aus, die so dringend einlädt, ihr zu folgen. Und das nicht nur in den offensichtlichen Szenen, wo Aretha oder Ray Charles höchstpersönlich die Showbühne entern, sondern auch in liebevollen Beilaeufigkeiten, wenn die beiden zum Beispiel im Auto nicht nur Soothe Me von Sam and Dave hören, sondern die Kamera in Großaufnahme auch die Musikassette mit dem Aufdruck „Sam and Dave“ zeigt.
Mich selber musste Anfang der 80er zwar niemand mehr zu Sam and Dave oder Aretha bekehren, für die war ich bereits entflammt – aber mir hat der Film damals Steve Cropper und Duck Dunn bekanntgemacht, also mein Auge für die Schoepfer in der zweiten Reihe geschult. Auch deren Leistungen hat der Film sich ja nicht einfach unter den Nagel gerissen, sondern die beiden alten Stax-Musiker selber im Zuge der Generationengerechtigkeit angemessen gewürdigt und zur Schau gestellt.
Insofern: Im CA-Prozess gegen die Blues Brothers plädiere ich auf Freispruch.
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