Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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gypsy-tail-wind
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Einer der Leute, denen ich seit ein paar Wochen mit grösstem Interesse auf Twitter folge ist der Cellist und Musikwissenschaftler Jon Silpayamanant – der unermüdlich gegen die eurozentristische Sicht auf Musik ankämpft (z.B. erklärte er mal, dass aus einem Mund wie dem unseren „ich mag ALLE ARTEN von Musik“ ein eminent rassistische Statement ist, denn das „alle“ umfasst ja in aller Regel ausschliesslich die westliche Musiktradition – die grosse Breite, die wir darin zu erkennen glauben, ist im Vergleich mit dem, was es anderswo auf der Welt an Musiktraditionen noch gibt, ziemlich klein).

Und aus dem Argument mit den europäischen Instrumenten, die ja von den Afro-Amerikanern genutzt worden seien/werden, wird auch ein Schuh, wenn man weiss, dass es schon im Barock Sklavenorchester gab, die eben genau auf „unserern“ Instrumenten für unsere Vorfahren spielen … diesen als Skaven gehaltenen Musikern nun cultural appropriation vorzuwerfen, wäre auch eher das grobe Modell, nicht?

Hier gibt es einige erste Hinweise:
https://silpayamanant.wordpress.com/2020/07/30/classical-music-and-its-slave-orchestras/

Das geht natürlich weiter und weiter und fasziniert mich gerade enorm. Man landet dann auch mal bei Diskussionen um die Bezeichnung „Musikenthnologie“, die natürlich das zutiefst eurozentrische Modell unserer Akademia und überhaupt unserer Vorstellung von Bildung offenbart (klar, ich bin auch in dem System gross geworden, es hat mir enorm viel gegeben, das ich nicht missen möchte – aber das alles ist kein Grund, es nicht auch grundsätzlich zu hinterfragen.

Das hier ist Silpaymanants Twitter-Faden mit Infos und Links zum Überblick über das Thema:

Interessant ist ja dabei, dass gerade die Szene der „alten Musik“ ganz enorm weiss ist … und wie es scheint auch ziemlich undurchlässig. Da kann ich echt nicht mitreden, aber es gibt Leute, die sich dazu auch schon geäussert haben, z.B. der persische Cembalospieler Mahan Esfahani, der lange in den USA aktiv war und sich nach verschiedenen Stationen in Europa inzwischen in Prag niedergelassen hat:
https://www.theguardian.com/music/2019/jun/01/mahan-esfahani-harpsichord-interview
Im VAN-Interview (das im Guardian-Artikel angesprochen wird), gibt es einige Details und starke Haltungen, so auch folgendes Statement über die alte Musik Welt:

It’s problematic because the assumption that many of these players make is that they are actually reviving a bygone playing style, when in fact they are just entrenching contemporary narratives based on their narrow experiences of music and culture. If singers were to take the same over-articulate approach to their art, they would be booed off the stage.

https://van-us.atavist.com/insularities

Der deutsche Cembalospieler Andreas Staier hat auf das Interview eine wütende Replik verfasst, die in mehrfacher Hinsicht verdeutlicht, wie vermint das Gelände ist:
https://van-us.atavist.com/patchwork-history

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