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@go1 @herr-rossi So gelassen und differenziert, wie Ihr das Konzept der CA anwendet, habe ich natürlich nicht das allergeringste Problem damit, im Gegenteil, die Fragestellungen, die dabei aufploppen, sind inspirierend und können zu einer vertieften Reflexion über kulturelle, interkulturelle und multikulturelle Phänomene aller Art beitragen. Zum Beispiel über Tiefsinn und Oberflächlichkeit der Indien-Beatles nebst dialektischer Pointen und Purzelbaeume. Danke dafür an alle Redner und Gegenredner einschließlich @pfingstluemmel!
Ich fürchte und glaube nur, dass im CA-Konstrukt eine Wucht steckt, die man ihm nicht erst über zuspitzendes oder unfaires Framing andichten muss. Es kommt mir, Entschuldigung, ein bisschen so vor, als wolltet ihr, @go1 und @herr-rossi, mir als CA das verkaufen, was ihr darunter versteht, mir sozusagen eine CA-Edelausgabe im Goldschuber andrehen. Die kaufe ich natürlich jederzeit gerne! Aber ich bin mir nicht sicher, ob dieses exklusive Prachtexemplar außer bei Euch noch sonstwo erhältlich ist oder ob die meisten CA-Vertreter nicht mit einem ziemlich viel groeberen Modell handeln.
Was mich unter anderem stutzig macht: Warum heißt es Cultural Appropriation und nicht Cultural Exploitation? Mein Eindruck: Damit wird die Messlatte, ab der man einen Verstoß wittern und anprangern kann, sehr niedrig gelegt. Wenn schon Aneignung ein Anklagepunkt sein kann und nicht erst Ausbeutung, kann ziemlich schnell ziemlich jeder ziemlich verdächtig werden. Zum Beispiel die armen Beatles (die ich selbst dann energisch in Schutz nehmen würde, wenn sie sich nicht in fernöstliche Philosophie eingefuehlt, sondern Sitarklaenge einfach nur mal so als stylisch-exotisches Ornament integriert haetten).
Es geht nicht um Verbote, sondern allenfalls um Verbotsforderungen, die sich in der Regel eh nicht durchsetzen lassen? Schon klar. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass CA-Argumentationen oft eben in Richtung Verbot zielen und nicht nur in Richtung Kritik. Meine Irritation hat sich da im Lauf der Zeit vertieft.
Erstmals so richtig verstört hat mich vor Jahren die wütende, regelrecht schaeumende Reaktion auf den sicherlich etwas provozierend inszenierten Sombrerovortrag von Lionel Shriver. Und sehr befremdet hat mich zuletzt die entgleiste Debatte über American Dirt von Janine Cummins. Meine Güte, da musste sogar Oprah Winfrey zu Kreuze kriechen und sich dafür entschuldigen, dass sie das Buch einer weißen Autorin über mexikanische Flüchtlinge zunächst gut gefunden und gelobt hatte. Scarlett Johansen, die eine Transgender-Filmrolle niederlegte, weil nur ein Transgendermensch einen Transgendermenschen spielen darf. Die zwei mittlerweile sprichwörtlich gewordenen weißen Frauen, die ihren Burritoladen wegen Boykottaufrufen dichtmachen mussten. Das oben genannte bizarre Schutz/Black/Emmett-Till-Drama. Und und und.
Ihr sagt, das sind Auswüchse, und dass Auswüchse schlecht sind, sei doch eh klar. Mag sein. Uns ist das klar. Aber seid ihr euch sicher, dass viele andere, die mit dem CA-Konstrukt hantieren, das überhaupt als Auswüchse empfinden?Ich zweifle. Und grusle mich vor dem Fela-Kuti-Talking-Heads-Irrsinn.
zuletzt geändert von bullschuetz--